In der Rede vor dem Deutschen Bundestag zur NATO-Eingreiftruppe beschreibt Niels Annen, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, die „Reassurance-Maßnahmen“ (Rückversicherung) als Teil eines Pakets zu dem auch die Gesprächsbereitschaft mit Russland, die entwickelten Dialogformate, und die beständigen diplomatischen Initiativen des Außenministers und der Bundeskanzlerin gehören.

Liebe Frau Präsidentin, vielen Dank. - Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Neu, Sie haben hier davon gesprochen, über Fakten reden zu wollen, und Sie haben die verschärfte Rhetorik beklagt. Ich will Ihnen einmal vorlesen, was Ihre Kollegin Christine Buchholz heute in einer Pressemitteilung zu dieser Debatte geschrieben hat. Sie hat nämlich geschrieben, Deutschland solle über das Bündnis, also die NATO, durch diese neue Taskforce strategisch auf einen möglichen - ich zitiere sie - „Landkrieg gegen Russland orientiert“ werden. Lieber Kollege Neu, wenn irgendjemand hier in diesem Hause die Rhetorik verschärft, dann ist es ja wohl Ihre Fraktion. Ich finde das wirklich unangemessen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich will auch aus Ihrem Antrag zitieren.

(Heike Hänsel (DIE LINKE): Das ist Ablenkung, was Sie machen!

Da steht, es sei „ein gefährlicher Schritt, der entscheidend zur Dynamik der Feindseligkeiten im Verhältnis zwischen Russland und der NATO beiträgt“. Wenn man so etwas liest, wenn man Ihren Reden zuhört, dann hat man manchmal den Eindruck, Sie läsen hier das Manuskript eines Nachrichtensprechers von Russia Today ab. Wir führen hier wirklich keine konstruktive Debatte.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): Das ist billig! - Heike Hänsel (DIE LINKE): Verschwörungstheorie!)

Sie sind überhaupt nicht darauf eingegangen, dass heute die Nachricht verbreitet worden ist, dass sich die Bundeskanzlerin unseres Landes mit dem französischen Präsidenten auf einer Reise befindet, um in Kiew und in Moskau über eine Lösung dieser Krise zu reden. Das hätten Sie zumindest einmal erwähnen können.

Ihr Problem in dieser Debatte ist doch, dass Sie - das ist nicht ganz ungefährlich - Ursache und Wirkung verwechseln. Dann kommt man zu falschen Schlussfolgerungen, Herr Kollege Neu.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU - Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Das machen Sie selbst!)

Deswegen ist es vielleicht hilfreich, sich an dem zu orientieren, was die NATO eigentlich beschlossen hat. Der Kollege Kiesewetter hat das hier sehr gut zusammengefasst. Der NATO-Gipfel in Wales musste auf eine neue sicherheitspolitische Situation reagieren. Die erste Feststellung, die man hier doch machen muss, ist: Es war ja nicht die NATO, die die Grundlage der Kooperation aufgekündigt hat, die diese Krise ausgelöst hat, sondern es war Russland mit seinem Verhalten:

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim, mit der fortgesetzten Unterstützung der militärischen Operation durch die sogenannten Separatisten in der Ostukraine.

Ich will noch zu etwas anderem, was in diesen Debatten eine Rolle gespielt hat, etwas sagen. Es war ja nicht so, dass sich alle in der NATO von Anfang an auf eine Strategie verständigt haben. Es gab auch innerhalb der NATO Kräfte, die auf eine aggressive, ja, zum Teil auch militärische Antwort gedrungen haben. Wir haben diesem Druck eben nicht nachgegeben.

Es war doch der Außenminister, Frank-Walter Steinmeier, der in Wales und in der Vorbereitung von Wales dafür gesorgt hat, dass wir eine ausgewogene, balancierte Antwort erhalten haben: auf der einen Seite - auch das gehört dazu, Herr Kollege Neu - eine Verstärkung der kollektiven Verteidigungsbemühungen über den sogenannten Readiness Action Plan und auf der anderen Seite eine Bekräftigung des regelbasierten europäischen Systems der Sicherheitsarchitektur, die wir gemeinsam aufgebaut haben, inklusive der NATO-Russland-Grundakte von 1997, die der eine oder andere Bündnispartner durchaus zur Disposition stellen wollte. Gleichzeitig hat dieser Gipfel deutlich gemacht - auch darüber haben Sie nicht geredet -: Es wird für diesen Konflikt keine militärische Lösung geben. Auch das hätte man einmal erwähnen können.

Auch weil wir hier eine Debatte darüber führen, dass aus den Vereinigten Staaten Vorschläge kamen, Waffen zu liefern, will ich noch einmal sagen: Meine Fraktion hat hier eine ganz klare Haltung: Wir sind gegen Waffenlieferungen an die ukrainische Regierung,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Haltet ihr das durch?)

auch weil sie zu einer Verschärfung des Konfliktes beitragen würden und weil sie dazu beitragen würden, dass wir möglicherweise noch mehr als die geschätzt schon 5 000 Toten in diesem Konflikt zu beklagen hätten. Außerdem wäre die Umsetzung dieses Vorschlages eine Gefahr für das wichtigste Gut, das wir in der letzten Zeit erreicht haben, nämlich die Übereinstimmung innerhalb der NATO, innerhalb der Europäischen Union und mit den Partnern in Washington.

Wahr ist aber auch - ich finde, auch das muss man einmal sagen -: Dass wir diese Debatte führen, hängt doch auch damit zusammen, dass sich an Verabredungen nicht gehalten worden ist, dass Mariupol beschossen worden ist, dass es weiterhin militärische Operationen gibt.

(Dr. Franz Josef Jung (CDU/CSU): Genau so ist es! - Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Der Flughafen!)

Deswegen bin ich über diese Debatte zwar nicht erfreut; aber ich bin auch nicht überrascht. Ich finde es bedauerlich, dass die morgen beginnende Münchner Sicherheitskonferenz durch Äußerungen ihres Vorsitzenden über Waffenlieferungen belastet worden ist.

Doch, Liebe Kolleginnen und Kollegen, zurück zur NATO. Im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise mussten wir uns - ich habe es gesagt - auf eine neue Situation einstellen. Es sind vernünftige Beschlüsse gefasst worden. Die sogenannten Reassurance-Maßnahmen sind doch eine Antwort auf etwas, was man nicht einfach wegdiskutieren kann.

Ich will auch eingestehen: Ich freue mich nicht über jede Äußerung, die ich im Baltikum höre; ich bin auch nicht mit jeder Äußerung einverstanden. Aber wenn wir ein Bündnis sind, das etwas auf sich hält, dann müssen wir doch dafür sorgen, dass wir die Sorgen und Nöte ernst nehmen. Deswegen gehört beides dazu. Die Reassurance-Maßnahmen - Air Policing im Baltikum, Patrouillenfahrten in den baltischen Raum, AWACS-Flüge und jetzt die Very High Readiness Joint Task Force - sind sozusagen ein Teil des Pakets, zu dem auch die Gesprächsbereitschaft mit Russland, die Dialogformate, die wir entwickelt haben, und die beständigen diplomatischen Initiativen unseres Außenministers und der Bundeskanzlerin gehören. Das gehört zusammen.

Ich will am Schluss noch sagen: Herr Kollege Schmidt, ich finde, Sie haben hier wichtige Fragen gestellt. Wir diskutieren gerade über diese grundsätzlichen Fragen. Die nächste Sitzung der Parlamentsbeteiligungskommission ist am 25. Februar. Ich würde mich freuen, wenn Sie sich daran beteiligen würden. Dann können wir in Ruhe miteinander auch über diese Fragen sprechen.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)