Rede von Dr. Frank-Walter Steinmeier im Bundestag in der Debatte „Bildungsföderalismus“

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

Bildungspolitische Debatten führen wir in diesem Hause ja häufig und mit großer Routine und von allen Seiten mit bewährten Argumenten. Das mag das jeweils eigene Publikum zufriedenstellen – nur: ändern tut sich nichts. Ich hab mich in dieser Debatte zu Wort gemeldet, weil ich ganz dringend der Meinung bin, dass wir an einem Punkt genau diese Routine durchbrechen müssen, wenn wir als Politik weiter ernst genommen werden wollen!

Man hört ja gelegentlich, dass Menschen sich über Politik ärgern, manchmal sogar nicht nur über Politik dieser Bundesregierung, sondern über Politik insgesamt. Ärgern deshalb, weil lang erkannte Missstände analysiert, bewertet, neu bewertet, besprochen – das alles ja – nur eben nicht beseitigt werden. Und an den Abendbrottischen in den Familien in Deutschland mag zur Zeit über den Bundespräsidenten gestritten oder Sorgen über Europa ausgetauscht werden. Aber es gibt einen Dauerbrenner, der die Menschen, zumal die Eltern, in diesem Land schier aus der Haut fahren lässt:

  • dass Unterricht ausfällt
  • dass Ganztagsschulen fehlen
  • dass sanitäre Anlagen in den Schulen zum Grausen sind

Das macht nicht nur einfach Ärger, die Menschen verstehen auch nicht, dass alles das von allen beklagt wird, aber dass sich nichts ändert. Am wenigsten verstehen sie, dass Bund und Länder sich auch noch gegenseitig verbieten, gemeinsam an der Beseitigung der Missstände zu arbeiten. Und genau das darf nicht so bleiben!!!

Sie alle kennen den schönen Merksatz von Bert Brecht: „Wer A sagt, muss nicht B sagen! Er kann auch sagen, dass A falsch war!“

Meine Damen und Herren: Das Kooperationsverbot, das wir im Paket der Föderalismusreform beschlossen haben, war ein Fehler. Wir haben es mit getragen, weil wir die Föderalismusreform insgesamt nicht gefährden wollten, aber es war und das sage ich auch für mich selbst: es war falsch!

Den Irrtum zuzugeben – das fällt schwer in der Politik. Und das gilt für alle Seiten hier im Hause. Zumal ja immer der jeweils Andere schuld ist. Aber ich will auf Schuldzuweisungen, wer für welche Regelung verantwortlich ist, verzichten, weil ich Ihnen sage,

Erstens: interessiert das heute niemanden mehr und zweitens könnten wir alle etwas davon haben, die Politik insgesamt an Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, wenn wir einmal die Kraft hätten, gemeinsam zu sagen: wir haben geirrt! Das Kooperationsverbot war Blödsinn, es muss weg!

Und da ich ja die gewollten Missverständnisse aus der Diskussion in den eigenen Reihen kenne – gleich zur Klarstellung: Ich kenne Bildungspolitik von beiden Seiten, ich war 8 Jahre auf Landesseite, bevor ich zum Bund kam. Ich weiß, was in vielen Ländern geleistet wird, um den Kindern bestmögliche Bildung zu ermöglichen. Und erst recht bin ich nicht der Meinung, dass Bundespolitik in Bildungsfragen klüger ist als Landespolitik. Die Länder sind zuständig für die Bildungspolitik und wir wollen das nicht in Frage stellen oder denen ständig hineinreden! Aber um all das geht’s beim Kooperationsverbot ja auch nicht. Beim Kooperationsverbot geht’s um den geradezu skurrilen Fall, dass wir per Gesetz, sogar per Verfassung verbieten, dass Bund und Länder ihre Kräfte bündeln, um objektiv erkannte Probleme in der bildungslandschaft endlich wirksam anzugehen! Das kann doch nicht der richtige Weg sein!

Zum Beispiel das Ganztagsschulprogramm. Das kann man mit einigem zeitlichen Abstand ja vielleicht heute etwas gelassener bewerten, als es damals geschehen ist. Das war doch eigentlich ein ganz erfolgreiches Programm und gerade in der Zusammenarbeit von Bund und Ländern. Niemand wird gezwungen, aber wir schaffen Möglichkeiten für Kinder, die auf Ganztagsschulen bessern lernen und für Eltern, die wegen eigener Berufstätigkeit auf solche Schulangebote angewiesen sind! Heute, nach Errichtung des Kooperationsverbotes wären solche Anstöße nicht mehr möglich. Mag ja sein, dass der ein oder andere hier im Haus das immer noch richtig findet. Nur sollte niemand damit rechnen, dass Kinder, Eltern und Lehrer dafür Verständnis aufbringen. Das versteht keiner!!!

Genauso versteht keiner, dass wir seit Jahren in der Bildungspolitik – trotz Pisa und OECD-Studien – vor allem über Zuständigkeiten reden. Bei fast allen bildungspolitischen Themen, jetzt auch beim Thema „Inklusion“. Wir wollen mehr Schüler mit Behinderungen an die Regelschulen bringen. Ich glaube den meisten, dass sie das wollen. Nur: Das kann doch nicht im Ernst daran scheitern, dass die Länder für das Fachpersonal an den Schulen, der Bund aber für Eingliederungshilfen und individuelle Betreuung zuständig wäre! Lassen Sie uns anfangen, über die beste Lösung zu reden, anstatt immer nur über Zuständigkeiten!

Meine Damen und Herren,

wir brauchen keine Fortsetzung des Zuständigkeitsstreits und des Kompetenzgerangels; wir brauchen mehr Zusammenarbeit und mehr Bildungsinvestitionen. Wir sind es nicht nur unseren Kindern schuldig! Diese Frage wird zur Überlebensfrage dieser Gesellschaft: Ein Hochtechnologieland mit starker Exportwirtschaft, dessen Bevölkerung zugleich schrumpft, bei dem hängt alle Zukunft daran, dass die weniger werdenden Kinder bestmöglich ausgebildet werden und möglichst keiner zurück bleibt! Bei dem hängt alle Zukunft daran, dass Bildung oberste politische Priorität hat. Und glaubt ernsthaft jemand: wir seien an diesem Punkt? Das Gegenteil ist doch der Fall!

Auf der einen Seite binden wir uns durch Kooperationsverbot gegenseitig die Hände; auf der anderen Seite verschleudern wir auf Bundesseite Millionen, die auf Länderseite für bessere Schulen und bessere Betreuung dringend gebraucht werden. Und das gleich dreifach, den Vorwurf kann ich Ihnen nicht ersparen: erstens mit dem Lieblingsprojekt von Frau von der Leyen, den Bildungsgutscheinen, die einfach nicht fliegen wollen und nicht werden, selbst wenn Sie noch ein paar Millionen in die Werbung stecken. Zweitens durch ein familien-, frauen- und bildungspolitisch völlig verkehrtes Betreuungsgeld, mit dem Sie viel Geld dafür ausgeben, dass ausgerechnet die Kinder, die es am nötigsten hätten, nicht in öffentliche Einrichtungen gegeben werden.

Und drittens in dem Sie sich durch Steuersenkungen, auf die keiner wartet und die keiner will, selbst die Instrumente aus der Hand schlagen, um für bessere Bildung zu sorgen!

Das sind gleich drei völlig falsche Weichenstellungen. Und das ist verhängnisvoll in einem Land, das um seine Zukunft in einer veränderten Welt ringt!

Bildung ist der Schlüssel. Mehr Kooperation und mehr Investition die Instrumente. Dem darf sich eigentlich niemand verweigern, dem unsere gemeinsame Zukunft am Herzen liegt. Dass ausgerechnet die FDP auf ihrem Parteitag noch einmal die Beibehaltung des Kooperationsverbotes bekräftigt, wundert uns wenig. Es ist nur der x. Beweis, wie weit sich diese Partei von den Realitäten der Menschen in Deutschland entfernt hat.

In ihrer offiziellen Beschlusslage ist die Union noch nicht viel weiter. Aber Handlungsnotwendigkeiten erkennt inzwischen offenbar nicht nur die Wissenschaftsministerin! Das haben wir gestern gesehen, als mit Schleswig-Holstein eine CDU-geführte Landesregierung eine Bundesratsinitiative zur Abschaffung des Kooperationverbotes auf den Weg gebracht hat. Wenn man eine Legislaturperiode das Gegenteil vertreten hat und erst ein paar Wochen vor einer Landtagswahl eine Umkehr beschließt, ist das kein Vorgehen, das Glaubwürdigkeit fördert. Aber richtig ist’s trotzdem.

Deshalb nochmal:

Mehr Bildung geht nicht mit weniger Zusammenarbeit, erst recht nicht mit dem Verbot dazu! Das Kooperationsverbot war ein Irrtum, den müssen wir bereinigen, und das geht nur gemeinsam!

Wir legen Ihnen einen Vorschlag vor, den unsere Länder mittragen. Für diesen Vorschlag bitte ich Sie um Unterstützung!

Herzlichen Dank!