Die Beschlüsse in Sachen Steuern muss man schlichtweg Betrug nennen. Sie sollen angeblich kleinen und mittleren Einkommen zugutekommen. Tatsache ist: Sie haben lächerlich geringe Wirkungen für Menschen, die ein wirklich geringes Einkommen haben. Noch sind die schwarz-gelben Beschlüsse zu schwammig, um genaue Zahlen zu fixieren. Aber erste Schätzungen des Bundes der Steuerzahler zeigen, was gespielt wird: Die für 2013 angekündigte Steuerabsenkung von zwei Milliarden Euro bringt demzufolge für einen Geringverdiener 1,40 Euro im Monat. Wer hingegen den Spitzensteuersatz erreicht, bekommt 9,60 Euro im Monat. Wie Merkel, Rösler und Seehofer für so etwas eine Pressekonferenz ansetzen, ist eigentlich eine Frechheit. Hier wird mit der Gießkanne ein Milliardenbetrag über alle Einkommensgruppen so verteilt, dass die dicksten Tropfen auch noch bei den Besserverdienern ankommen. Was keinen einzelnen Menschen froh macht, entzieht Bund und Ländern in der Summe dennoch zuerst zwei Milliarden und dann insgesamt acht Milliarden Euro jährlich für dringend notwendige Investitionen. Und es sind Steuersenkungen auf Pump. Während Merkel von Montag bis Samstag beschwört, Europa müsse in der Schuldenkrise konsolidieren, beschließt sie an einem Sonntag, Geld zu verteilen, das der Finanzminister am Kapitalmarkt aufnehmen muss. Deutschland muss sich nach wie vor jedes Jahr kräftig neu verschulden.

Das Koalitionspapier vom Wochenende trägt den Titel „Wachstumskräfte in Deutschland stärken“ – noch ein schlechter Witz. Denn erstens ist alles erst für das Wahljahr 2013 geplant, das Wachstum aber droht schon heute einzubrechen. Und zweitens wird eine Steuermaßnahme, die weniger als ein Prozent des Gesamtaufkommens der Lohn- und Einkommenssteuer umfasst, das Wachstum nicht mehr als ein trockener Husten beeinflussen.

Kanzlerin missbraucht Mindestlohn für ein Täuschungsmanöver

Was den Geringverdienern wirklich hilft, das wäre der gesetzliche Mindestlohn. Er würde mehr als fünf Millionen Arbeitnehmern, 16 Prozent der gesamten Arbeitnehmerschaft, endlich wenigstens das Minimum an Einkommen bringen, das die Bedürftigkeit vermeidet. Der Mindestlohn würde den Steuerzahler um Milliarden entlasten, weil er nicht mehr Dumpinglöhne subventionieren müsste. Er würde zugleich Kaufkraft und Binnennachfrage nennenswert stärken. Darüber aber wurde am Sonntag nicht entschieden, wohl nicht einmal gesprochen. Beim gesetzlichen Mindestlohn hat die CDU vor ihrem Parteitag eine vieldeutige Ankündigung gemacht. FDP und zahlreiche Unionsvertreter lehnen den Mindestlohn ab, einzelne CDU-Leute sind dafür. So wird das nichts. Wir fordern Merkel auf, den Mindestlohn ins Parlament zu bringen. Da haben wir eine Mehrheit für den gesetzlichen Mindestlohn. Nur als Parteivorsitzende vom Mindestlohn zu reden, dann aber als Kanzlerin nicht zu liefern – das ist ein politisches Täuschungsmanöver, und ein Betrug an den Menschen mit geringem Einkommen.

„Betreuungsgeld“ ohne Gewinner

Beim irrsinnigen „Betreuungsgeld“ – der Bildungs-Fernhalteprämie – richtet Schwarz-Gelb großen Schaden an. Wir machen dies in einer Aktuellen Stunde des Bundestages zum Thema. Vergangene Woche noch hat die Union zum 50. Jahrestag des Anwerbeabkommens mit der Türkei landauf landab Reden darüber gehalten, wie wichtig das frühe Erlernen der deutschen Sprache für eine gelingende Integration sei. Das Entsetzen muss jetzt alle packen, die eine frühe Förderung und den Ausbau der Kita-Plätze voranbringen wollen: Rund zwei Milliarden Euro sollen verschwendet werden, um eine Prämie dafür zu zahlen, dass Kinder nicht in die Kita gehen. In Städten mit vielen Einwandererkindern, die dringend mit anderen Kindern deutsch sprechen und lernen müssen, ist das ein verheerender Schlag gegen die Integration. Zugleich warnen die Länder, dass der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz ab 2013 nicht zu halten ist, weil das Geld für den Ausbau fehlt. Die Antwort von Schwarz-Gelb darauf lautet, den Ländern durch verteilungspolitisch sinnlose Steuermaßnahmen noch einmal Einnahmeverluste aufzuladen. Wegen des für die Länder ab 2020 absolut geltenden Neuverschuldungsverbots bringt jede weitere Mindereinnahme den Zwang, Leistungen zu streichen. Schwarz-Gelb ist ein Zukunftsrisiko.

Absichtserklärungen durch wirksame Taten ersetzen

Auch die Krise Europas schwelt weiter. In der jetzigen Finanzkrise rächt sich, dass seit dem Zusammenbruch der Banken 2008 in der Substanz nichts erreicht wurde, um die Realwirtschaft zu stärken und die spekulativen Risiken der Finanzwirtschaft einzudämmen. Der G20-Gipfel von Cannes am 3. und 4. November hat wieder keine greifbaren Fortschritte gebracht. Bereits getroffene Absichtserklärungen wurden noch einmal mit einer Absichtserklärung bestätigt.

Keine Konkretisierung, kein Aktionsplan, keine Umsetzungsschritte, vor allem wieder kein Durchbruch bei der Einführung einer internationalen Finanztransaktionssteuer. Am Freitag dieser Woche wird der Bundestag über die Lage der Finanzmarktregulierung beraten. Die Forderungen der SPD-Bundesttagsfraktion, damit aus erklärten Absichten wirksame Taten werden: für die Finanztransaktionssteuer; für eine Trennung des hochriskanten Investmentbanking vom realwirtschaftlichen Kreditgeschäft; für eine strenge Regulierung des computergestützten Hochfrequenzhandels; für ein europaweites Verbot von ungedeckten Leerverkäufen und von spekulativen Kreditausfallversicherungen, bei denen die Erwerber der Versicherungsscheine gar kein Eigentum haben, das sie versichern wollen; für ein Verbot des spekulativen Rohstoffhandels ohne Bezug zum wirklichen Umschlag von Waren; für die Orientierung der Managerbezahlung am langfristigen Unternehmenserfolg und für die Begrenzung der steuerlichen Absetzbarkeit von hohen und höchsten Managervergütungen.

Wir haben in der Finanzkrise kein Erkenntnisproblem. Wir haben ein politisches Durchsetzungsproblem.