Deutschland habe den Ungarn im Zusammenhang mit der deutschen Einheit viel zu verdanken, sagte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. Aber Deutschland dürfe zu den politischen Fehlentwicklungen in Ungarn nicht schweigen: „Das verlangt Position! Da gilt kein Wegdrücken“, forderte er.

Einen Tag vor der Bundestagsdebatte hatte das ungarische Parlament die vierte Verfassungsreform innerhalb von zwei Jahren beschlossen. „Mit jeder Reform macht sich Ministerpräsident Victor Orban und die konservative Fidesz den ungarischen Staat mehr und mehr zur Beute“, sagte Steinmeier. Rechtsstaat und Demokratie würden immer weiter beschädigt, und jeder, der sich diesem Kurs entgegenstelle, werde abgestraft.

Europäische Grundwerte mitten in der EU nicht missachten

So sieht die Verfassungsnovelle unter anderem vor, dass künftig nur noch staatliche Medien über Wahlkämpfe berichten dürfen. Das Verfassungsgericht darf die von einer Zweidrittelmehrheit im Parlament beschlossenen Verfassungsänderungen nicht mehr prüfen. Es wurde damit seiner Kompetenzen beraubt und als Verfassungshüter entmachtet. Zudem wurden in der Vergangenheit Richter und Staatsanwälte entlassen und durch Fidesz-Gefolgsleute ersetzt. Die unabhängigen Medien werden durch ein undemokratisches Mediengesetz unter Druck gesetzt, mit Lizenzentzug bedroht und mit bürokratischen Schikanen belegt. Auch das Wahlrecht wurde zugunsten der Fidesz-Partei zurecht gebogen und die Religionsfreiheit wird abhängig gemacht von der Regimetreue. „Das sind keine Anpassungen, das ist Raubbau an Demokratie und Rechtsstaat!“, stellte Steinmeier fest.

All dies werde von einem „dumpfen, völkischen Nationalismus“ begleitet, der nicht nur am äußersten rechten Rand gepflegt werde, sondern immer offener auch in der Partei des ungarischen Ministerpräsidenten. Die europäischen Grundwerte dürften nicht mitten in der EU missachtet und verletzt werden, sagte Steinmeier. Er forderte Bundeskanzlerin Merkel auf, beim EU-Gipfel in Brüssel auf eine Verurteilung der jüngsten Beschlüsse des ungarischen Parlaments hinzuwirken.

Der europapolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Michael Roth, fragte, wie in der EU mit der Infragestellung von Demokratie und den Grundwerten umgegangen werden sollte. Dazu stellte er fest: „Das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten von Nationalstaaten – ein Relikt aus dem 19. Jahrhundert – besteht nicht mehr in der Europäischen Union.“ Es gebe vielmehr die Pflicht der Einmischung. Der menschenrechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Christoph Strässer, forderte ein, dass deutsche Parlamentarier die Opposition in Ungarn unterstützen müssten. Die Beauftragte für Kirchen und Religionsgemeinschaften der SPD-Fraktion, Kerstin Griese,  wies auf die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen durch die ungarische Regierung hin, die zum Teil vom europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt wurden. So habe Ungarn Obdachlosigkeit verboten, diskriminiere Roma und auch Religionsgemeinschaften.

Anja Linnekugel