Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir beraten heute in erster Lesung einen Antrag der SPD-Fraktion zum Kinderschutz. „Kinderschutz wirksam verbessern: Prävention im Kinderschutz optimieren Förderung und frühe Hilfen für Eltern und Kinder stärken“ lautet der Titel. Es ist nicht das erste Mal, dass wir im Bundestag über den Schutz von Kindern debattieren. Zuletzt war das 2009 der Fall. Oft gaben schreckliche Fälle Anlass zur Debatte. Wir glaubten dann, ganz schnell reagieren zu müssen. Die letzte Regierung, die Regierung der Großen Koalition, hatte noch einen Gesetzentwurf zum Kinderschutz vorgelegt. Dieser wurde aber nach einigen Verhandlungen und trotz Verbesserungen nicht nur von uns, der SPD, sondern auch von der Fachwelt bzw. den Fachverbänden abgelehnt, und das aus gutem Grund; denn Kinderschutz braucht Besonnenheit, Fachwissen, Fachkenntnisse und Sachverstand und keine Schnellschüsse.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Obwohl wir versucht haben, noch etwas zu ändern, und viel Arbeit hineingesteckt haben ich war daran beteiligt , finde ich unsere Ablehnung gut; denn wir dürfen nicht unter tagesaktuellem Druck handeln. Das wird weder den Kindern noch unserer Arbeit gerecht. Wir müssen zudem die Fachwelt, die sich täglich mit dem Thema befasst, einbeziehen. Wir dürfen nicht von oben nach unten verordnen. Vielmehr muss der Weg von unten nach oben gehen. Das ist die richtige Vorgehensweise.
Ich möchte deutlich herausstellen, dass ein Grund, warum wir das Ganze abgelehnt haben, war, dass die Balance zwischen Prävention und Intervention im Gesetzentwurf im Gegensatz zu unserem jetzigen Antrag nicht gegeben war. Es gab kein ausgewogenes Verhältnis. Nun stellt ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Prävention und Intervention die Grundlage unseres Antrags dar.
(Beifall bei der SPD)
Ich möchte grundsätzlich betonen: Der größte Teil der Eltern erzieht seine Kinder gut
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)
und gibt sich redlich Mühe. Fehler darf man machen. Schließlich sind wir alle Menschen. Manchmal brauchen Eltern Hilfen, obwohl sie alles gut machen. Die Eltern wollen Hilfen ohne Diskriminierung annehmen können. Insbesondere Eltern mit hoher Gefährdung dazu gehören zum Beispiel Eltern mit Suchtproblematik muss Hilfe gewährt werden. Aber im Notfall müssen auch Maßnahmen der Intervention greifen. Deshalb enthält unser Antrag ein Bündel an Maßnahmen, die ergriffen werden sollen.
Bereits 2005, mit der letzten Reform, dem Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz, haben wir den § 8 a SGB VIII, den sogenannten Kinderschutzparagrafen, verändert. Wir haben eingeführt, dass schnellere Meldungen erfolgen: Dazu braucht es aber auch Fachkräfte, die tatsächlich mit einem solchen Fall umgehen können. Auswirkungen dessen sind bisher nicht analysiert worden; zumindest liegt dem Parlament nicht vor, dass eine Auswertung stattgefunden hat. Es ist keine Schwachstellenanalyse vorgenommen worden, und nach wie vor besteht beim Kinderschutz ein Mangel an Zahlen und Statistik. Wir wollen die Umsetzung des § 8 a überprüfen und feststellen, inwieweit Handlungsbedarf gegeben ist.
Das Nächste ist: Wir haben 2000, als wir die gewaltfreie Erziehung ins BGB eingeführt haben, festgestellt, dass Eltern Hilfe brauchen, also der § 16 SGB VIII die Förderung der Elternkompetenz und der Erziehungsfähigkeit beinhalten muss. Wenn man jetzt nachforscht, bemerkt man, dass das Ganze nicht wie gewollt umgesetzt wird. Auch diesen Paragrafen wollen wir genau anschauen, damit er zielgerichteter Hilfen zur Förderung der Erziehungskompetenz in den Mittelpunkt stellt.
Wir haben eine weitere Schwachstelle entdeckt. Sie besteht darin, dass gefährdete Eltern und deren Kinder häufig Ortswechsel vornehmen und umziehen. Damit es besser klappt und die Hilfe wirklich nahtlos und ohne Lücke übergeht, müssen wir Wert darauf legen, dass die Zuständigkeitswechsel reibungslos funktionieren. Wir werden nicht fordern, dass man ein entsprechendes Verfahren genau festschreibt. Meines Erachtens werden die Fachleute wissen, wie es auszugestalten ist. Wir müssen jedoch darauf achten, dass diese Schwachstelle ausgemerzt wird.
(Beifall bei der SPD)
Wichtig ist - das ist im Kinder- und Jugendhilfegesetz seit 1991 in Westdeutschland festgeschrieben; ich werde nicht müde, es zu sagen -, dass alle am Wohlergehen des Kindes Beteiligten zusammenarbeiten. Diese Kooperation ist gesetzlich verankert. Wir wollen, dass alle Berufsgruppen, die mit Kindern arbeiten, die ihre Berufsgruppe betreffende Gesetzgebung noch einmal daraufhin überprüfen, an welchen Stellen die Kooperation so wie im Kinder- und Jugendhilfegesetz verpflichtend festgeschrieben werden kann. Das ist im Sinne einer guten Kooperation und schnellen Hilfe wichtig, damit sich keine Berufsgruppe und niemand sonst davonstehlen und sagen kann, das interessiere ihn nicht. Dazu gibt es gute Beispiele über das Nationale Zentrum Frühe Hilfen, das festgestellt hat, wo es klappt, zum Beispiel in Rheinland-Pfalz mit dem Projekt „Guter Start ins Kinderleben“, in dessen Rahmen man die Kooperation beispielhaft umsetzt.
(Norbert Geis (CDU/CSU): Oder in Bayern!)
Ja, auch in Bayern. Das wollte ich gerade sagen; ich komme ja aus Bayern. Dort gibt es die KoKis, die Koordinierenden Kinderschutzstellen. Ich nenne nur einige gute Beispiele; es gibt im Bundesgebiet viele davon.
Ganz wesentlich ist Folgendes: Kinderschutz ist natürlich Aufgabe aller am Leben von Kindern Beteiligten, aller mit Kindern Lebenden, zuallererst Aufgabe der Eltern; an sie gerichtet habe ich schon Dank gesagt. Aber auch Erzieherinnen und Erziehern, Lehrern und Lehrerinnen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Jugendämter danke ich hier noch einmal ausdrücklich; denn sie stehen immer vor der Alternative, zu schnell oder zu spät zu intervenieren, und laufen somit ständig Gefahr, von diesen Mühlsteinen zerrieben zu werden. Diesbezüglich richtige Entscheidungen erfordern eine hohe Qualifikation; auch darauf müssen wir achten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Kinderschutz ist aber nicht nur für diese Gruppen von Bürgerinnen und Bürgern wichtig, sondern für alle, weil es eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung und Aufgabe ist. Deswegen müssen die Rechte der Kinder auf Schutz, Förderung, Beteiligung und kindgerechte Lebensverhältnisse in dem Gesetz niedergelegt werden, in dem all das niedergeschrieben ist, was die Gesellschaft als wichtig für das Zusammenleben befindet, nämlich im Grundgesetz.
Packen wir das Ganze deshalb gemeinsam an. Unsere Kinder haben es verdient, dass wir uns mit großer Ernsthaftigkeit und gegenseitigem Respekt ihrem Aufwachsen in Wohlbefinden widmen und uns darum kümmern. Ich bin bereit. Positive Signale habe ich von der gestrigen Anhörung aus dem Ministerium bekommen. Wenn dies der Startschuss für ein gemeinsames Finden von Lösungen für unsere Kinder ist, dann bin ich guten Mutes, dass wir es hinbekommen.
Danke schön.
(Beifall bei der SPD)