In ihrer zweiten Rede im Deutschen Bundestag weist die Abgeordnete Dr. Karin Thissen auf den Tierschutzbericht 2015 hin. Sie lobt die großen Fortschritte, die in den letzten Jahren erreicht worden sind (z. B. die Aufnahme des Tierwohls in das Grundgesetz), sowie den angekündigten Einsatz des Bundesministers Christian Schmidt, um die Schlachtung tragender Tieren zu verbieten. Den im Plenum debattierten Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sieht sie kritisch: Die Verwendung des Begriffes „Würde“ sei im Zusammenhang mit Tieren zu anthropozentrisch und würde die Debatte nur emotional aufladen, was eine sachliche Diskussion in Sachen Tierschutz erschwere. Dabei beruft sie sich auf  den wissenschaftlichen Tierschutz, der dem Motto „Wissen schützt Tiere“ folgen soll, wohingegen der emotionale Tierschutzes vorrangig auf dem sentimentalen Umgang mit Tieren basiert. Zum Schluss erwähnt die Bundestagsabgeordnete die schweren Arbeitsbedingungen der Tierärzte, die an Schlachthöfen arbeiten, und fordert dahingehend eine kritische Bestandsaufnahme und Verbesserungen..

Herr Präsident!
Meine Damen und Herren!
Kolleginnen und Kollegen!

Wir mussten eine Weile auf den Tierschutzbericht der Bundesregierung warten. Aber das ist in Ordnung. Gut Ding will schließlich Weile haben. Ich hätte mich gefreut, wenn die Seiten nummeriert gewesen wären. So ist es ein bisschen schwierig, darin zu lesen. Aber prinzipiell finde ich gut, dass er da ist. Ich finde auch gut, dass der Tierschutz in Deutschland in den letzten 50 Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen hat, dass sich das Thema Tierschutz inzwischen in den Wahlprogrammen fast aller Parteien wiederfindet und dass das Staatsziel Tierschutz 2002 in das Grundgesetz aufgenommen wurde. Eine Verbesserung des Tierschutzes ist somit politisch gewollt. Das finden wir gut. Die Kollegin Vogt hat es vorhin schon gesagt: Die SPD wird sich als Koalitionspartner vehement dafür einsetzen, dass es den Tieren am Ende der Legislatur besser geht als jetzt. Auch wenn vieles noch vage ist, so nimmt doch vieles schon Formen an.

 Ich möchte ein positives Beispiel aus dem Tierschutzbericht hervorheben. Es geht um das Kapitel, das sich mit dem Verbot der Schlachtung tragender Tiere beschäftigt. Ich habe mich beim Lesen darüber gefreut, dass konsequent der Begriff „tragende Tiere“ verwendet wird. Denn immer, wenn in den letzten Monaten darüber gesprochen wurde, ging es lediglich um das Verbot der Schlachtung tragender Rinder. Aber es betrifft genauso die Sauen. Ich habe auf einem Schlachthof gearbeitet. Es ist noch gar nicht so lange her, da wurde ich von einer Kollegin angerufen, die schon seit 25 Jahren auf dem Schlachthof arbeitet. Sie sagte mir: Morgen kriegen wir eine Lieferung von 80 hochtragenden Sauen, die geschlachtet werden. Karin, tu was! – Ich sagte: Was soll ich tun? Es ist nicht verboten. – 80 hochtragende Sauen, das bedeutet, dass 800 bis 1 200 Feten im Mutterleib ersticken. Ich habe übrigens bewusst Feten und nicht Ferkel gesagt, obwohl sie wie Ferkel aussehen. Das muss man sich einmal genau vorstellen und sich dabei überlegen, wie sich die Menschen fühlen, die an der Schlachtlinie stehen. Ich sagte zu meiner Kollegin: Ich kann nichts tun, es ist nicht verboten. Sie sagte: Dann sorge doch bitte dafür, dass es verboten wird.

Ich möchte nicht nur auf den vorliegenden Tierschutzbericht eingehen, ich möchte auch auf den vorliegenden Antrag von Bündnis 90/Die Grünen eingehen; das hat bis jetzt kaum jemand gemacht. Der Antrag der Grünen enthält einen Satz, der mir ein bisschen sauer aufstößt. Da heißt es: Die Bundesregierung soll aufgefordert werden, Tieren in der Landwirtschaft – ich zitiere – „ein würdiges Dasein“ zu ermöglichen. Mit diesem „würdigen Dasein“ habe ich so meine Probleme. Ich finde es grenzwertig, den Begriff „Menschenwürde“ auf Tiere zu übertragen. Das ist anthropozentrischer Tierschutz.  Ich habe trotzdem Probleme damit. Ich weiß, dass es unterschiedliche Definitionen des Begriffes „Würde“ gibt. Trotzdem habe ich Probleme damit, wenn man eine anthropozentrische Sichtweise zugrunde legt. Das führt meines Erachtens nicht zu einer Verbesserung des Tierschutzes.

Ich lege Wert darauf, festzuhalten: Wenn ich über Tierschutz rede, dann meine ich wissenschaftlichen Tierschutz, der nach der Devise „Wissen schützt Tiere“ handelt. Dazu zähle ich auch den ethischen Tierschutz; denn auch Ethik ist Wissenschaft. Ich möchte noch ein Beispiel aus Ihrem Antrag bringen, warum Wissen Tiere schützt. Sie fordern – ich zitiere wieder –, „das Tierleid auf Deutschlands Straßen und in den Schlachthöfen zu beenden“. Dazu muss man wissen, dass es auf jedem Schlachthof, wenn die Tiere angeliefert werden, einen Tierarzt gibt, der darüber entscheidet, ob die Tiere geschlachtet werden dürfen; das kann auch eine Tierärztin sein, aber ich gender das jetzt nicht alles. Er entscheidet darüber, ob ein Tier geschlachtet werden darf; denn nur gesunde Tiere dürfen geschlachtet werden. Er beurteilt auch, ob der Transport tierschutzkonform erfolgt ist und ob auf dem Schlachthof tierschutzkonform gearbeitet wird. Diese Tierärzte werden an der Ausübung ihrer Arbeit massiv gehindert. Das ist eher ein arbeitsrechtliches Problem, und das Arbeitsrecht ist ja ein originäres SPD-Thema.

Man muss einfach wissen, dass die Tierärzte, die letztendlich dafür da sind, das umzusetzen, was wir hier beschließen, massiv an der Ausübung ihrer Arbeit gehindert werden. Wir müssen uns einfach einmal überlegen, wie wir diesen Menschen helfen können. Dabei geht es nicht nur um die Tierärzte, sondern grundsätzlich um Menschen, die ihren Lebensunterhalt mit Tieren verdienen und dabei anständig bleiben wollen. Denen wird das Leben immer noch sehr schwer gemacht. Sie werden jetzt sagen: Wir sind die Legislative und nicht die Exekutive. Ich denke, man kann sich trotzdem des Problems bewusst werden und es anpacken. Das ist eine Sache, die auf Länderebene umgesetzt werden muss, aber wir alle sind gefordert, uns zu überlegen, was man da machen kann.