SPIEGEL: In Bocholt ist einer Ihrer Parteigenossen gerade wegen Hassbotschaften gegen sich und seine Familie zurückgetreten. Ist das ein Einzelfall oder wird das zum politischen Alltag?

Oppermann: Ich habe Verständnis für seine persönliche Entscheidung. Aber es ist eine Niederlage für unseren freien, demokratischen Diskurs, der auf Rede und Gegenrede beruht. Wenn wir nicht aufpassen, wird er durch Lüge und Hass zerstört.

SPIEGEL: Anfeindungen und auch Lügen sind in der Politik nichts Neues. Hat sich in der politischen Kommunikation wirklich etwas verändert?

Oppermann: Ich sehe eine zunehmend Verrohung in der Gesellschaft insgesamt, für die es viele Gründe gibt. Aber die sozialen Medien tragen in besonderer Weise dazu bei. Deshalb brauchen wir jetzt dringend eine Verrechtlichung bei den Plattformen, die öffentliche Kommunikation anbieten. Unsere Grundrechte werden von privater Wirtschaftsmacht bedroht. Facebook verdient Milliarden und muss endlich auch Verantwortung übernehmen.

SPIEGEL: Wie soll das in der Praxis aussehen?

Oppermann: Die inhaltliche Verantwortung liegt primär bei den Nutzern der Plattform, das soll auch so bleiben. Aber Facebook muss sicherstellen, dass die Opfer dieser Verrohung sich schnell und effektiv zur Wehr setzen können, wenn die Grenze der Meinungsfreiheit überschritten wird und es zu unwahren Tatsachenbehauptungen oder gar Rechtsverletzungen kommt – was ja häufig geschieht.

SPIEGEL: Bei Verleumdung und übler Nachrede gibt es ja bereits rechtliche Mittel, um dagegen vorzugehen...

Oppermann: ...und das reicht nicht aus, wie wir sehen. Unser System ist gut, eigentlich reicht der gesetzliche Rahmen aus, aber es hakt eben bei den Faktoren Zeit und Reichweite. Facebook sorgt mit seiner großen Verbreitung dafür, dass solche Grundrechtsverletzungen enorme Auswirkungen haben und irreversible Schäden verursachen können. Wenn beispielsweise kurz vor der Bundestagswahl die unwahre Behauptung auftauchte, dass Wladimir Putin den Wahlkampf eines deutschen Politikers finanziert habe und das über soziale Medien massiv Verbreitung fände, hätte niemand bislang eine echte Chance, sich rechtzeitig und effektiv gegen diese Falschbehauptung zu wehren. Das muss sich dringend ändern.

SPIEGEL: Was verlangen Sie konkret?

Oppermann: Ich will soziale Netzwerke, die eine markt- und meinungsbeherrschende Stellung haben – und dazu gehören Facebook oder Twitter – gesetzlich dazu verpflichten, auf deutschem Boden eine an 365 Tagen im Jahr 24 Stunden erreichbare Rechtsschutzstelle einzurichten. Dorthin können sich Betroffene wenden, um zu belegen, dass Sie Opfer von Fake News oder Hassbotschaften geworden sind. Sie müssen das in geeigneter Weise glaubhaft machen, so wie das etwa bei Unterlassungsforderungen üblich ist. Zudem sollte die Rechtsschutzstelle Behörden bei strafrechtlichen Ermittlungen unterstützen.

SPIEGEL: Justizminister Heiko Maas hat bislang versucht, den Problemen mit Runden Tischen beizukommen. Markiert ihre Forderung einen Kurswechsel, auch im Namen der Großen Koalition?

Oppermann: Entscheidungen fallen erst, nachdem Heiko Maas im Januar die Ergebnisse eines Monitorings vorlegt. Aber schon jetzt ist klar: Wir brauchen eine härtere Gangart gegen diese Plattformen – gerade auch Facebook. Ich bin mir darüber im Grundsatz sowohl mit dem Justizminister als auch mit meinen CDU-Kollegen Volker Kauder einig. Heiko Maas hat sich sehr intensiv und lange bemüht, Brücken zu bauen. Facebook hat die Chance, das Beschwerdemanagement selbst effektiv zu regeln nicht genutzt. Im Ernstfall funktioniert es nicht, wie der Fall von Renate Künast gerade wieder gezeigt hat. Das ist ein intransparentes Mysterium, aber keine Rechtsschutzstelle.

SPIEGEL: Melden wird nicht reichen. Renate Künast und die „Süddeutsche Zeitung“ haben sich vorige Woche direkt bei Facebook über die sie betreffende Falschmeldung beschwert und dennoch geschah drei Tage lang nichts. Wie soll diese Rechtschutzstelle also funktionieren?

Oppermann: Ich stelle mir das so vor: Wenn Betroffene ihre Rechtsverletzung dort glaubhaft machen können und Facebook nach entsprechender Prüfung die betroffene Meldung nicht unverzüglich binnen 24 Stunden löscht, muss Facebook mit empfindlichen Bußgeldern bis zu 500.000 Euro rechnen. Und wenn die Betroffenen es wünschen, muss es zudem eine Richtigstellung mit der gleichen Reichweite geben, und zwar spätestens nach 48 Stunden.

SPIEGEL: Sie meinen, nicht nur auf den Profilen der Urheber einer Fake News? Sondern auch dort, wo sie geteilt wurde?

Oppermann: Genau. Das dürfte für die Facebook-Algorithmen keine Herausforderung sein. Ich sehe das auch im größeren Zusammenhang. Traditionelle Medien unterliegen einer harten rechtlichen Verpflichtung, Persönlichkeitsrechte zu schützen. Es kann nicht sein, dass die Plattformstrategie dazu genutzt wird, dies zu unterlaufen. Internet-Unternehmen wie Uber und AirBnB maximieren ihre Profite, ohne sich in irgendeiner Form um die sozialen Folgekosten zu kümmern. Stattdessen versuchen sie auch noch Steuern zu vermeiden. Für mich ist das Rosinenpickerei. Und dann kommt es auch noch unter dem Deckmantel einer sogenannten „Shared Economy“ daher, was solidarisch und sozialverträglich klingen soll.

SPIEGEL: Alle genannten Unternehmen sind global unterwegs. Was passiert, wenn Fake News oder Hassbotschaften von einem anderen Staat aus gepostet werden? Im US-Wahlkampf kamen ja auffallend viele aus dem Balkan.

Oppermann: Wer eine Straftat begeht, kann dafür belangt werden. Auch Facebook haftet für diese Nachrichten ab Kenntnis. Ob Renate Künast von Deutschland oder vom Balkan aus in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt wird, ist dabei unerheblich. Wir müssen nur dafür sorgen, dass das Recht effektiver durchgesetzt werden kann.

SPIEGEL: Sie wollen etwas durchsetzen, was Facebook-Gründer Mark Zuckerberg auf jeden Fall vermeiden möchte: Dass sein Unternehmen darüber entscheidet, was wahr ist und was gelöscht werden muss. Ist Facebook nicht schon mächtig genug?

Oppermann: Ich weiß, dass es hier um eine Gratwanderung geht. Wir wollen keine Meinungspolizei und keine Wahrheitskommission, schon gar keine privatwirtschaftliche. Auch einen Straftatbestand „Desinformation“ hielte ich für den falschen Weg, das wäre nicht kompatibel mit der Meinungsfreiheit. Aber wir müssen dringend einen Weg finden, dass Geschädigte gegen diejenigen wirksam vorgehen können, die bewusst Ehrverletzendes oder falsche Behauptungen in die Welt setzen. Das kann zu ganz übler Manipulation und Verzerrung der öffentlichen Meinungsbildung führen. Unser politisches System baut darauf auf, dass es zwar Meinungskampf und Meinungsvielfalt gibt, dass Fakten aber überprüfbar sind.

SPIEGEL: Ihr Vorschlag könnte einen Shitstorm im Netz auslösen – und massive Lobbying-Bemühungen. Ist ihnen klar, worauf Sie sich einlassen?

Oppermann: Wir müssen Facebook und die anderen jetzt stellen. Wenn wir die Dinge weiter laufen lassen, riskieren wir mehr als verärgerte Lobbyisten.

SPIEGEL: Wann soll das Gesetz kommen?

Oppermann: Wir sind noch in einem frühen Stadium. Und klar: ein solcher Vorschlag führt zu vielen Diskussionen. Es wird weitere Vorschläge geben. Heiko Maas ist federführend. Wir sollten noch vor der Wahl eine Lösung finden.

SPIEGEL: Der Widerstand von Facebook und Co. wird massiv sein. Denn damit kommen die Betreiber der Plattform ja in direkten Konflikt mit den Nutzern. Und es wird hohe Kosten verursachen.

Oppermann: Ja, natürlich. Das wird Facebook eine Menge kosten. Aber wer viel Geld verdient, hat eben auch Pflichten. Wir haben eine Sozialbindung des Eigentums. Facebook ist ein Gewerbebetrieb, und muss deshalb endlich Verantwortung für den Missbrauch der Plattform übernehmen. Wir haben einen alten Rechtsgrundsatz für Unternehmen. Er besagt, dass jeder, der mit seinem Geschäftsbetrieb eine Gefahrenquelle schafft, diese auch beherrschen können muss. Das muss auch für Online-Plattformen gelten.

SPIEGEL: Facebook hat bereits angekündigt, verstärkt gegen Fake News vorgehen zu wollen und setzt offenbar auf eine automatisierte Erkennung samt einem Bewertungssystem der Nutzer. Reicht Ihnen das nicht?

Oppermann: Das klingt gut. Aber wenn meine Rechte trotzdem verletzt werden, reicht das nicht. Dann brauche ich ein Verfahren, das schnell und mit hoher Bußgeldbewehrung erreichen kann, dass solche gravierenden Rechtsverletzungen gestoppt werden.

SPIEGEL: Facebook ist seit mehr als zehn Jahren global aktiv. Aber die Politik wacht erst jetzt auf. Weil Politiker von Hatespeech und Fake News selbst stark betroffen sind?

Oppermann: Natürlich erhöht das die Sensibilität. Aber dass wir erst jetzt aufwachen, stimmt nicht. Justizminister Maas arbeitet seit zwei Jahren intensiv an dem Thema. Jetzt kommt der Zeitpunkt, an dem wir deutlich machen müssen, dass wir uns als Rechtsstaat nicht selbst aufgeben und vor der vermeintlichen Übermacht von Facebook kapitulieren. Wir müssen als Staat die Grundrechte auch im Netz durchsetzen.

SPIEGEL: Wie geht es nach dieser Ankündigung weiter? Was ist der nächste Schritt?

Oppermann: Unions-Fraktionschef Volker Kauder und ich haben verabredet, dass wir das Thema gleich nach der Weihnachtspause intensiv angehen. Ich glaube, dass wir uns in der Koalition sehr schnell auf ein gemeinsames Vorgehen verständigen können.

 

Das Interview führten: Horand Knaup, Marcel Rosenbach