Stellungnahme von Willi Brase MdB zum SPD-Antrag an die Bundesregierung zum Thema "Gutes Leben, Gute Innovationen, Gute Arbeit – Politik für ländliche Räume effektiv und effizient gestalten" im Bundestag
Der zuständige Berichterstatter für Ländliche Räume der SPD-Bundestagsfraktion, Willi Brase, hat in seiner Rede im Deutschen Bundestag u. a. auf die unmenschlichen Arbeitsbedingungen in Tiermastbetrieben hingewiesen. Werkvertragsarbeitnehmer würden teilweise Stundenlöhne um drei Euro verdienen. Das sei beschämendes Lohndumping, dem die Bundesregierung tatenlos gegenüberstehe.
Der Wortlaut der Rede im Einzelnen:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Kauder, wenn das so schön wäre mit der Union in den Großstädten, dann wären die letzten Wahlergebnisse – schauen Sie sich diese einmal an – anders ausgefallen; die sprechen für sich.
(Michael Brand [CDU/CSU]: Es geht um die ländlichen Räume! Falsche Rede!)
Man sollte manchmal den Mund nicht zu voll nehmen.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Es geht um die ländlichen Räume!)
– Sie haben einen Vergleich gezogen.
Ich finde es sehr gut, dass wir hier über die Entwicklung der ländlichen Räume diskutieren. Ich kann nur sagen, dass wir in der SPD-Bundestagsfraktion sehr intensiv darüber beraten haben und heute auch einen entsprechenden Antrag vorlegen.
(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist aber dünne Suppe!)
– Nein, der ist besser als Ihrer; aber dazu kommen wir noch.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass ländlicher Raum nicht gleich ländlicher Raum ist. Ländlicher Raum heißt auch nicht automatisch Landwirtschaft. Auf der einen Seite haben wir ländliche Räume, die industriepolitisch sehr stark sind, die strukturpolitisch hervorragend dastehen, auf der anderen Seite haben wir ländliche Räume, in denen Entvölkerung und demografischer Wandel schon teilweise brutal zugeschlagen haben.
Darauf müssen Antworten gegeben werden: Wie ist es mit der Daseinsvorsorge? Wie ist es mit der medizinischen Versorgung? Wie ist es mit den Möglichkeiten, Bildung für die jungen Leute zu organisieren? Wie gehen wir damit um, dass, vor allen Dingen aus bestimmten Ländern, aus bestimmten ländlichen Regionen, viele junge Frauen wegziehen, in die Metropolen ziehen? Da vermisse ich Antworten. Die gibt es auch noch nicht. Deshalb sollte man vorsichtig sein und bei aller Kritik nicht meinen, man habe das allein selig machende Konzept.
(Beifall der Abg. Ulrike Gottschalck [SPD])
Wir sind der Auffassung, dass wir einen Ansatz brauchen, bei dem die Dinge im Zusammenhang betrachtet werden. Derzeit wird in Brüssel eine Debatte über die Weiterentwicklung der Gemeinsamen europäischen Agrarpolitik geführt. Dort ist vorgeschlagen worden, die verschiedenen Fonds, die es gibt – Sozialfonds, Kohäsionsfonds, Agrarfonds, Regionalfonds –, stärker zusammenzuführen. Wir sagen: Jawohl, dieses muss stärker miteinander verbunden werden, damit wir eine entsprechende Politik in den Regionen umsetzen können. Wir sind der Auffassung, dass auch die GAK und die GRW zu einer Gemeinschaftsaufgabe „Entwicklung ländlicher Räume“ zusammengeführt werden müssen.
(Beifall bei der SPD)
Des Weiteren wollen wir den Menschen in den Regionen eine Perspektive geben, und zwar dadurch, dass wir Zivilgesellschaft, Politik vor Ort, Kommunalpolitik, Verbände und Institutionen zusammenbringen, damit über die regionale Entwicklung diskutiert wird und die Regionen sich fragen: Wo stehen wir? Wohin wollen wir? Wo haben wir unsere Schwerpunkte? – Dies möchten wir mit einem Regionalbudget versehen, bei dem die Regionen aber selbst entscheiden, wo ihr Weg ist, wohin sie gehen wollen und wie sie möglichst viele mitnehmen.
Ich kann Ihnen aus meinem Bundesland Folgendes berichten: Wir haben so etwas Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre mithilfe eines regionalen Entwicklungskonzepts auf den Weg gebracht. Vom Bauernverband über die Gewerkschaften und Arbeitgeber bis zur Kommunalpolitik haben alle zusammengesessen. Heute tragen wir die Frucht davon: Wir haben blühende ländliche Regionen, in denen sich die Menschen, die dort leben, zusammengetan und gesagt haben, wo es langgeht. Da wollen wir als SPD-Bundestagsfraktion hin.
(Beifall bei der SPD)
Es ist richtig, dass in ländlichen Regionen Infrastrukturpolitik eine wichtige Rolle spielt, dass wir eine vernünftige Finanzierung der Kommunen brauchen – ohne die geht es nicht –, dass wir eine Weiterentwicklung des Breitbandsektors brauchen und vieles mehr.
Ich möchte einen Punkt ansprechen, der in der Debatte häufig zu kurz kommt. Wir haben auch ländliche Regionen, wo es eine Veränderung in der Agrarwirtschaft gibt. Damit spreche ich die großen Schweinemastbetriebe an. Ich habe dieser Tage die wunderbare Überschrift „Protest am Hähnchen-Highway“ gesehen. Das betrifft die Gegend um Celle und Uelzen. Wir bekommen mit, dass sich mittlerweile sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche dagegen wehren, dass in Schlachthöfen, in Schlachtbetrieben, in Großschlachtbetrieben vor allen Dingen Werkvertragsarbeitnehmer teilweise für 3, 4 oder 5 Euro die Stunde beschäftigt sind.
(Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Ausbeutung! – Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Unverschämt!)
Ich will es einmal so sagen: Das ist Dumping. Mittlerweile ist diese Region zum Dumpingland der europäischen Schlachtbranche geworden. Es ist nicht akzeptabel, dass wir zulassen, dass Menschen in Deutschland, in einem der reichsten Länder der Welt, für 3,50 Euro die Stunde arbeiten und ihnen vom Lohn auch noch Geld für Kost und Logis abgezogen wird. Es gibt noch viele andere Beispiele mehr. Sie können das inzwischen fast wöchentlich in den Zeitungen lesen. Da vermisse ich eine Reaktion der Bundesregierung. Was tut sie dagegen?
(Beifall bei der SPD)
Vizepräsident Eduard Oswald:
Kollege Brase, Sie haben gemerkt, es kommt eine Zwischenfrage aus der Fraktion der CDU/CSU.
Willi Brase (SPD):
Bitte.
Vizepräsident Eduard Oswald:
Bitte schön, Kollege.
Andreas Mattfeldt (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Kollege Brase, Sie haben gerade für die SPD-Fraktion eine Lobhudelei für Ihre Politik in den ländlichen Räumen betrieben. Was sagen Sie denn dazu, dass Ihr Spitzenkandidat in Niedersachsen den Flächenfaktor aus dem kommunalen Finanzausgleich herausnehmen möchte? Dies würde dazu führen, dass gerade die ländlich geprägten Landkreise Mindereinnahmen von zum Teil mehr als 7 bis 8 Millionen Euro zu verkraften hätten. Wie verträgt sich das mit dem, was Sie hier in diesem Hause gerade den Koalitionsfraktionen immer vorwerfen, nämlich dass sie angeblich nicht genug für den ländlichen Raum tun würden?
(Ulrich Kelber [SPD]: Wir werfen Ihnen die Kürzung in der Gemeinschaftsaufgabe schon vor! Das stimmt!)
Ich glaube, hierzu sollten Sie sich einmal äußern. Wie stehen Sie dazu?
Willi Brase (SPD):
Ich habe den Koalitionsfraktionen nicht vorgeworfen, dass sie nichts für den ländlichen Raum tun. Ich habe nur gefragt: Was macht diese Koalition bezogen auf die unzumutbaren Zustände von Werkvertragsarbeitnehmern in der Schlachthofindustrie in Deutschland? Das habe ich massiv kritisiert. Ich werde nicht aufhören, das auch weiterhin zu kritisieren.
(Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber die Schlachthofindustrie ist kein Problem des ländlichen Raums!)
– Das ist unredlich, Herr Kauder. Wenn wir über den ländlichen Raum reden, dann reden wir auch darüber, in welchen Bereichen, in welchen Betrieben Menschen beschäftigt sind, und dort werden sie unter unwürdigen Zuständen beschäftigt.
Vizepräsident Eduard Oswald:
Das war die Beantwortung der Frage des Kollegen Andreas Mattfeldt. – Jetzt gibt es eine weitere Zwischenfrage von der Fraktion der Grünen. Herr Kollege Willi Brase, gestatten Sie diese?
Willi Brase (SPD):
Ja, gerne.
Vizepräsident Eduard Oswald:
Sie ist auch gestattet. Bitte schön, Frau Kollegin.
Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Brase, nur eine Frage: Anfang Januar steht das Bauordnungsgesetz auf der Tagesordnung. Dann haben wir die Möglichkeit, die Massentierhaltung einzudämmen. Bringen auch Sie einen entsprechenden Vorschlag dazu ein?
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein!)
Willi Brase (SPD):
Wir haben, wenn ich das richtig im Kopf habe, einen Vorschlag in die Debatte eingebracht. Wir werden diesen Vorschlag vervollständigen und die Debatte weiterverfolgen.
Wenn Sie mit den Menschen vor Ort reden, auch in den ländlichen Regionen, wo es eine starke Landwirtschaft und auch immer mehr Einrichtungen für Massentierhaltung gibt, dann merken Sie, dass die Menschen diese Einrichtungen nicht wollen. Wenn ich sehe, was sich in Niedersachsen in den letzten Jahren teilweise entwickelt hat, dann muss ich sagen, dass das schon eine Menge ist.
Die Menschen wollen ein Stück weit mitgestalten. Sie wollen wissen: Was wird dort angebaut? Wie viel haben wir schon? Müssen noch mehr Massentierbetriebe dazukommen oder nicht? Deshalb sagen wir: Wir wollen ihnen die Chance geben, mitzugestalten, und zwar sowohl über das von Ihnen angesprochene Bundesbaugesetz als auch dadurch, dass sie sich in den Regionen mit anderen zusammensetzen und überlegen, wie sie dies auf den Weg bringen können. Das halten wir für richtig.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Wir gehen davon aus, dass wir gleichwertige Lebensverhältnisse in unserem Land insgesamt weiter voranbringen werden. Das bedeutet keine Gleichheit, sondern das ist das Erzielen und Aufrechterhalten von Mindeststandards im ländlichen Raum. Wir brauchen vernünftige Daseinsvorsorge, Infrastruktur und Erwerbsmöglichkeiten.
Eines dürfen wir jedoch nicht vergessen: Die demografische Entwicklung zwingt uns in unterschiedlichen Bereichen zu unterschiedlichen Reaktionen und unterschiedlichen Verhaltensweisen in Bezug auf das, was dort politisch zu machen ist. So haben wir auf der einen Seite starke industriell geprägte ländliche Regionen, die gut nach vorne marschieren und in denen es sogar Bevölkerungszuwachs gibt. Auf der anderen Seite haben wir Regionen, aus denen immer mehr Menschen weggehen und in denen die Löhne nach unten abweichen. Dagegen wollen und müssen wir vorgehen. Deshalb freuen wir uns auf die Debatte mit Ihnen, aber wir können es Ihnen nicht ersparen: Das, was im Bereich der Schlachtbetriebe läuft, können und wollen wir als SPD nicht akzeptieren.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD)