Wir als SPD-Bundestagsfraktion fordern, die Regeln für die Verbringung havarierter Schiffe in geeignete Nothäfen und Notliegeplätze zu überprüfen.
Sehr geehrte/r Frau/Herr Präsident/in,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
das Risiko fährt mit – das zeigt der Fall des im Nordatlantik verunglückten Containerfrachters „MSC Flaminia“.
Der wachsende Schiffsverkehr in Nord- und Ostsee bedeutet auch ein steigendes Gefahrenpotenzial für Meere und Küsten, und mit der Dynamik des Containerverkehrs rücken die Transportrisiken beim Seeversand von Gefahrgut stärker in den Blick.
Auf Seeschiffen, die gefährliche Ladung befördern, stellen Feuer, Leckagen und Schiffsunfälle ein besonderes Risiko dar und stellen Reederei und Besatzung vor große Herausforderungen. Das rasche Aufsuchen eines Notliegeplatzes kann wesentlich zum Erfolg des Unfallmanagements beitragen.
Doch im Falle der unter deutscher Flagge fahrenden „MSC Flaminia“ war lange Zeit kein rettender Hafen in Sicht.
Erst nach wochenlanger Irrfahrt durch den Nordatlantik und einem heftigen Streit unter den Anrainerstaaten wurde schließlich die Bundesrepublik Deutschland als Flaggenstaat aktiv, und das verunglückte Schiff konnte unter Koordination des Havariekommandos von Schleppern durch den Ärmelkanal über das zum Weltnaturerbe zählende Wattenmeer zum JadeWeserPort gebracht werden; im Tiefwasserhafen wird das Schiff nun entladen, und die beschädigten Container und das mit Giftstoffen belastete restliche Löschwasser sollen entsorgt werden.
Trotz aller Anstrengungen, die Sicherheit im Seeverkehr zu verbessern, zeigt das Beispiel der „MSC Flaminia“: Es besteht Handlungsbedarf.
Wir brauchen mehr Rechtssicherheit und Rechtsklarheit in künftigen Krisensituationen.
Zu prüfen sind zum einen die bestehenden Notfallkonzepte auf EU-Ebene, zum anderen die aktuellen Sicherheitsvorkehrungen für den Gefahrguttransport.
Notwendig sind praxistaugliche Vereinbarungen für Seenot-Fälle.
Seit Jahren fordern Experten die Bereitstellung von sicheren Häfen oder Notliegeplätzen, in denen havarierte Schiffe Zuflucht finden können.
Die Erfahrung bisheriger Havarien hat gezeigt, dass bei rechtzeitiger Zuweisung eines Notliegeplatzes die Folgen für die Umwelt und damit auch die finanziellen Folgeschäden weitaus weniger gravierend gewesen wären.
Denn das Anlanden in einem sicheren Hafen erlaubt es, effektivere Hilfe zu organisieren, als dies auf See möglich wäre.
Erste Versuche zur Regelung internationaler Sorgfalts- und Verfahrenspflichten bei der Zuweisung solcher Notliegeplätze wurden als Reaktion auf die Havarie des Frachters „Pallas“ 1998 und den Unfall der Tanker „Erika“ und „Prestige“ in den Jahren 1999 und 2002 unternommen.
Mit drei Gesetzgebungspaketen hat die EU seither dafür gesorgt, dass die Sicherheitsstandards im europäischen Seeverkehr erheblich erhöht worden sind.
Nach der Havarie der „MSC Flaminia“ stellt sich jedoch die Frage, ob dies ausreichend war.
Die EU-Bestimmungen schreiben den Mitgliedstaaten zwar Notfallpläne und das Vorgehen in einer Krisensituation vor. Das uneingeschränkte Recht, einen Nothafen anlaufen zu dürfen, ist jedoch weder in internationalen Übereinkommen noch im EU-Recht oder in nationalen Regelungen niedergelegt.
Gemäß den EU-Richtlinien und den Vorgaben der International Maritime Organization hat der betreffende Mitgliedstaat, zu dessen Notliegeplatz ein havariertes Schiff Zugang erbittet, eine umfassende Interessenabwägung zu treffen. Der Zugang darf nur verwehrt werden, wenn die Gefahren durch ein Einlaufen des Unglücksschiffes größer wären als bei einem Verbleib auf See.
Gleichwohl sehen die EU-Vorgaben keine ausdrückliche Ausweisung von Notliegeplätzen vor; diese obliegt einer Einzelfallentscheidung der jeweiligen nationalen Behörde.
Unkalkulierbare Risiken und ein Containerterminal im Industriegebiet – mit diesem Argument hat denn auch beispielsweise Frankreich die Aufnahme des Frachters im Hafen von Le Havre abgelehnt.
Die Benennung eines Nothafens hilft aber nur dann, wenn dieser im Notfall auch tatsächlich angelaufen werden kann.
Die Abweisung eines havarierten Schiffes durch Anrainerstaaten beruht häufig auf fehlenden Informationen, mangelnder Kooperation der betroffenen Staaten und einem schlechten Krisenmanagement.
Wir als SPD-Bundestagsfraktion fordern daher, die Regeln für die Verbringung havarierter Schiffe in geeignete Nothäfen und Notliegeplätze zu überprüfen. Dies betrifft insbesondere die Kriterien für die Festlegung des auszuweisenden Nothafens bzw. dessen Beschaffenheit und Ausrüstung mit Sicherheitsvorkehrungen.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Partnerländer über ausreichende Informationen über die sicheren Häfen verfügen. Dazu sollte das gemeinschaftliche Überwachungs- und Informationssystem für den Schiffsverkehr fortentwickelt werden, wobei die nationalstaatlichen Kompetenzen zu berücksichtigen sind.
Es muss sichergestellt sein, dass Schiffe in Not die nächstgelegenen und am besten geeigneten Nothäfen oder Notliegeplätze schnellstmöglich anlaufen können.
Die Bergung der „MSC Flaminia“ wird nach aktueller Einschätzung bis zum Jahresende dauern. Das Schiff hatte mehr als 2.800 Container geladen, davon enthielten rund 150 Gefahrgut.
Der Anteil der Gefahrgüter am gesamten Güteraufkommen im Seeverkehr beträgt nach Schätzung von Experten rund 30 Prozent; bei den Containerlinienverkehren sind es demnach zwischen 15 und 20 Prozent.
Die International Maritime Organization (IMO) hat auf den wachsenden Trend zur Containerisierung reagiert und die international geltenden Vorschriften kontinuierlich angepasst. Sie regeln verbindlich, wie der Transport von Gefahrgut auf Containerschiffen zu erfolgen hat. So sind denn auch keine Unfälle bekannt, die auf fehlende Vorschriften zurückzuführen wären.
Das Problem ist vielmehr die Nichtbeachtung bzw. die falsche Anwendung der Bestimmungen.
Immer wieder wird Gefahrgut, ob nun aus Unwissen oder absichtlich, von den Versendern falsch oder unzureichend deklariert und dann verschifft. Ein Großteil von Unfällen und Vorkommnissen mit Ladung jeglicher Art ist auf die falsche Deklaration der Waren zurückzuführen – eine Problematik, die insbesondere Gefahrguttransporte aus Asien betrifft.
Notwendig sind verlässliche Informationen über Vorfälle mit gefährlichen Gütern und ein Höchstmaß an Transparenz, um die Risiken beim Transport verpackter gefährlicher Güter zu minimieren. Die SPD-Bundestagsfraktion hat dazu eine Reihe von Vorschlägen auf den Tisch gelegt.
Sinnvoll ist aus unserer Sicht eine Meldepflicht für nicht ausreichend oder falsch deklariertes Gefahrgut und eine zentrale Datenbank, um den Informationszugang und –austausch zwischen den nationalen Behörden zu erleichtern.
Denkbar sind auch gemeinsame Kontrollen der Seefracht durch die für Gefahrgut zuständigen nationalen Behörden und die Zollverwaltungen.
Zu diskutieren ist darüber hinaus, ob nach dem Vorbild des Luftverkehrs ein neuer Status „bekannter Versender“ einzuführen ist, um eine sichere Lieferkette auf See zu gewährleisten.
Bei der Erstellung der sog. schwarzen Listen von Schiffen, die im Zuge der Hafenstaatkontrolle durch Sicherheitsmängel aufgefallen sind, sollten künftig auch unzuverlässige Versender berücksichtigt werden.
Dies sind konkrete Vorschläge, die an bestehende Vorschriften anknüpfen und diese fortentwickeln.
Wir brauchen möglichst einheitliche und weltweit anerkannte Standards für den Gütertransport auf See und das Notfallmanagement – damit wir sagen können: mit Sicherheit kein Risiko.
Hinweis: Diese Rede wurde zu Protokoll gegeben