Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Novelle des Tierschutzgesetzes ist nicht ausreichend. Heinz Paula erinnert in seiner Rede daran, dass die Gesetze an die Tiere angepasst werden müssen - und nicht umgekehrt.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wissen, dass die Bundesregierung sehr selten gelobt wird – zu Recht.
(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Wir loben und preisen sie jeden Tag!)
Ihre Arbeit zeichnet sich in der Regel dadurch aus, dass man zerstritten und planlos ist und sich permanenten Richtungswechseln aussetzt. Frau Ministerin Aigner ist hier weiß Gott keine Ausnahme. Im Gegenteil! Es ist inzwischen fast legendär: Mittlerweile hat sie den Titel Ankündigungsministerin.
(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Stimmt!)
Vor einem Jahr erschien der Tierschutzbericht der Bundesregierung. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Damals kam bei mir eine gewisse Hoffnung auf, dass sich hier endlich einmal etwas bewegt, dass sich diese Bundesregierung und diese Regierungskoalition endlich einmal gegen die immer gleich jammernden Lobbyisten durchzusetzen vermögen. Denn es steht auf 62 Seiten schwarz auf weiß wirklich alles, was die Situation unserer Tiere anbelangt. Dazu kann ich nur sagen: Kompliment an die Mitarbeiter, die das Ganze erarbeitet haben.
Bei mir war, wie gesagt, eine gewisse Hoffnung da, dass sich jetzt endlich etwas bewegt. Dann allerdings kam die sogenannte Novelle des Tierschutzgesetzes. Damit wird man sehr schnell, sehr brutal auf den Boden der Realität zurückgeholt. Von all den guten Ansätzen im Tierschutzbericht findet sich in der Novelle das Allerwenigste wieder. Nach den Ausführungen des Staatssekretärs Peter Bleser muss ich feststellen: Das Ganze kommt sogar noch schlimmer; darauf werde ich später eingehen.
Lassen Sie mich einige Punkte herausgreifen. Beim Thema Tierversuche finde ich es zunächst einmal positiv, dass die EU-Tierversuchsrichtlinie entsprechend umgesetzt werden soll und hier die ersten Ansätze vorhanden sind, zum Beispiel bei der Umsetzung des3-R-Prinzips – Sie kennen das –: vermeiden, vermindern, verbessern. Gut so! Aber wieso wird dann kein klarer gesetzlicher Auftrag zur Förderung und Verbreitung von 3-R-Methoden und von tierversuchsfreier Forschung direkt im Tierschutzgesetz als Vorrangziel verankert? Meine Sorge ist: Im Verlauf des Verfahrens wird das Ganze auf dem Verordnungsweg sehr schnell verschüttgehen, und damit wäre eine Riesenchance vertan.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Da wir gerade beim Tierelend sind: Die Bundesregierung benennt im Tierschutzbericht in der Tat alle Probleme, die wir haben, etwa die betäubungslose Kastration und das Kupieren von Schwänzen bei Ferkeln. Sie verweist auf die Diskussion über die Käfighaltung von Legehennen. Auch der völlig überflüssige und schmerzhafte Pferdeschenkelbrand soll verboten werden. Die Bundesregierung, Herr Staatssekretär, scheint alle Probleme wirklich zu kennen. Aber was macht sie konkret daraus? Schlicht und ergreifend nichts! Das ist leider die brutale Wahrheit.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ferkel sollen doch tatsächlich erst in Zukunft nicht mehr betäubungslos kastriert werden. Man stelle sich vor: Millionen von Ferkeln werden bis 2017 sinnlos traktiert, obwohl es – Herr Staatssekretär hat darauf hingewiesen – eine Fülle von Ersatzmethoden gibt, die um ein Vielfaches tiergerechter wären. Schweine, Geflügel, Rinder werden für die Haltung entsprechend „zurechtgestutzt“, und zwar mit dem Segen der Bundesregierung und der schwarz-gelben Koalition. Es wird weiterhin ignoriert, dass die Tiere in Deutschland völlig unnötig Angst und Schmerzen ausgesetzt sind.
Einzig beim Schenkelbrand schien doch tatsächlich die Vernunft Einzug zu halten und hier ein entsprechendes Verbot auszusprechen. Aber, Kolleginnen und Kollegen, ich muss einmal ganz ehrlich sagen: Hier ist ein Vertreter der Bundesregierung anwesend. Seine Ministerin schlägt vor, den Schenkelbrand zu verbieten. Dann aber wird vom zuständigen Staatssekretär die Gültigkeit des Struck’schen Gesetzes betont: Schauen wir einmal, ob das Ganze in dieser Form irgendwann rechtskräftig wird. – Ja, wo leben wir denn hier eigentlich, wenn sich die Regierung derartig selbst zerlegt? Ich kann nur sagen: Kompliment, Herr Schenkelbrandbeauftragter Stier!
(Dieter Stier [CDU/CSU]: Gute Bezeichnung! Vielen Dank!)
Mir scheint, Sie haben gute Arbeit geleistet. Aber ich sage Ihnen ganz ehrlich: Auch da sind Sie absolut auf dem Holzweg.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU)
Lassen Sie mich zu einem weiteren Punkt kommen. Es ist zunächst einmal richtig, dass der Tierschutzbericht der Bundesregierung alle Probleme im Bereich der gesamten Produktionskette der landwirtschaftlichen Nutztiere anspricht. Zu lange Transportwege sollen vermieden werden – das können Sie auf Seite 16 des Berichts nachlesen –, die Schlachtung soll tierschutzgerechter erfolgen. Jetzt stellt sich wieder die spannende Frage: Was macht die Bundesregierung? In diesem Bereich wie üblich nichts! Es gibt faktisch keine Begrenzung der absoluten Tiertransportdauer. Wir hören immer wieder von Frau Ministerin Aigner, dass Deutschland Vorbild im Bereich des Tierschutzes wäre. Ich frage mich: Wo sind wir denn angesichts dieser unsäglichen, miserablen Arbeitsbedingungen im Bereich der Schlachtbetriebe Vorbild?
(Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Ein Skandal!)
Das Ausland betreibt im Grund genommen einen Schlachttourismus nach Deutschland. Wir kennen doch die Situation in den Schlachthöfen: Akkordarbeit und Hungerlöhne. Bei über 59 Millionen getöteten Schweinen im Jahr ist die Fehlerquote in den Schlachtanlagen bei der Betäubung derartig hoch, dass man im Grunde nur von einem Skandal sprechen kann.
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das stimmt nicht, Herr Paula! Sie wissen auch, dass das nicht stimmt!)
Kurz gesagt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und FDP: Sie verweigern die Chancen, die Sie hätten, komplett. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich bin etwas überrascht. Wann öffnen Sie endlich die Augen? Ihre eigenen Minister in den Landesregierungen haben über 50 Änderungsvorschläge im Bundesrat eingebracht. Einige wenige werden angenommen. Das ist auch gut so; das lobe ich ausdrücklich. Aber das Gros fällt komplett unter den Tisch, nämlich wenn es darum geht, konkrete Verbesserungen durchzuführen, zum Beispiel bei tierschutzwidrigen Amputationen und Manipulationen wie Schnabelkürzen.
Wie Sie wissen, richtet sich der Verbraucher inzwischen komplett anders aus. Das zeigen auch Umfragen Ihres eigenen Ministeriums. Die Handelskette Rewe zum Beispiel setzt sehr stark auf die Verantwortung gegenüber den Tieren. Selbst Wiesenhof geht mit der Privathofhaltung neue Wege, die wir nur unterstützen können.
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ein Augsburger als Werder-Fan!)
Das sind Ansatzpunkte, durch die sich etwas in die richtige Richtung bewegen kann. Aber dazu ist es auch notwendig, dass die Bundesregierung endlich in der Wirklichkeit ankommt und die Themen, die in der Öffentlichkeit breit diskutiert werden – bewusste Ernährung, tierschonende und nachhaltige Landwirtschaft –, entsprechend Einzug finden.
Allerdings kommen einem manchmal Zweifel, wenn man sieht, was von der Regierungskoalition vorgelegt wird. Ich habe hier zum Beispiel ein Papier zur Position der CDU/CSU gegenüber der Landwirtschaft mitgebracht. Die sieben Seiten sprechen Bände.
(Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Gut, gell?)
Noch dünner geht es wohl nicht. Darin steht, dass der Tierschutz einzig und allein – wie heißt es so schön? – mehr Werbung bedarf. Die Agrarforschung wird zwar auch erwähnt, aber die Öffentlichkeitsarbeit scheint Ihnen einer der wichtigsten Punkte zu sein. Ansonsten kann ich im Sinne von Tierschutz nicht viel aus diesem Papier herauslesen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Menschen in unserem Land kennen die wirklichen Probleme im Bereich des Tierschutzes. Im Gegensatz zur Bundesregierung und zu der sie tragenden Regierungskoalition werden die Wählerinnen und Wähler die Konsequenzen daraus ziehen: Steinbrück wählen.
Ich bedanke mich sehr herzlich.
(Beifall bei der SPD)