Man traut, ich weiß das, meine sehr verehrten Damen und Herren: man traut heutzutage Politikern in aller Regel leider kein hohes Maß an Selbstzweifel zu – und man liegt damit vermutlich oft auch nicht ganz falsch! Dennoch muss ich gestehen, dass ich schon ein wenig stutzte, als ich erfuhr, dass ausgerechnet ich von der Gesellschaft für deutsche Sprache gebeten wurde, auf dieser Veranstaltung die treffenden Worte zum Werk von Hape Kerkeling in Radio und Fernsehen zu finden.

Meine Wahrnehmung von der Wahrnehmung meiner Person in der Öffentlichkeit, in den Medien ist weder die eines eleganten, verzaubernden Unterhalters, noch, bedauerlicherweise, die einer Drohgestalt für die deutschen Zwerchfelle. Die Medien, erst Recht das Publikum, sind da unerbittlich.

Ganz anders liegt der Fall bei Hape Kerkeling: Im Zweifelsfall würde man ihm, diesem begnadeten Darsteller, auch noch die Rolle des Verwaltungsjuristen in der unteren Abwasserbehörde abnehmen und darüber in Tränen des Lachens ausbrechen. So etwas, das gestehe ich freimütig, macht neidisch. Auch als Wahlkämpfer hat Kerkeling ja schon Demoskopie- und Beliebtheitswerte erreicht, die, sagen wir es höflich, nicht jeder Vertreter der Sache der jetzigen Regierungskoalition für sich reklamieren kann!

Ich gebe zu, das war auch früher schon so! Ich habe mich eine Zeitlang damit zu trösten versucht, dass wir beide, Hape Kerkeling und ich, von der väterlichen Anlage her betrachtet, aus einem verwandten Metier stammen. Hape Kerkelings Vater, so habe ich gelesen, arbeitete als Schreiner, der meine als Tischler, was dasselbe ist. Dazu geographisch gar nicht einmal so weit entfernt voneinander. Der gemeinsame Nenner für die Arbeit unserer Väter ist daher einmal das Stoffliche, das Holz, zum zweiten natürlich unsere enge Einbindung in die biblische Geschichte. An unseren Holz gestaltenden Vorfahren, nennen wir nur den Heiligen Josef, ging, im weitesten Sinne, wenig vorbei. Jedenfalls nicht im Heilsgeschehen. So etwas verbindet, so etwas verpflichtet. In meinem Fall zum Bohren dicker Bretter, im Falle von Kerkeling zu den Brettern, die jedenfalls einen Teil seiner wunderbaren Welt bedeuten, wenn ich diese, in gleicher Weise kühnen, wie abgegriffenen Metaphern hier einmal verwenden darf.

Ich muss hier gleich noch einen zweiten Zweifel gestehen, diesmal keinen Selbst-, vielmehr einen Fremdzweifel: Als ich meiner Frau vom heutigen Auftritt erzählte, fragte sie mich auf eine Art, wie wir sie nur von denen dem Richterstand angehörenden Personen kennen, freundlich, aber doch etwas von oben herab: „Wie lange, glaubst Du denn, lieber Frank, wie lange denken die Leute bei Deinem Auftritt, Du seiest Steinmeier, und ab wann halten Sie Dich für Kerkeling oder Königin Beatrix und wenn Sie Kerkeling für Dich halten, ab wann halten sie dann den Hape Kerkeling für den besseren Steinmeier?“

Ich habe, meine Damen und Herren, vermutlich etwas typisch Beziehungs-Untaugliches geantwortet, so einen gedankenlosen Alltagssatz, wie: „Dazu haben wir keine Beschlusslage.“ oder „Das solltest Du besser mit der Fraktion klären.“ Ich gebe zu etwas abweisend, geradezu lakonisch! Und ich würde an dieser Stelle Ihren Unmut verstehen, meine Damen und Herren, ob meiner kurzen Antwort: Ehepartner haben in solchen Gesprächen Ausführlicheres verdient. Doch ich erwähne diese heimelig häusliche Szene gerade deswegen, weil mir, dem Zeitgenossen und alten Bewunderer von Hape Kerkeling, plötzlich und gerade frisch etwas ganz Substanzielles im Werk von Harpe Kerkeling aufgeleuchtet war und ich in aller Ruhe darüber nachdenken wollte: Ich rede vom Gedanken, vom Konzept des Individuums, der Person in all ihrer Vielschichtigkeit.

Das könnte jetzt länger werden, meine Damen und Herren, und reich an Fremdwörtern, aber seien Sie unbesorgt, ich habe von Hape Kerkeling gelernt, dass eine dramatische Aussage nicht notwendig durch ihre Ausführlichkeit an Schärfe gewinnt. Man denke nur an seine genialische und noch unübertroffene Verdichtung eines ganzen Librettos, das zu meinen Schulzeiten noch ein ganzes Reclamheftchen gefüllt hätte, auf ein gleichzeitig poetisch und vielsagendes „Hurz“! Daher nur zwei, drei Sätze:

Bei unseren intellektuellen Vorfahren, das Wort „unsere“ gebrauche ich hier mit Ihrer freundlichen Genehmigung  etwas freizügig, bei den Kirchenvätern also, stellte sich das Problem, was Substanz und was Erscheinung war. „Persona“ und „Substantia“, wenn Sie Wert auf den scholastischen O-Ton legen. Von den Römern hatten diese Denker den Begriff der Person übernommen. Ursprünglich stand dieses Wort „Person“ für eine Maske auf dem Theater, eine Rolle, ein flüchtiger Zug. Eine Person war die Maske, hinter der sich das Wesen verbarg. Die Maske konnte man sehen, was dahinter steckte, war Gottes Schöpfung, somit unergründlich..

Sie begreifen, meine Damen und Herren, warum man bei diesem, wenn Sie gestatten, orthodoxem Gedanken automatisch zur Gestalt des Hape Kerkeling weitergeführt wird. Ein Künstler, hinter dessen Person sich Erscheinungen wie der iranische Schachgroßmeister Mehdi Mikamadav, der Kleingärtner Rico Mielke und der litauische Fußballtrainer Albertas Klimawiszys, nein, nicht verbergen, geradezu aufbauen, ihre wesentliche Substanz entfalten; ein solcher Künstler muss sich mit den berühmten Philosophen des Personengedankens, muss sich entweder intensiv mit den Kirchenvätern Boethius oder Thomas von Aquin beschäftigt haben oder deren Ergebnisse gleichsam intuitiv aufgesogen haben. Auch dafür meinen Respekt, hoch verehrter Herr Kerkeling, auch hier bewegen Sie sich in einer Höhe, die uns Irdischen nur ein frommes, ein oft, wenn ich das so sagen darf, ungläubiges Blicken nach oben gestattet. Sie hören aus meinen Worten vielleicht einen leicht neidischen Unterton. Klar, jeder Politiker beneidet Kirchenväter. Das ist ja bekanntlich unser heimlicher Berufswunsch. Jedenfalls galt das bis vor kurzem!

Und ich gestatte mir an dieser Stelle eine kleine Abschweifung: Es steht bei dieser Veranstaltung, meine Damen und Herren, lieber Hape Kerkeling, Ihr Schaffen für die Medien Hörfunk und Fernsehen im Zentrum, und das hat natürlich seinen guten Grund und seine Berechtigung.

Wäre ich aber aufgefordert worden, über Ihre literarischen Verdienste zu sprechen, dann hätte ich gleich zu Beginn einfach nur ein paar der berühmten Namen ins Publikum herabperlen lassen, Namen, die Sie geschaffen, die Sie geprägt haben: Den Namen der so kompetenten Paartherapeutin Evje van Dampen. Den der Sängerin Uschi Blum, die mit ihren Liedern „Sklavin der Liebe“ oder „Ich denke nur noch an mich“, Karriere macht. Und allen voran naturgemäß den Namen meines großen Konkurrenten im letzten Wahlkampf um die Sitze im Bundestag: der Name des legendären Horst Schlämmer. Kollege der heute ebenfalls geehrten Bettina Gaus, nicht bei der TAZ, aber beim nicht minder bedeutsamen „Grevenbroicher Tageblatt“.

Jeder Name, das wissen wir nicht erst seit den Romanen von Thomas Mann, wirft ein treffendes oder eben charakteristisch nicht treffendes Licht auf die Gestalt, die vorgestellt werden soll. Die große Kunst, so kommt es mir als Leser und als Ihr Zuschauer vor, besteht eben darin, die Sache treffend, aber nicht zu überdeutlich zu gestalten. Eher eine kleine Wellenbewegung im Unterbewusstsein auszulösen als den Betrachter, den Zuschauer mit der Prügel auf den Hinterkopf zu hauen.

Sie, Herr Kerkeling, haben für mich bei der Taufe, bei der Namensgebung Ihrer Figuren auf eine beglückende, auf eine bestürzende Weise die optimale Form gefunden. Vor Horst Schlämmer habe ich immer noch einen Heidenrespekt, nicht nur wegen seines verwegenen Auftretens, sondern vor allem, weil sich seine Erscheinung immer im Rahmen des „schrecklich Möglichen“ bewegt. Er ist ja keine Karikatur, die man schon wegen ihrer Überdeutlichkeit so recht nicht fürchten muss. Es ist vielmehr eine Figur, eine Person, die man fürchtet, weil man ihr schon so häufig begegnet ist. In der Politik, in der Wirtschaft, nicht zuletzt in der Gastwirtschaft! Man ist dem Schnauzbart begegnet, der frechen Anmache, den volksfesten Meinungen und nicht zuletzt der Anmutung billigen Wermuts. Es überkommt mich, lieber Hape Kerkeling, in manchen Szenen meines Alltags das Gefühl, als seien Sie nicht nur Prophet, als sei vielmehr die von Ihnen angedeutete „Zeit der Götterschlämmerung“ bereits angebrochen.

Meine Damen und Herren, das mag jetzt ein wenig nach Untergang des Abendlandes geklungen haben, doch so verstörend war es nicht gemeint, außerdem wäre es ja ein Untergang mit Lachen, was - wenn schon Untergang - immer noch der bessere Ausgang wäre, jedenfalls wenn wir Hape Kerkeling und nicht Horst Schlämmer an unserer Seite  erwarten dürfen. Kerkeling ist eben auch das Prinzip Hoffnung, ist eben auch derjenige, der uns die Alternative zeigt.

Ich habe vorhin davon gesprochen, dass es die heimliche Hoffnung eines jeden Politikers ist, den Rang und die Würde eines Kirchenvaters zu erlangen. Klar, das war übertrieben, aber gelegentlich übertreiben auch Kirchenväter. Sie übertreiben wenigstens „ein Stück weit“, wie unsere Bundeskanzlerin an solchen Stellen gerne sagt. Vielleicht meint sie mit „Stück“ ja eine Aufführung, ein Event, eine Begegnung? Wer weiß, vielleicht lebt am Ende auch sie nur, wie Sie, meine Damen und Herren, wie ich nur, in derselben heimlichen Furcht vor den Begegnungen mit Horst Schlämmer.

Politiker, hier erzähle ich Ihnen etwas Brandneues, meine Damen und Herren, Politiker zeichnet ein gewisses Bedürfnis, fast eine klammheimliche Sehnsucht nach Wiedererkennung aus. Das unterscheidet uns wenigsten phasenweise von Hape Kerkeling, der allenfalls in der Person von Evje van Dampen, Uschi Blum oder Horst Schlämmer wieder erkannt werden will, doch nicht als die Substanz Hape Kerkeling, die uns vertraut und als guter Nachbar bleibt. Schon das rückt ihn unseren Herzen so nahe.

Wonach wir Politiker besonders streben, ist, Sie wissen das alle meine Damen und Herren, ein Ausspruch, ein Satz, modisch gesagt, ein Slogan, der sich unauflöslich mit unserem Namen verbindet. Auch der, an dem der Genuß des Großen Latinums vorbeigegangen ist, denkt gerne an Julius Caesar, als er sagte: „Die Würfel sind gefallen“. Seither kann niemand mehr an Würfel denken, ohne dass Caesar den Raum betritt – oder umgekehrt.  Der englische König Richard der Dritte, dafür sorgte Shakespeare, kann nicht in Vergessenheit geraten, wenn immer ein „Pferd für ein Königreich“ angeboten wird. Sir Winston Churchill wird uns jenseits aller Debatten über seine Politik im Gedächtnis bleiben, weil die vier Worte „Blood, Sweat and Tears“, „Blut, Schweiß und Tränen“ eben auch zu einem nicht mehr aus der Welt zu schaffendem Ohrwurm geworden sind.

Nehmen Sie dagegen einmal die fünf Worte, die Hape Kerkeling zur schon jetzt für mich als Kirchenvater belegbaren Unsterblichkeit verholfen haben: „Ich bin dann mal weg.“

Können Sie sich einen Politiker vorstellen, meine Damen und Herren, einen Julius Caesar, einen Richard III. oder einen Sir Winston Churchill, der dieses „Ich bin dann mal weg“ als heiteres Versprechen den Zuhörern entbietet?

Und wenn ja, dann bleibt immer noch der Unterschied, dass vom Politiker die Einhaltung dieses Versprechens erwaret wird, bei Hape Kerkeling die bald möglichste Beendigung seiner „absentia“! Darüber klage ich nicht, wünsche mir, dass seine schöpferischen Pausen immer nur von kurzer Dauer sind, freue mich mit großem Vergnügen auf die langen Zeiten zwischen den Pausen und gratuliere Hape Kerkeling von ganzem Herzen zum „Medienpreis für Sprachkultur der Gesellschaft für deutsche Sprache“.

Lieber Hape Kerkeling, bleiben Sie bitte Sie selbst und bleiben Sie um Gottes Willen wie wir. Wir brauchen das.

Und den allerherzlichsten Glückwunsch dafür, dass wir mit dieser Meinung nicht allein stehen! 

Ihnen allen herzlichen Dank!