Im Mittelpunkt der morgen beginnenden Ministerkonferenz des Europarates wird die Zukunft des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) stehen. Das Thema ist hochaktuell, da der Gerichtshof ein Opfer seines eigenen Erfolgs zu werden droht. Über 100.000 anhängige Verfahren aus 47 Mitgliedsstaaten stellen eine finanzielle und personelle Herausforderung dar, der der Gerichtshof in seiner gegenwärtigen Struktur nicht gewachsen ist. Seine bedeutsame Rolle als Wächter der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ist gefährdet.
Angesichts dieser schwierigen Situation ist es ein hoffnungsvolles Omen, dass Russland in Interlaken das Ratifizierungsdokument des 14. Zusatzprotokolls zur EMRK hinterlegen will. Mit der Ratifizierung des Protokolls im Januar hat die russische Duma nach jahrelanger Blockade den Weg freigemacht für Reformen des Gerichtshofs. Zwar wurden schon bisher interne Verfahrensabläufe vereinfacht und Verfahren beschleunigt; durch die wachsende Klageflut wurden viele Fortschritte jedoch auch wieder zunichte gemacht. Mit der Ratifizierung des 14. Zusatzprotokolls wird der Gerichtshof kurzfristig entlastet. Für die Zukunft ist es jedoch wichtig, dass in Interlaken eine politische Entscheidung auch für mittel- und langfristige Strukturreformen fällt.
Unabhängig davon müssen viele Mitgliedsstaaten so rasch wie möglich ihre nationalen Rechtssysteme reformieren. Deren Defizite verursachen schließlich die Arbeitslast der 47 Richterinnen und Richter am EGMR. Hier sind insbesondere die Türkei und Russland gefordert, von deren Bürgern die meisten Beschwerden eingehen. Wichtig ist auch die konsequente Umsetzung der Urteile in den betroffenen Mitgliedsstaaten. Dies kann dazu beitragen, künftig ähnliche Beschwerdefälle zu vermeiden und zugleich anderen Mitgliedsstaaten Orientierung zu geben. Seit 2008 unterstützt Deutschland den Human Rights Trust Fund, dessen Ziel es ist, die rechtliche Situation in Staaten mit einer besonders hohen Zahl an Beschwerden zu verbessern.
Die SPD-Bundestagsfraktion würdigt den Gerichtshof als bedeutendste Einrichtung des individuellen Menschenrechtsschutzes und unterstützt ausdrücklich alle Reformbemühungen, die ihm einen institutionellen Rahmen geben, in dem er seine menschenrechtlichen Aufgaben erfüllen kann.