Hinsichtlich der Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung wird davon ausgegangen, dass sie – ohne Reform – bis 2015 gesichert ist. Die Pflegepolitik muss sich deshalb auf den demografischen Wandel einstellen.

Kurz vor der Sommerpause stand am 27. Juni 2013 die Pflegepolitik auf der Tagesordnung des Bundestages. In der Debatte ging die SPD-Fraktion mit der Bundesregierung hart ins Gericht.

Redes des gesundheitspolitischen Sprechers Karl Lauterbach

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Ständige Runden, neue Expertenbeiräte, Kommissionen und Gipfel hätten vier Jahre lang von der Untätigkeit der Bundesregierung und ihrer Uneinigkeit ablenken sollen, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Karl Lauterbach. Es wäre besser gewesen, wenn sich die Verantwortlichen mal vor Ort ein Bild über die Pflege gemacht hätten. Bundeskanzlerin Merkel habe sich in der gesamten Legislaturperiode kein einziges Mal zur Pflege geäußert. 2,5 Millionen Pflegebedürftige, 900.000 Beschäftigte in der Pflege und fünf Millionen betroffene Familien seien der Kanzlerin keine einzige Grundsatzrede wert gewesen. Die Kanzlerin trage eine Mitschuld für das Versagen in der Pflegepolitik.

Die schwarz-gelbe Bundesregierung habe nichts für eine nachhaltige und dauerhafte Finanzierung der Pflege getan, kritisierte SPD-Fraktionsvizin Elke Ferner. Denn eine umfassende Pflegereform, die auf einem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff beruhe, koste 5 Milliarden Euro zusätzlich. Dafür müssten die Beitragssätze entsprechend angehoben werden.

Rede der pflegepolitischen Sprecherin Hilde Mattheis

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Die Pflegeexpertin der SPD-Fraktion, Hilde Mattheis, warf Gesundheitsminister Bahr (FDP) Entscheidungsschwäche hinsichtlich eines neuen Pflegebegriff vor. Anstatt die Vorschläge des Berichts von 2009 umzusetzen, habe er einen neuen Bericht beauftragt. Damit habe Bahr vier wertvolle Jahre verstreichen lassen.

Ein Gesamtkonzept für die Weiterentwicklung der Pflege

Die SPD-Fraktion hat seit Beginn dieser Legislaturperiode an einem Gesamtkonzept Pflege gearbeitet, das breit mit Krankenkassen, Verbänden und Gewerkschaften diskutiert wurde. Im Juni 2012 hat die SPD-Fraktion ihre Forderungen schließlich als Antrag in den Bundestag eingebracht, der am 27. Juni 2013 abschließend beraten wurde. Grundlage für das Pflegekonzept war der Bericht des Fachbeirats von 2009 zu einem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff.

Neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff umsetzen

Die SPD-Fraktion will, dass Pflegebedürftige möglichst selbstbestimmt leben und am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Dazu gehört auch der Wunsch der meisten Pflegebedürftigen, so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden bleiben zu wollen. Dreh- und Angelpunkt für die Sozialdemokraten/innen ist die Umsetzung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs auf der Grundlage des Berichts des Fachbeirats von 2009, der 2006 unter der damaligen SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt seine Arbeit aufnahm und den Pflegebedürftigkeitsbegriff überprüfte.

Es steht fest, dass Pflegebedürftigkeit nicht nur daran bemessen werden darf, wozu Betroffene körperlich im Alltag noch in der Lage sind. Es geht auch darum zu beurteilen, inwieweit die Menschen geistig und mental ihren Alltag organisieren und bewältigen können. Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff soll niemanden schlechter, aber viele besser stellen. Die SPD-Fraktion will anstatt der heutigen drei künftig fünf Pflegestufen einführen. Darüber hinaus will sie einfache Beratungsangebote und Unterstützung ausbauen, um dem Wunsch der meisten Pflegebedürftigen, zu Hause bleiben zu können, zu entsprechen.

Pflegende Angehörige besser unterstützen

Pflegende Angehörige und andere Pflegende leisten eine herausragende und meist sehr schwere Arbeit. Für die meisten Angehörigen ist es selbstverständlich, sich um ihre pflegebedürftigen Partner und Partnerinnen, Eltern oder Kinder zu kümmern. Sie will die SPD-Fraktion dabei entlasten.

Sie brauchen Hilfe und Unterstützung, Zeit und eine gute Infrastruktur im Wohnumfeld. Dazu gehören barrierefreies Wohnen und Pflegeberatungsstellen – eben ein Wohnumfeld, das Pflegebedürftige und ihre Angehörigen berücksichtigt. Wenn Menschen pflegebedürftig werden, dann tritt das meist sehr plötzlich ein. Vieles muss schnell organisiert werden. Für die Angehörigen will die SPD-Fraktion deshalb den Anspruch auf eine bis zu zehntägige Freistellung mit dem Anspruch auf eine Lohnersatzleistung koppeln. Letzteres war in der Großen Koalition am Widerstand der Union gescheitert. Um den Angehörigen besser mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, sollen die wohnortnahen Pflegestützpunkte und andere Beratungsstellen ausgebaut werden. In den Ländern, die wie Rheinland-Pfalz im Zuge der Pflegereform von 2008 Pflegestützpunkte eingerichtet hatten, haben sich diese bewährt.

Außerdem will die SPD die von der Großen Koalition eingeführte sechsmonatige Pflegezeit zu einem Anspruch auf eine flexible Pflegezeit mit Lohnersatzleistung entweder über einen längeren Zeitraum oder für kurze Zeitabschnitte beansprucht werden kann, weiterentwickeln. Für Beschäftigte soll es in dieser Zeit Kündigungsschutz geben. Zusätzlich sollen Pflegezeiten rentenrechtlich höher bewertet werden. Pflege ist für die Angehörigen oder andere Pflegepersonen körperlich und auch mental sehr anstrengend. Sie brauchen Auszeiten, um sich erholen zu können. Dazu will die SPD-Fraktion die Ansprüche auf Kurzzeit- und Verhinderungspflege auf acht Wochen pro Jahr und die Leistungen dafür von derzeit 1510 Euro auf 3020 Euro erhöhen.

Gute Arbeit in der Pflege schaffen

Damit der Bedarf an Pflegekräften heute und künftig gedeckt und dem Fachkräftemangel entgegengewirkt werden kann, müssen die Arbeitsbedingungen in der Pflege verbessert werden. Nur durch gute Arbeit werden Pflegeberufe attraktiv. Dazu will die SPD-Fraktion die Ausbildung modernisieren. Künftig soll es eine generalistische Erstausbildung in der Alten-, Kranken- und Kinderpflege mit anschließender Spezialisierung und der Möglichkeit des beruflichen Aufstiegs geben. Dabei soll die Ausbildung solidarisch und nicht durch die Auszubildenden finanziert werden.

Durch Weiterbildung sollen bessere Aufstiegsmöglichkeiten geschaffen werden. Vor allem aber muss eine leistungsgerechte Bezahlung gewährleistet sein. Der Mindestlohn in der Pflegebranche war ein wichtiger Schritt hin zu guten tariflichen Löhnen. Zudem müssen die Lohnunterschiede zwischen Ost und West beseitigt werden.

Kommunen bei Pflegeinfrastruktur stärken

Die SPD-Fraktion will die Kommunen dabei unterstützen, eine gute Pfl egeinfrastruktur zu bieten. Dazu gehört auch die Förderung von altersgerechtem und barrierefreiem Wohnungsbau und der Wohnraumsanierung. Ebenso sollen ambulant betreute Wohngemeinschaften und Mehrgenerationenwohnen stärker gefördert werden. Zusätzlich gilt es, den Grundsatz „Prävention vor Rehabilitation vor Pflege“ durch Maßnahmen mit Leben zu erfüllen.

Gute Pflege kostet mehr

Die SPD-Fraktion ist sich bewusst, dass gute Pflege mehr Geld kostet. Umfragen zeigen, dass die Bevölkerung höhere Beiträge für eine bessere Pflege akzeptiert. Die solidarische und paritätische Umlagefinanzierung der Pflegeversicherung muss ausgebaut werden. Notwendig ist die Einführung der Bürgerversicherung Pflege. Damit wird auch auf der Finanzierungsseite ein gerechtes System geschaffen, das alle entsprechend ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit einbezieht und die Lasten fair verteilt.

Anja Linnekugel