"Michael Sommer geht es um die Sache. Um nichts sonst – aber das unerbittlich," sagte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier in seiner Rede zum 60. Geburtstag des Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes. "Soziale Gerechtigkeit, Chancen für alle, ein besseres Leben: Diesem Ziel hast Du Dein Leben gewidmet, Deine Energie und Deinen Einsatz."

Sehr verehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
und vor allem: lieber Michael Sommer!

Zu Deinem 60. Geburtstag gratuliere ich Dir von Herzen! Ich wünsche Dir Glück, Gesundheit, auch im kommenden Lebensjahrzehnt ausreichend Anlässe für gute Laune; heute Lobreden, die Du ertragen kannst. Und ich wünsche Dir – wenn alles Offizielle vorbei ist – mit Ulrike und all denen, die Dir wichtig sind, einen schönen Geburtstagsabend.

Ein 60. Geburtstag würde für ‚ne ordentliche Feier ja schon ausreichen. Aber wenn ich das bei Michael Sommer richtig sehe, häufen sich gerade die runden Jubiläen, die fast eine Lebensgeschichte erzählen. Vor 60 Jahren geboren, vor 40 Jahren in die Postgewerkschaft eingetreten, vor 10 Jahren zum Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes gewählt (der wiederum selbst vor einigen Jahren sein 60jähriges Bestehen feierte). Das hast Du alles ziemlich gut getimet!

Lieber Michael!

Aber - auch und vor allem - geht es um den heutigen 60. Geburtstag. Und wer kommt da als Redner schon an Curd Jürgens und seiner Zwischenbilanz „60 Jahre und kein bisschen weise“ vorbei? Vorbei kommt man daran nicht. Aber so recht will sie nicht passen, die Koketterie mit dem Alter und der Weisheit.

„60 Jahre und kein bisschen leise“, das entspricht eher dem Michael Sommer, den ich kenne. Und Wahrnehmbarkeit im besten Sinne ist das, was er von sich und seiner Rolle erwartet.

„Kein bisschen leise“, ja, das ist auch Lautstärke, aber eben in seinem Fall als Ausdruck von echtem Engagement, von Leidenschaft für die Sache, und von ungebrochener Hartnäckigkeit.

Und mit der Weisheit ist das in politischen Jobs ja ohnehin so ‘ne Sache! Das gesteht man sich selbst gerne zu. Wenn das „Lob der Weisheit“ von anderen kommt, ist das bei Jobs, wie wir sie haben, häufig genug ein Kompliment mit Ambivalenzen, und mindestens leise schwingt die Vorbereitung auf’s Altenteil mit, wenn sie nicht sogar ausdrücklich gemeint ist! Solche Missverständnisse will ich ausdrücklich vermeiden. Und Du vermeide bitte jeden eigenen Gedanken an ruhige Tage. Das können wir nicht gebrauchen.

Was wir weiter brauchen ist nicht die Weisheit des Elfenbeinturms, sondern „geistige Unabhängigkeit“, wie Du sie vorlebst – die Fähigkeit, nach vorn zu denken, es auszuhalten auch quer zu liegen zum Mainstream, Entwicklungen früher zu sehen als andere und Wege zu erkennen, die andere noch nicht gesehen haben.

Alles das, diese Fähigkeiten brauchen starke deutsche Gewerkschaften, die die Zukunft dieser Gesellschaft mitformulieren, und von der Politik hoffentlich nicht nur in der Krise gefragt sind.

Ich persönlich bin Michael Sommer besonders dankbar dafür, dass er stärker als viele andere die internationale Dimension von Gewerkschaftsarbeit, von Politik überhaupt, mitdenkt und auch lebt.

Sharan Burrow wird (gleich nach mir) noch mehr dazu sagen. Aber auch ich habe das hautnah miterlebt, etwa auf gemeinsamen Reisen in meiner Zeit als Außenminister. Wir haben gemeinsam mit indischen Gewerkschaftern in Neu Delhi diskutiert, als Indiens Weg in die globale Wirtschaft sich abzuzeichnen begann. Wir haben in Peking diskutiert mit der Vertretung der chinesischen Wanderarbeiter, die weit entfernt sind von gewerkschaftlicher Vertretung und mühsamst dafür kämpfen, kleinste Mindeststandards für’s schlichte Überleben festzulegen.

Sein internationales Engagement als Präsident des Internationalen Gewerkschaftsbundes ist für ihn keine Nebenbühne, sondern eine echte Herzensangelegenheit.

Danke, Michael, dass Du auch Hilfestellung gibst, über unseren nationalen Tellerrand zu schauen. Und danke, dass Du soziale Gerechtigkeit im globalen Maßstab denkst!

Kein Zweifel: Bei den Themen hat Michael Sommer meist die Nase vorn. Aber nicht allein da. Es würde ihm nie und nimmer reichen, intellektueller Stichwortgeber und Vordenker zu sein. Gleichzeitig, und voller Einsatz, kämpft er für die Umsetzung seiner Ideen. Eben „nicht leise“, sondern er erhebt die eigene Stimme auch für die, die allein zu leise wären.

Nun ist es ja nicht ganz einfach, Vordenker zu sein oder Vorkämpfer, oder gar beides zusammen.

Denn eine gute Vorlage macht noch kein Tor – Michael Sommer hat lange selbst hinter den Ball getreten und kennt diese Weisheit aus dem Fußball. Und er hat erfahren, dass sie auch in der Gewerkschaft und in der Politik gilt. So haben sich seine Initiativen vielleicht manchmal an den Konjunkturen der Öffentlichkeit gebrochen. Das ein oder andere Mal mögen die Strukturen seiner eigenen Organisation im Weg gestanden haben.

Ihn zeichnet aus, dass er sich auch von Gegenwind nie hat entmutigen lassen – zum Glück. Und zum Glück hat ihn der rauhe Wind, der uns im  politischen Geschäft um die Nase weht, auch nicht glattgeschliffen, abgestumpft, oder zynisch werden lassen.

Er ist überhaupt ein Mensch, der nicht so einfach in die ein oder andere Schublade zu stecken ist.

Und so verbieten sich bei Michael Sommer allzu einfache Vorfestlegungen. Er ist mit Leidenschaft und Überzeugung dabei, ohne zu eifern. Er ist fair, erwartet diese Fairness aber auch von anderen. Er ist kritisch geblieben, ohne bärbeißig zu werden. Er ist unnachgiebig in seinen politischen Forderungen – und hat sich gleichzeitig eine feinsinnige, ja schöngeistige Seite bewahrt.

Nicht umsonst treffen wir uns ja heute hier im Berliner Ensemble. Brecht und Arbeiterkampf, Kampf gegen Erniedrigung und Kultur – das ist Arbeiterkultur, wie sie anders, aber immer noch lebt. Die in manchen Kreisen vielleicht zu vorschnell totgesagt oder als moralisierend abgetan wurde – nicht aber von Michael Sommer.

Denn wenn Brecht im „guten Menschen von Sezuan“ die Prämisse formuliert, „gut zu sein und doch zu leben“, dann ist das aktueller denn je:

Kriegen wir es hin, die Widersprüche zwischen individueller Moral und Mechanismen des Marktes aufzuheben, im Hier und Jetzt – auch gegenüber entfesselten Finanzmärkten und anonymen Marktmächten?

Kriegen wir es hin, allen Menschen ein besseres Leben zu ermöglichen?

Dieses Ziel, lieber Michael, eint uns über manche streitige Debatte hinweg, dieses Ziel (und Dein Einsatz dafür) hat unser Verhältnis immer bestimmt.

Und Debatten, auch Streit, hat es natürlich gegeben. Wir wissen das beide, und blicken gemeinsam auf die ein oder andere auch harte Auseinandersetzung in der Sache zurück. Wir waren nicht immer einig darüber, welche Schritte als erstes zu gehen sind, damit wir unser gemeinsames Ziel erreichen. Du hast manchmal als Rückschritt gesehen, was für mich ein Fortschritt war – und umgekehrt.

Aber jeder, der schon einmal mit Dir diskutiert hat, weiß: Dem Michael Sommer geht es um die Sache. Um nichts sonst – aber  das unerbittlich! Um soziale Gerechtigkeit, Chancen für alle, um ein besseres Leben: Diesem Ziel hast Du Dein Leben gewidmet, Deine Energie und Deinen Einsatz.

Dein „Weise-Sein“ liegt darin, dieses Ziel immer neu zu formulieren, wenn sich die Umstände änderten; und nicht davon abgewichen zu sein, als der Zeitgeist anders dachte.  Und Dein „Nicht-Leise-Sein“ liegt darin, dass Du für diejenigen sprichst, deren Stimme allein nicht laut genug ist, genau dieses einzufordern.

60 Jahre – das ist Zeit für eine Zwischenbilanz, aber auch eben nur Zwischenbilanz. Da darf man zurückschauen auf das Erreichte und darauf darfst Du stolz sein! Aber man tut es in der Gewissheit, dass noch ganz viel kommt. Selten war so deutlich, wie in diesen Zeiten, was noch zu tun ist. Gerechtigkeit ist unsere gemeinsame Aufgabe. Und dafür brauchen wir Dich!

Herzlichen Glückwunsch, lieber Michael, und vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!