Laut Sascha Raabe fehlt in dem Antrag der Regierungskoalition eine große wichtige Komponente: der Aufbau von sozialen Sicherungssystemen in Entwicklungsländern. Zudem bemängelt Raabe, dass ein weitaus umfassenderer Antrag bereits gemeinsam während der Großen Koalition beschlossen worden war.

Dr. Sascha Raabe (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!
(Harald Leibrecht [FDP]: Genossen?)
Ich freue mich, dass wir heute noch einmal über das wichtige Thema ländliche Entwicklung im Plenum debattieren können, weil die weltweite Bekämpfung von Hunger und Armut ohne einen großen Fortschritt im ländlichen Raum nicht möglich ist. Wir wissen: Drei Viertel der ärmsten Menschen leben im ländlichen Raum. Wenn wir das Millenniumsziel, bis 2015 die Zahl der Hungernden zu halbieren, erreichen wollen – damit sieht es leider nicht sehr gut aus –, dann müssen wir vor allem für die Menschen im ländlichen Raum etwas tun. Deswegen ist es gut, dass wir uns darüber gemeinsam Gedanken machen.
Aber wir haben in der letzten Legislatur in der Großen Koalition bereits einen Antrag vorgelegt, der sehr viel umfassender war als das, was Sie heute präsentieren. Deswegen werden wir Ihren Antrag ablehnen – nicht, weil wir der Auffassung wären, dass das Thema nicht wichtig ist.
Sie schreiben zu Recht in Ihrem Antrag – lieber Kollege Christian Ruck, du wirst dich erinnern, das hatten wir auch in unserem umfassenden gemeinsamen Antrag schon kritisch festgestellt –, dass in den letzten Jahren vonseiten der Geber, aber auch von den Entwicklungsländern selbst die Investitionen in die Landwirtschaft sehr stark zurückgefahren worden sind. Allerdings muss man ehrlicherweise dazusagen, warum das passiert ist. Das hat sehr viel damit zu tun, dass über Jahre durch Überschüsse im landwirtschaftlichen Bereich ein sogenanntes Exportdumping stattgefunden hat. Man hat nämlich die Überschüsse aus den USA, aus Deutschland und aus anderen Ländern in Europa in die Länder Afrikas exportiert und damit die lokalen Märkte zerstört. Ein Bauer, der Milchviehwirtschaft betrieben hat, konnte also seine Milch, die er vielleicht mit zwei oder drei Kühen lokal produziert hat, auf dem Markt nicht verkaufen, weil dort Milchpulver aus Europa, das mit Wasser vermischt wurde, billiger angeboten wurde. Das ist ein ganz irrsinniges System: Auf der einen Seite machen wir Entwicklungszusammenarbeit. Auf der anderen Seite geben wir Steuergelder für Subventionen in der Landwirtschaft aus und reißen mit diesem Agrardumping das ein, was wir mit der Entwicklungszusammenarbeit aufbauen.
(Beifall bei der SPD)
Deswegen hätte es keinen Sinn gemacht, wenn die vorherige Bundesregierung weiter jahrelang Milchviehwirtschaft unterstützt und andere Investitionen in die Landwirtschaft der Entwicklungsländer großflächig getätigt hätte; denn wir haben erleben müssen, wie viele Kleinbauern und Farmen dort kaputtgegangen sind. Die Geber hätten insgesamt etwas früher umschwenken können; das ist unbestritten. Aber jetzt besteht wieder eine echte Chance, dort zu investieren, weil die Preise für Agrarprodukte in den Entwicklungsländern und weltweit gestiegen sind. Das ist auf der einen Seite ein Problem, gerade für die städtische Bevölkerung in den Entwicklungsländern; auch das darf man nicht unter den Teppich kehren. Aber es ist natürlich eine Chance für all die Kleinbauern und Bauern, die in den Entwicklungsländern produzieren. Jetzt haben sie wieder eine reelle Möglichkeit, ihre Produkte zu guten Preisen zu verkaufen. Deswegen ist es sinnvoll, jetzt mehr Geld zu investieren.
Aber wir müssen auch über die Kohärenz reden. In der Vergangenheit hat die Kohärenz, also Stimmigkeit statt eines Widerspruchs zwischen den verschiedenen Politikbereichen, zwischen dem Landwirtschafts- und Handelsbereich und der Entwicklungszusammenarbeit nicht gestimmt. Ich möchte hier kritisch anmerken: Auch jetzt stimmt sie noch nicht. Die Europäische Union wird gemäß ihren Vorstellungen für die Jahre 2014 bis 2020 435 Milliarden Euro in den Agrarsektor pumpen. Davon entfallen nur 150 Millionen Euro auf Agrarexportsubventionen. Wenn Sie sich in Ihrem Antrag vor allem auf die Agrarexportsubventionen konzentrieren – das macht auch die Landwirtschaftsministerin –, dann ist das zu kurz gesprungen. Das sind nur 0,03 Prozent der gesamten Gelder.
Natürlich verzerren auch die internen Stützungen die Bedingungen. Deswegen reden Sie einmal mit Ihrer Landwirtschaftsministerin; denn sie versucht gerade, die Gültigkeit der Zuckermarktordnung zu verlängern, die 2015 auslaufen soll. Sie reißt mit ihrem Lobbyismus für ihre Klientel von der CSU in Bayern vieles von dem ein, was wir aufbauen.
(Beifall bei der SPD)
Natürlich braucht man für diese Maßnahmen Geld. Wir brauchen Geld, um Beratungen für Landreformen durchzuführen. Wir müssen des Problems des Land Grabbings Herr werden – auch dieses Thema kommt bei Ihnen zu kurz –: Investoren kaufen riesige Ländereien auf, lassen aber die Erträge nicht der lokalen Bevölkerung zugutekommen, sondern exportieren sie. Notwendig sind Maßnahmen gegen Nahrungsmittelspekulationen. Wer mit dem Hunger in der Welt spekuliert, stellt sich abseits der Menschlichkeit. Dem sollten wir alle ge-meinsam die Rote Karte zeigen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN)
Ländliche Entwicklung ist aber ein Thema, das sehr viele Aspekte umfasst. Dazu gehört auch die Bevölkerungsentwicklung. Ich war vor wenigen Wochen in Äthiopien und habe dort sehen müssen, dass selbst in den grünen und fruchtbarsten Landesteilen Äthiopiens, in denen keine Dürre herrscht, durch eine immer größer werdende Bevölkerungszahl die Flächen, die pro Familie bewirtschaftet werden können, immer kleiner werden. Es gibt den sogenannten grünen Hunger: Alles sieht grün aus, aber die nächste Ernte folgt erst in einigen Monaten, und die Menschen leiden Hunger. Auch darauf brauchen wir Antworten.
Eine Antwort, die wir als Sozialdemokraten geben, ist in Ihrem Antrag nicht enthalten: der Aufbau sozialer Sicherungssysteme. Wir haben mit unserer Arbeitsgruppe – die Kollegin Karin Roth hatte das vorbereitet – erst vor kurzem einen sehr umfassenden Antrag zum Aufbau sozialer Sicherungssysteme eingebracht. Es ist sehr wichtig, dass wir auch Menschen in der Landwirtschaft, die kein Einkommen haben, beraten und auch Staaten beraten, wie sie Familien Hilfe geben können. In Brasilien läuft das sehr gut mit dem Null-Hunger-Programm. Andere Länder machen das auch. Zum Teil ist die Hilfe an den Schulbesuch der Kinder gekoppelt: Einen Teil des Geldes gibt es nur dann, wenn die Kinder zur Schule gehen. So etwas brauchen wir.
Wenn wir die vielfältigen Maßnahmen von der Bildung bis zur Gesundheit umsetzen wollen – dazu stehen auch viele richtige Punkte im Antrag –, dann brauchen wir Geld. Sie schreiben in Ihrem Antrag stolz, dass die Bundesrepublik Deutschland viel Geld für diesen Sektor ausgibt. Dagegen habe ich keine Einwände. Voraussetzung dafür ist aber, dass die Mittel für den Gesamttopf erhöht werden. Wenn Sie in diesem Jahr nur mit ganz kümmerlichen Beträgen die Entwicklungsausgaben steigern und nur einen Bruchteil der von uns im Parlament gemeinsam vereinbarten 1,2 Milliarden Euro zur Verfügung stellen, dann nehmen Sie das Geld in den ebenfalls wichtigen Bereichen Gesundheit und Bildung weg.
Deswegen reicht es nicht, wenn Sie mehr Geld für die Landwirtschaft ausgeben wollen. Wir brauchen einen Minister, der auch einmal leidenschaftlich für mehr Geld in seinem Haushalt kämpft, statt nur darum zu kämpfen, mehr Parteifreunde in seinem Ministerium unterzubringen.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Heinz-Peter Haustein [FDP]: So ein dummes Gewäsch! Schäm dich eins!)
Wir haben einen Minister, der sogar die Finanztransaktionsteuer, ein Instrument, das aus der Entwicklungspolitik stammt, das die Zivilgesellschaft seit Jahren gefordert hat und das jetzt zum Greifen nahe ist, im Kabinett ablehnt, obwohl wir dieses Geld dringend für die Armutsbekämpfung brauchen. Das ist schäbig, Herr Minister Niebel.
(Heinz-Peter Haustein [FDP]: Das ist einfach falsch, was du erzählst!)
– Das ist nicht falsch. Selbst im Kabinett gibt es damit ein Problem. Frau Merkel kennt das Problem mit ihrem Minister wahrscheinlich besser als ich.
Deswegen macht es keinen Sinn, wenn Sie einen schönen Antrag schreiben und hier schöne Worte finden. Wenn Ihnen das Thema wichtig wäre, dann wäre auch zu überlegen gewesen, im Ministerium dafür eine eigene
Abteilung zu schaffen. Statt einer Abteilung für Ernährungssicherung und ländliche Entwicklung wird aber eine Abteilung für Planung und Kommunikation geschaffen. Wie gesagt, Ihr Minister ist stärker mit anderen Dingen beschäftigt als mit der Landwirtschaft, nämlich mit der Vetternwirtschaft. Deswegen werden wir Ihren Antrag ablehnen.
Danke.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)