Klaus Hagemann warf der Koalition in seiner Rede vor, das Petitionswesen entgegen ihren Ankündigungen im Koalitionsvertrag nicht weiterentwickelt zu haben.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen!

Der Deutsche Bundestag beschäftigt sich zwar in jeder Sitzungswoche hier im Plenum mit Petitionen, aber es wird nur über Listen abgestimmt, und zwar ohne Debatte. Einmal im Jahr haben wir die Möglichkeit – das ist der Höhepunkt –, hier über das Petitionswesen und das Thema Petitionen öffentlich zu diskutieren. Heute diskutieren wir zu einer Uhrzeit – Frau Vorsitzende, diesbezüglich stimme ich Ihnen vollkommen zu –, wie ich es noch nie erlebt habe, seitdem ich Mitglied des Petitionsausschusses bin.

In der Zeit von Rot-Grün haben wir festgelegt, dass wir in der Kernzeit miteinander diskutieren. Ich verstehe nicht, warum die Fraktionsführungen der Koalitionsfraktionen diese Debatte so weit nach hinten geschoben haben. Es gibt doch gar keinen Grund, unsere Arbeit zu verstecken. Auch ihr von den Koalitionsfraktionen müsst eure Arbeit nicht verstecken. Ihr müsst doch nicht versteckt werden. Ihr macht, genauso wie wir, gute Petitionsarbeit. Deswegen habe ich überhaupt kein Verständnis dafür, dass man den Tagesordnungspunkt zeitlich so weit nach hinten geschoben hat.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Peter Röhlinger [FDP])

Wenn ich auf die Regierungsbank schaue, stelle ich fest, dass es dieses Jahr eine deutliche Verstärkung gibt. Kompliment an die Herren Staatssekretäre. Aber ich muss rügen, dass der Staatssekretär, der eben noch hier gewesen ist und dem die meisten Petitionen zugeleitet werden, nämlich der aus dem Bereich Arbeit und Soziales, nicht mehr anwesend ist. Dieses Ministerium ist nicht vertreten. Das will ich hier rügen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich muss sagen, dass es so aussieht, als wollten die Fraktionsführungen hier nicht zuhören. Mein stellvertretender Fraktionsvorsitzender ist anwesend; das freut mich.

(Zurufe von der FDP)

– Entschuldigung. – Damit signalisiert man den Petenten, dass man ihnen nicht zuhören will. Das schließe ich daraus, dass man die Debatte auf eine derart späte Tageszeit verschoben hat. Ihre Nervosität zeigt, dass ich gar nicht so falsch liege. Liebe Frau Piltz, das ist wohl der Grund, und diesen musste ich hier herausstellen.

(Otto Fricke [FDP]: Guck mal, wie es bei euch aussieht! Es sind weniger Sozialdemokraten als Liberale da!)

– Passen Sie auf, es zeigen immer drei Finger auf einen selbst zurück, wenn man mit dem Finger auf andere zeigt.

(Günter Baumann [CDU/CSU]: Sollen wir einmal in den Fraktionen durchzählen?)

Wenn ich mir den Koalitionsvertrag ansehe, der von Schwarz-Gelb vor drei Jahren geschlossen worden ist, dann sehe ich, dass dort steht – ich hatte die Hoffnung, dass es auch weiterentwickelt wird –: Das Petitionswesen soll weiterentwickelt und verbessert werden. – Was ist geschehen? Bisher nichts. Dort steht: Das Anhörungsrecht soll verbessert werden. – Was ist geschehen? Bisher nichts. Vom Kollege Thomae wurde in der Presse vorgeschlagen – das finde ich ganz toll; wir haben uns dem auch angeschlossen –, mehr Petitionen hier im Plenum zu behandeln und nicht nur einmal im Jahr über das Thema zu diskutieren. Was ist geschehen? Ich weiß es nicht, lieber Kollege Thomae, ich vermute, nicht viel; sonst würde es hier schon Vorlagen geben. Hier muss also noch etwas mehr Butter bei die Fische gegeben werden.

Petitionsrecht ist nicht nur der Kummerkasten der Nation. Unsere Frau Vorsitzende hat darauf hingewiesen. Das ist wichtig und die Hauptsache. Aber Petitionswesen bedeutet auch, die Bürgerinnen und Bürger am politischen Geschehen im Deutschen Bundestag teilnehmen zu lassen. Nach unserem Grundgesetz ist das die einzige Möglichkeit der Bürger, auf das politische Geschehen hier im Parlament, aber auch auf die Regierung direkt Einfluss zu nehmen. Das hat man nicht genügend herausgestellt

Wir haben im Jahre 2005 – Kollege Baumann hat darauf hingewiesen; er musste damals ein bisschen zum Jagen getragen werden –

(Günter Baumann [CDU/CSU]: Das sind Gerüchte!)

unter Rot-Grün eine Reform durchgeführt. Sie war gut. Wir haben die elektronischen Petitionen eingeführt. Wir haben die öffentlichen Petitionen eingeführt. Wir haben die Diskussionsforen eingeführt. Unsere Frau Vorsitzende hat deutlich gemacht, wie stark diese Möglichkeiten wahrgenommen werden und dass wir auf einem guten Weg sind. Der TAB-Bericht, also die wissenschaftliche Untersuchung, die das evaluiert, belegt, dass wir auf einem guten Weg sind. Von dieser Innovation, die wir damals im Petitionswesen gestartet haben – lieber Josef Winkler, liebe Gabriele Lösekrug-Möller, wir haben hier an einem Strang gezogen –, leben wir noch heute; aber es folgt nichts, es kommt nichts nach. Deswegen bitte ich darum, dass wir uns dieses Thema noch einmal zusammen ansehen.

Was ist bei den öffentlichen Anhörungen nicht alles besprochen worden? Wir haben öffentlich über Internetsperren diskutiert. Das Gesetz wurde zwischenzeitlich aufgehoben. Das Thema ACTA ist zu den Akten gelegt worden; auch damit haben wir uns im Petitionsausschuss beschäftigt. Zur Finanztransaktionsteuer liegt immer noch nichts vor; darüber wird immer noch beraten. Stichwort „Hebammen“: 200 000 Unterschriften waren eingegangen. Was ist geschehen? Bisher noch nichts. Es ist noch nichts Konkretes vorgelegt worden. Ich denke auch an das Beispiel Vorratsdatenspeicherung, an die Diskussion, die wir dazu geführt haben. 65 000 Mitbürgerinnen und Mitbürger hatten diese öffentliche Petition unterschrieben. Dreimal haben wir von der Opposition versucht, das Thema hier auf die Tagesordnung zu setzen, aber Sie haben dem nicht zugestimmt, obwohl der Rechtsanspruch gegeben war; denn die Koalition war zerstritten, und dies wollten Sie nicht zeigen.

Ähnliches gilt auch im Hinblick auf das Thema „Generation Praktikum“. Wir haben dazu eine Anhörung durchgeführt. Fünf, sechs Jahre hat es gedauert, bis ein paar Konsequenzen gezogen worden sind.

(Zuruf der Abg. Gisela Piltz [FDP])

Schließlich hat man eine Broschüre vorgelegt – Frau Piltz, es ist nun einmal so; die Wahrheit tut manchmal weh –,

(Beifall bei der SPD)

die man „Leitfaden für die Generation Praktikum“ nennt. 100 000 junge Menschen haben hier unterschrieben, aber es ist nichts dabei herausgekommen. Die jungen Menschen sind enttäuscht worden. Das ist der falsche Weg. Ich könnte Ihnen weitere Beispiele nennen, aber meine Redezeit ist leider zu Ende.

(Michaela Noll [CDU/CSU]: Es reicht auch! – Dr. Daniel Volk [FDP]: Gott sei Dank ist sie zu Ende! – Günter Baumann [CDU/CSU]: War eigentlich irgendetwas positiv im letzten Jahr?)

– Es ist schwierig, die Wahrheit zu ertragen, Herr Kollege, nicht wahr? Wie sieht es im Hinblick auf die Beschlüsse zu Berücksichtigungen oder Erwägungen aus, die wir gemeinsam gefasst haben?

(Dr. Peter Röhlinger [FDP]: Die Redezeit ist vorbei!)

Nur die Hälfte von ihnen ist von der Regierung bisher erledigt worden.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege?

Klaus Hagemann (SPD): Ich komme zu meinem letzten Satz. – Das muss konsequenter aufgearbeitet werden; denn Petitionsrecht ist auch Teilhabe an der Politik.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])