Deshalb können wir froh darüber sein, dass Joachim Gauck nun der gemeinsame Kandidat von SPD und Grünen ebenso wie von Union und FDP ist. Wir mussten dazu gewiss nicht überredet werden. Joachim Gauck war schon 2010 unser Vorschlag. Und es ist gut, dass er jetzt die Chance auf eine breite parteiübergreifende Mehrheit in der Bundesversammlung hat. Wir haben ihn vorgeschlagen wegen seiner Unabhängigkeit, wohl wissend, dass er kein eingeschworener Sozialdemokrat ist. Und wohl wissend, dass seine Unabhängigkeit mal für die eine und mal für die andere politische Partei auch Ärger mit sich bringen kann. Gerade weil er eine ihn prägende Biografie hat, die Respekt in breiten Teilen der Bevölkerung findet, und gerade weil er geradeheraus spricht, weil er, wo es notwendig ist, auch der Kontroverse nicht aus dem Weg geht, kann er für Deutschland in kritischer Zeit mit vielen Unsicherheiten ein guter und geachteter Präsident sein.

Die Gemeinsamkeiten von Union und FDP sind aufgezehrt

Bemerkenswert bleiben allerdings die Umstände der Kandidatensuche – Merkels Veto gegen Gauck und die im Alleingang von der FDP getroffene Entscheidung für Gauck einschließlich des jetzt schwelenden Zanks, wer da wen vorgeführt hat. Es bestätigt sich wieder und wieder, was wir seit 2010 beobachten: Die Gemeinsamkeiten von Union und FDP sind aufgezehrt, das Vertrauen ist zerstört, und zwar nicht nur das Vertrauen der Koalitionäre zueinander, sondern vor allem das Vertrauen der Menschen in diese Chaostruppe. Schwarz-Gelb hat als Regierungsbündnis keine Zukunft mehr und kann vor allem Deutschland in keine gute Zukunft führen. Rot-Grün ist die Perspektive für eine zukunftsgerichtete Politik.

Europa braucht Stabilität, Griechenland braucht unsere Hilfe

Die schwarz-gelbe Handlungsunfähigkeit erweist sich auch bei der Eurorettung. Just in den Tagen, in denen der Bundesfinanzminister das Parlament bittet, einem 155 Mrd.-Euro-Rettungspaket für Griechenland zuzustimmen – 130 Mrd. Euro neue Kredite und noch einmal knapp 25 Mrd. Euro als Übertrag aus der ersten Griechenland-Hilfe –, betreibt der CSU-Innenminister Friedrich ein unverantwortliches Hasardeur-Spiel, indem er über die Medien verkündet, Griechenland solle die europäische Solidargemeinschaft verlassen. Das ist ein Frontalangriff auf die eigene Regierung. Schlimmer noch: Die scheinbar schlichte Lösung, die Griechen aus der Euro-Gruppe rauszuschmeißen, ist an populistischer Verlogenheit kaum zu überbieten. Nicht nur fehlen die rechtlichen Instrumente für einen Rauswurf. Vor allem hätte der unkontrollierte Austritt verheerende Folgen. Noch in der Stunde, in der er verkündet würde, stünden die Menschen in Griechenland vor den griechischen Banken und Sparkassen Schlange in dem verzweifelten Versuch, das letzte mühsam Gesparte von ihren Konten abzuheben, während viele Wohlhabende es in den letzten Jahren schon außer Landes gebracht haben. Der chaotische Bankrott Griechenlands wäre unaufhaltsam, die öffentliche Ordnung eines EU-Mitgliedslandes geriete in Gefahr und andere Euro-Staaten wie etwa Portugal oder Spanien wären unmittelbar Zielscheibe neuer spekulativer Angriffe. Niemand sollte verschweigen, dass es dabei am Ende auch um Deutschland und deutsche Arbeitsplätze geht.

Den Euro erhalten

Wir müssen Stabilität in Europa zurückgewinnen. Das ist mit dem Griechenlandpaket bei Weitem noch nicht geschafft. Aber wenn wir das Risiko einer Ausweitung der Krise jetzt eindämmen und die Chance aufrecht erhalten wollen, den Euro zu erhalten, ist das Paket nötig.

Griechenland braucht unsere Hilfe. Und es ist richtig, diese Hilfe zu gewähren: Erstens kann niemand, der mit Verantwortung Politik macht, den Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung in der Hellenischen Republik in Kauf nehmen. Denn das wäre die wahrscheinliche Folge eines vollständigen Bankrotts des Landes Mitte März. Zweitens ist es im europäischen Interesse, die drohende Ansteckung von Portugal, Spanien und Italien zu verhindern. Ob Finanz- oder Realwirtschaft, eine Botschaft hören wir immer wieder: Wird Italien als drittgrößte europäische Volkswirtschaft in den Strudel gezogen, ist der Euro am Ende. Drittens handeln wir im deutschen Interesse. Denn wenn die Krise sich ausbreitet, wären die Abschreibungen deutscher Institute, die Verluste deutscher Unternehmen, der Einbruch an Wachstum für Deutschland verheerend. Es kann unserem Land, das 60 % seiner Wirtschaftsleistung im Außenhandel mit der EU erzielt, auf Dauer nicht gut gehen, wenn es Europa schlecht geht. Aus diesen drei Gründen trägt die SPD die Kredithilfen – und das sind akute Nothilfen – für Griechenland mit.

Allerdings sagen wir weiterhin sehr klar, dass unsere schon am ersten Griechenlandpaket geübte Kritik nur allzu berechtigt war. Die Rettungspolitik der mehrheitlich konservativen europäischen Regierungen und an vorderer Stelle der Regierung Merkel ist zu einseitig und zu ungerecht, um langfristig erfolgreich zu sein. Haushaltseinschnitte, die auch vor den Investitionen nicht halt machen, wirken kontraproduktiv. Und die soziale Schieflage der Anpassungsmaßnahmen gefährdet ihre Legitimität. So wie bisher kann es nicht einfach weiter gehen, sonst ist der Erfolg auch der zweiten Griechenlandhilfe gefährdet und der Hilfebedarf läuft weiter aus dem Ruder. Griechenland braucht Strukturreformen und eine funktionierende Verwaltung. Dazu gehört auch eine Finanzverwaltung, die endlich in der Lage ist, die Steuergesetze gegenüber den Wohlhabenden des Landes zur Geltung zu bringen. Der Staat muss Misswirtschaft, Klientelpolitik und Steuerhinterziehung bekämpfen. Das haben wir immer wieder betont. Dazu gehören auch Reformen auf dem Arbeitsmarkt, die auf mehr Beschäftigung angelegt sind. Dazu gehört eine bessere Qualifikation und höhere Produktivität der Arbeit.

Weg von Schuldzuweisungen

Damit aber überhaupt die realistische Chance besteht, diesen Weg zu gehen, müssen wir über eindimensionale Spardiktate und Schuldzuweisungen hinauskommen. Die Bundesregierung sollte sich ehrlich machen. Der neue Rettungsplan der Euro-Finanzminister geht von einer dramatischen Umkehrung der Verhältnisse der griechischen Staatsfinanzen aus: Aus einem Primärdefizit von rund 2,5 % des BIP in 2011 soll bereits 2013 ein deutlicher Überschuss und ab 2014 bis 2020 dann ein Primärüberschuss von 4,5 % des BIP werden. Das kann ohne Wachstum und ohne eine wirksame Sicherung der staatlichen Einnahmebasis niemals gelingen!
Merkel ist gefordert, die Augen zu öffnen: Das jetzt zu beschließende Griechenlandpaket setzt eine entschiedene Wachstumspolitik geradezu voraus, um Erfolg haben zu können.

Unsere Forderung nach einem Programm für den industriellen Wiederaufbau in Europa, auch in Griechenland und anderen südeuropäischen Krisenstaaten, ist kein Ersatz für eine Spar- und Reformpolitik, nein, ein solcher Aufbauplan ist eine zwingend notwendige Ergänzung und Voraussetzung, um den Erfolg von Spar- und Reformbemühungen überhaupt erst möglich zu machen. Er ist die Conditio sine qua non einer erfolgreichen Rettungspolitik. Und er ist der politische Rettungsanker, der den Menschen in Griechenland die Kraft gibt, radikalen Nationalisten und Aufpeitschern zu widerstehen. Das haben inzwischen fast alle Ökonomen begriffen. Selbst FDP-Politiker sind zu einer solchen Einsicht fähig, wie die jüngsten Verlautbarungen von Werner Hoyer zeigen, der jetzt an der Spitze der Europäischen Investitionsbank steht.

Die Bundesregierung ist in der Pflicht, ihre blinde Blockade aufzugeben und gemeinsam mit den europäischen Regierungen die strukturellen und finanziellen Voraussetzungen für solch ein ergänzendes umfassendes Wachstumsprogramm zu schaffen. Die Bemühungen des letzten informellen EU-Gipfels um die Fragen Wachstum und Jugendarbeitslosigkeit waren höchstens Trockenübungen. Hier muss der kommende Gipfel im März viel mehr liefern. Jetzt ist politische Bewegung notwendig. Insbesondere brauchen wir endlich einen konkreten Zeitplan für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer zumindest in der Eurozone, damit das Wachstumsprogramm ohne neue Schulden nachhaltig finanziert werden kann.

Den ESM robuster machen

Mehr Klarheit brauchen wir schließlich für den permanenten europäischen Rettungsmechanismus ESM. Fast in jeder europäischen Hauptstadt pfeifen es die Spatzen von den Dächern: Das Kreditvolumen von 500 Mrd. Euro, das im ESM-Vertragsentwurf vorgesehen ist, reicht nicht aus. Der ESM muss robuster werden, um Vertrauen zu schaffen. In dieser Frage wird die Bundesregierung und wird namentlich Kanzlerin Merkel immer wieder mit ihrer Salamitaktik und ihren Täuschungsmanövern konfrontiert: Seit zwei Jahren hat sie immer wieder Hilfsbedarf und Krediterhöhungen erst in Abrede gestellt, nur um sie dann doch mitmachen zu müssen. Wir haben das immer wieder kritisiert und Ehrlichkeit mit dem Parlament und dem Steuerzahler eingefordert. Nicht nur die Europäische Kommission, nicht nur Jean-Claude Juncker als Chef der Eurogruppe, auch der niederländische Finanzminister Jan Kees de Jager, der mit einer Rezession im eigenen Land konfrontiert ist, fordert jetzt eine Aufstockung. Und beim G20-Finanzministertreffen wurde über fast nichts anderes gesprochen. Niemand versteht mehr die Ausweich- und Vernebelungsrhetorik der deutschen Regierung. Wir fordern Angela Merkel auf, noch in dieser Woche Klarheit über die deutsche Position zu schaffen.