Frage: Herr Oppermann, Ihre Partei regiert seit bald einem Jahr geräuscharm in der Großen Koalition, die Umfragen stagnieren trotzdem bei 25 Prozent. Muss sich die SPD damit abfinden, dass mehr als Juniorpartner der Union nicht drin ist?

Antwort: Nein, die SPD ist eine Volkspartei. Und natürlich erheben wir Anspruch auf die Kanzlerschaft. Die Wähler fragen sich im entscheidenden Moment: Wer kann das Gemeinwesen in Zukunft am besten gestalten? Dafür bekommt man Mehrheiten.

Nur zum sicheren Verständnis: Sie glauben daran, dass es 2017 einen SPD-Kanzler geben könnte?

Das ist unser Ziel, ganz klar.

Um Angela Merkel aus dem Amt zu jagen, müsste die SPD vor der Union liegen, Rot-Grün eine Mehrheit erreichen oder eine Basis mit der Linken finden. Stand heute ist alles meilenweit entfernt.

Ja, so meilenweit entfernt wie die nächste Bundestagswahl. Unser Parteiensystem ändert sich derzeit im Jahresrhythmus: Piraten hoch, Piraten runter, FDP raus, AfD rein und vielleicht bald wieder raus. Vermeintlich sichere Prognosen haben sich schon oft ins Gegenteil verkehrt. Der Schlüssel für das Kanzleramt ist ein Wahlergebnis von über 30 Prozent. Und das wollen wir 2017 wieder schaffen.

Dazu fehlen Ihnen mehr als eine Handvoll Prozentpunkte. Wie wollen Sie die Lücke schließen?

Dieses Land war immer dann erfolgreich, wenn wirtschaftliche Kraft und sozialer Zusammenhalt zusammen gedacht wurden. Und genau diese Verknüpfung ist die besondere Stärke der SPD, darauf müssen wir uns wieder besinnen. So strahlen wir auch wieder Modernität aus.

Bei Gerhard Schröder hieß das „Innovation und Gerechtigkeit“. Muss die SPD wieder mehr Schröder wagen?

“Innovation und Gerechtigkeit“ ist auch heute uneingeschränkt richtig. Wir müssen den Menschen zeigen, dass wir für eine moderne Wirtschaftspolitik stehen und in der Lage sind, den Wohlstand zu sichern und dafür zu sorgen, dass alle Menschen daran teilhaben können.

Reicht dafür ein SPD-Wirtschaftsminister Gabriel aus?

Es ist ein großer Vorteil, dass wir einen Wirtschaftsminister haben, der für Wachstum und Innovation steht – und für die Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft. Diese Haltung muss jetzt auch die gesamte SPD einnehmen.

Und, tut sie das?

Sagen wir so: Wir sind in der Phase der Lockerungsübungen.

Bei TTIP, dem Freihandelsabkommen mit den USA, sind Ihre Genossen eher unlocker. Der Widerstand wächst.

Ich bin dafür, die Sorgen der Menschen ernst zu nehmen. Wir wollen die Globalisierung gestalten. Deshalb stehen für mich nicht die Risiken, sondern die Chancen des Freihandelsabkommens im Mittelpunkt. Wir haben jetzt die einmalige Chance, weltweit Standards zu setzen. Deshalb sollten wir alles tun, TTIP zu klaren Bedingungen abzuschließen: fairer Handel ohne Abstriche an unseren Standards etwa bei  Arbeitsschutz, Mitbestimmung, Ökologie, Verbraucherrechte, Kultur. Je transparenter die Verhandlungen dabei laufen, desto besser.

Können Sie versprechen, dass der Bundestag TTIP stoppt, wenn es die gewünschten Standards nicht erfüllt?

In diese Lage möchte ich gar nicht kommen. Ich will, dass TTIP ein Erfolg wird. Deutschland profitiert als Exportnation wie kein anderes Land in Europa vom freien Zugang zu den Märkten. Wenn TTIP scheitert, schaden wir uns selbst am meisten. Das darf nicht passieren.

Arbeitsministerin Andrea Nahles will Sanktionen mildern für junge Arbeitslose, die gegen Auflagen bei Hartz IV verstoßen. Wie passt das zu Ihrer Idee einer modernen Wirtschaftspartei?

Die Urteile der Sozialgerichte erfordern zwingend eine Vereinfachung des Gesetzes. Aber unser Anspruch bleibt: Sozialhilfe ist keine Daueralimentierung. Dass junge Menschen überhaupt von Hartz IV leben müssen, ist der eigentliche Skandal. Wir sollten all unsere Kraft darauf konzentrieren, diese Menschen auszubilden, zu qualifizieren und in Arbeit zu bringen. Ich will eine offene Gesellschaft, in alle die Chance haben, durch Bildung, Ausbildung und eigene Anstrengung ihren Lebensunterhalt zu verdienen und sozial aufzusteigen.

„Wir dürfen nicht von den Reichen nehmen, um den Armen zu geben.“ Einverstanden?

Wir wollen jedenfalls nicht den Reichtum bekämpfen, sondern die Armut überwinden.

Der Satz stammt von Ihrem Vorgänger Peter Struck, gesagt 1999.

Starke Schultern müssen mehr tragen als schwache. Aber wir dürfen das Steuersystem nicht überfordern. Was bei der Verteilung der Arbeitseinkommen schiefgeht, können wir durch Umverteilung mit Hilfe von Steuern später kaum noch korrigieren. Gerade deshalb muss die SPD auf eine starke Wirtschaft mit hohen Arbeitnehmereinkommen setzen. Allein in diesem Jahr sind die Tariflöhne um drei Prozent gestiegen. Bei einer Inflation von einem Prozent ergibt das ein Plus an Kaufkraft von zwei Prozent. Das gilt auch für den Mindestlohn, der über 10 Milliarden Euro Kaufkraft generiert. So viel könnten wir gar nicht über Steuern umverteilen.

Niedersachsen Ministerpräsident Stephan Weil will, dass die SPD gesehen wird „als Partei, die für Arbeitsplätze sorgt und Arbeitsplätze sichert“.

Richtig so. Wir wollen Vollbeschäftigung. Damit schaffen wir auch am ehesten soziale Gerechtigkeit. Wir müssen innovative, kreative Leute anlocken und sie dabei ermuntern, dass sie Risiken eingehen, Unternehmen gründen, Arbeit schaffen. Wenn sie das machen, müssen sie hinterher aber auch belohnt werden.

Das heißt konkret?

Dass man maßhalten muss, wenn man an der Steuer-Schraube dreht. Arbeit muss sich lohnen in Deutschland, für den Arbeitnehmer wie für den erfolgreichen Unternehmer. Wir müssen beide gleichermaßen wertschätzen.

Sie haben offenbar kein Problem damit, den alten FDP-Slogan „Leistung muss sich wieder lohnen“ zu kapern?

Der Slogan ist absolut richtig. Die FDP hat aber immer nur die Leistung ihrer eigenen Klientel gemeint, nicht die der einfachen Arbeitnehmer. Das war falsch.

Von Steuererhöhungen wird sich die SPD aber nicht generell verabschieden?

Nein. Aber wir werden auch nicht den Fehler aus dem letzten Wahlkampf wiederholen, uns mit den Grünen einen Überbietungswettbewerb um die schönste Steuererhöhung zu liefern.

Die Belastung durch Lohnnebenkosten und Steuern treibt deutsche Unternehmen längst nicht mehr so um wie etwa die marode Infrastruktur oder mangelhaft ausgebildeter Nachwuchs …

…und zu viel Bürokratie. Ja, wir leben im Augenblick von der Substanz. Was wir heute nicht in die Infrastruktur investieren, schmälert Spielraum und Chancen der nachfolgenden Generationen. Das ist wie bei der Staatsverschuldung eine Frage der Generationengerechtigkeit. Es gibt aber nicht den Ausweg, dass wir uns jetzt wieder verschulden. Warum sollte nicht privates Kapital in öffentliche Investitionen gelockt werden?

Die SPD will Straßen privatisieren?

Nein. Straßen und Schienen müssen ohne Wenn und Aber in öffentlichem Eigentum bleiben. Da müssen wir kreative Wege finden.

Glauben Sie, dass Sie genügend Kapitalgeber fänden?

Ja, Anleger haben in der Vergangenheit durch den Kauf riskanter Finanzprodukte Milliarden verloren. Heute sind auch bescheidene Renditen aus handfesten Investitionen gefragt – wenn sie verlässlich sind.