Angesichts der aktuellen Erklärungen aus dem FDP- geführtem Wirtschaftsministerium unter Leistung des früheren Gesundheitsministers Philipp Rösler, dass Marketing-Seminare für niedergelassene Ärzte zur Absatzförderung von Igel staatlich gefördert werden, nimmt die öffentliche Debatte wieder an Fahrt auf. Für Igel-Leistungen müssen gesetzlich Versicherte in ihren privaten Geldbeutel greifen, oft ist deren medizinischer Nutzen jedoch zweifelhaft.

Igel-Leistungen seit langem umstritten

Das Bundesgesundheitsministerium, das unter der Leitung von Röslers FDP-Parteifreund Daniel Bahr steht, sieht bisher keinen Grund, um die Einkünfte der niedergelassenen Ärzte aus den Igel und die damit verbundenen medizinischen Behandlung zu regulieren und statistisch zu erfassen. Dabei gibt es schon seit geraumer Zeit Kritik an den Individuellen Gesundheitsleistungen und der Verkaufspraxis eines Teiles der Ärzt_innen. Neben der SPD-Bundestagsfraktion und den anderen Oppositionsfraktionen kritisieren Vertreter_innen der gesetzlichen Krankenkassen und ihr Spitzenverband, von Verbraucherorganisationen sowie der Ärzteschaft das immer weitere Ausufern des Angebots an Igel. Denn diese unterliegen bislang keiner Qualitätskontrolle. Bei vielen Igel-Leistungen ist der Nutzen umstritten, einige bergern sogar erhebliche gesunheitliche Risiken.

Ferner: Marketing für Igel-Leistungen ist unzulässig

Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Elke Ferner erklärte dazu: „Auch nach den Vorgaben der Bundesärztekammer gelten Igel-Leistungen als Leistungen auf Verlangen des Zahlungspflichtigen“. Also dürfen Ärzt_innen Igel-Leistungen erst dann anbieten, wenn Patient_innen danach fragen. Demzufolge seien laut Ferner Marketingmaßnahmen für Igel-Leistungen nicht zulässig.

Die Einkünfte aus dem Verkauf von Igel-Leistungen erzielen die Ärzt_innen zusätzlich zu den Einnahmen aus der Behandlung von gesetzlich Versicherten.

Lauterbach: Staatliche Förderung von Markting-Seminaren sind ein Trauerspiel

Für Karl Lauterbach, den gesundheitspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion steht fest: „Igel-Leistungen ziehen wertvolle Arbeitszeit von den niedergelassenen Ärzten ab und lenken sie in fragwürdige Geschäftemacherei um", was von Röslers Wirtschaftsministerium auch noch gefördert und vergrößert werde. Lauterbach prangerte diesen Zustand als „unhaltbar“ an. Außerdem nannte der SPD-Politiker es ein „Trauerspiel“, dass der ehemalige Gesundheitsminister Rösler, der die Problematik der Selbstzahler-Angebote in den Arztpraxen kenne, dieses Vorgehen auch noch unterstütze.

Ans Licht gekommen war die staatliche Förderung von Ärzte-Verkaufsseminare durch eine Antwort aus dem Gesundheitsministerium auf eine Kleine Anfrage der Grünen. Die schwarz-gelbe Bundesregierung erklärte am 30. Juli lediglich gegenüber den Medien die Igel-Leistungen überprüfen zu wollen.

Schätzungen gehen davon aus, dass im Jahr 2010 in deutschen Arztpraxen Igel-Leistungen im Wert von 1,5 Milliarden Euro erbracht wurden. Im Vergleich zu 2008 sei der Igel-Umsatz um 500 Millionen Euro gestiegen.

Forderungen der SPD-Bundestagsfraktion zur Eindämmung von Igel_Leistungen:

Ein Verbot, am selben Tag GKV-Leistungen und Igel bei einer/em Patientin/en abzurechnen.

  • Einen verpflichtenden schriftlichen Behandlungsvertrag, eine schriftliche Rechnung sowie eine umfassende Informationspflicht des Arztes.
  • Eine Zahlungsverpflichtung der/s Patientin/en bei Formverstößen soll ausgeschlossen werden.
  • Der Igel-Katalog muss in der Praxis ausgehängt werden mit Informationen, warum die Leistungen nicht im GKV-Leistungskatalog enthalten sind.
  • Die GKV soll zu umfassender Aufklärung der Versicherten verpflichtet werden.
  • Regelmäßige Berichte über Igel sollen an die Bundesregierung gehen.
  • Vertragsärzte sollen den überwiegenden Anteil ihrer Arbeitszeit für die Behandlung von Versicherten der GKV mit Kassenleistungen verwenden.

Zu dem Antrag der SPD-Bundestagsfraktion soll in der nächsten Sitzung des Gesundheitsausschusses am 26. September eine öffentliche Anhörung beschlossen werden.

Hintergrund:

Bereits in den 1990er Jahren gab es Forderungen aus der Ärzteschaft, ihre Einkünfte zu erhöhen. Dazu sollten Leistungen aufgelistet werden, die nicht von den gesetzlichen Krankenversicherungen GKV) erstattet werden. Diese sollten individuell von den Patient_innen bezahlt werden. Im März 1998 stellte der damalige Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) Winfried Schorre auf einer Pressekonferenz eine Liste mit 70 Leistungen vor, die nicht zum Umfang der GKV gehörten. Eine gesetzliche Regelung dazu gibt es nicht. Im Laufe der Jahre kamen immer mehr Leistungen hinzu, so dass die Liste heute aus Sicht der vieler Fachleute sehr unübersichtlich und ihr Zustandekommen nicht mehr nachvollziehbar ist.