Swen Schulz (Spandau) (SPD):
Der wissenschaftliche Nachwuchs ist das Fundament wissenschaftlicher Hochschulausbildung und eines leistungsfähigen Forschungssystems. Deutschland braucht Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Lehre an den Hochschulen gestalten und damit auch Fachkräfte ausbilden, die Forschung betreiben. Die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ist also die Grundlage dafür, die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu erhalten und zu stärken, sowohl als Entwicklungs- und Produktionsstandort als auch als attraktiver Forschungs-, Arbeits- und Lebensort. Deutschland mangelt es nicht an hochmotiviertem, engagiertem Nachwuchs. Rund 14 Prozent derjenigen, die ein Studium absolvieren, promovieren. Damit liegt Deutschland im Vergleich zu seinen Nachbarländern an der Spitze. Die Köpfe, in die investiert werden muss, sind also da. Wenn uns der wissenschaftliche Nachwuchs so wichtig ist, dann wäre es selbstverständlich, dass diese Menschen unter guten Arbeitsbedingungen, mit einer ordentlichen Bezahlung und mit einer Aussicht auf gute berufliche Perspektiven arbeiten können. Hervorragende Lehre und Forschung sind ohne gute Arbeitsbedingungen nicht zu bekommen. Aber leider sieht die Wirklichkeit anders aus.
Mit der Vorlage der HIS-Studie „Wissenschaftliche Karrieren“ sowie des Evaluationsberichtes des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes liegen genügend handfeste Daten und Fakten auf dem Tisch, die leider nur allzu deutlich zeigen, in welchen prekären Beschäftigungsverhältnissen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in unserem Land arbeiten müssen. Der dringende Handlungsbedarf, die Beschäftigungssituation in diesem Bereich zu verbessern, ist nicht von der Hand zu weisen.
Immer mehr Leute wollen studieren – und das ist wunderbar. Aktuell liegt für das Jahr 2012 wieder ein Rekordwert von mehr als 490 000 Studienanfängerinnen und -anfängern vor. Dafür braucht es entsprechend Personal. Doch die Personalkapazität an den Hochschulen wächst nicht in der gleichen Höhe wie die Zahl der Studierenden. Der Großteil der neu entstandenen Belastungen in Lehre und Forschung wird vom wissenschaftlichen Nachwuchs aufgefangen. Während neben den Anforderungen und dem Arbeitsaufwand die Anzahl der Beschäftigten im Wissenschaftsbereich stetig steigt, stagniert die Zahl der Professuren. Für die jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bedeutet dies, dass sie nur begrenzte Aufstiegschancen und geringe Aussicht auf eine Dauerstelle haben.
Gleichzeitig verzeichnen wir einen stetig ansteigenden Trend zu befristeten Beschäftigungen in der Wissenschaft. Weniger als 10 Prozent der Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler haben eine unbefristete Stelle. Hinzu kommt, dass viele der befristeten Stellen eine Vertragslaufzeit von einem Jahr oder sogar weniger aufweisen. Viele der Beschäftigten sind 40 Jahre oder älter. Befristete Arbeitsverträge sind heutzutage auf dem gesamten Arbeitsmarkt leider zu einem Problem geworden. Im Wissenschaftsbereich ziehen sich die Unsicherheiten bezogen auf die Lebens- und Karriereplanung besonders lange hin. Wünsche nach Verlässlichkeit, Stabilität und besserer Vereinbarkeit von Familie und Beruf bleiben oftmals bis ins fünfte Lebensjahrzehnt unerfüllt. Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Dies ist ein Problem, von dem vor allem der weibliche wissenschaftliche Nachwuchs negativ betroffen ist. Für Frauen ist es besonders schwer, Familie und Wissenschaft unter einen Hut zu bringen. Während rund die Hälfte der Studierenden und Hochschulabsolventen weiblich ist, nimmt ihr Anteil auf dem Weg über die Promotion und Habilitation hin zu einer Professur kontinuierlich ab. Wenn sich in unserer Gesellschaft Begriffe wie „Frau Dr. Kinderlos“ prägen, dann müssen wir uns Gedanken machen. Zum einen gehen uns viele wichtige, kluge Köpfe verloren, wenn viele Frauen nicht den Weg in die Wissenschaft gehen wollen.
Zum anderen müssen wir gerade den weiblichen Nachwuchs dabei unterstützen, Familie und Beruf vereinbaren zu können. Wir thematisieren dieses Problem nicht, um einer speziellen Gruppe etwas Gutes zu tun, sondern weil es ein Problem für die gesamte Gesellschaft ist, wenn uns diese hochmotivierten Leute verloren gehen. Entweder sie entscheiden sich von vornherein gegen den Beruf Wissenschaftler, oder sie gehen früher oder später ins Ausland. Sie verlassen die Wissenschaft. Es ist schlecht für Deutschland, diese klugen Köpfe zu verlieren.
Darum müssen wir gegensteuern. Wir brauchen „gute Arbeit“, auch in der Wissenschaft.
Wir thematisieren dieses Problem heute nicht zum ersten Mal. Studien, Berichte, Evaluationen sowie Anregungen der Sachverständigen aus öffentlichen Anhörungen liefern genug Material und lassen den dringenden Handlungsbedarf erkennen. Doch die Fraktionen CDU/CSU und FDP lassen sich lediglich herab, einen blutleeren Alibiantrag einzubringen.
Wo die Bundesregierung handeln könnte, will die Koalition nichts unternehmen; aber an die Länder und Hochschulen werden großartige Forderungen gestellt. Die Bundesregierung jedoch bewegt sich gar nicht. Stattdessen ignoriert sie die Anträge der Oppositionsfraktionen und lehnt sie vielmehr der Reihe nach ab. Deshalb müssen wir dieses Thema leider immer wieder auf die Tagesordnung setzen und unsere Forderungen erneuern, bis auch endlich die Bundesregierung aufwacht.
Wir fordern eine Personaloffensive für die Hochschulen mit 2 500 Professuren bis 2020 für bessere Karrierechancen, aber auch für eine bessere Betreuung der Studierenden. Wir fordern 1 000 zusätzliche Juniorprofessuren als Alternative zur Habilitation. Wir wollen den Tenure Track stärken, um bessere Karrierewege an den Hochschulen zu schaffen. Wir brauchen mehr strukturierte Promotionsprogramme und gleichstellungspolitische Programme sowie die Einführung einer Frauenquote. Wir setzen uns ein für den Ausbau von Kinderbetreuungsangeboten, damit die Vereinbarkeit von Familie und Wissenschaft verbessert wird. Wir wollen eine Erhöhung des Anteils unbefristet beschäftigten Personals an den Hochschulen.
Zudem hat die Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes gezeigt, dass die Erweiterung des Sonderbefristungsrechts für Wissenschaft und Forschung 2007 richtig war. Doch es gibt auch Befunde, die kritisch hinterfragt werden müssen. Um nur einige Punkte zu nennen:
Zum einen ist es sachlich nicht zu rechtfertigen, Abweichungen von den Bestimmungen durch tarifvertragliche Vereinbarungen zu untersagen. Die Tarifsperre muss aufgehoben werden, damit Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam Regelungen über das Gesetzliche hinaus treffen können.
Zum Zweiten hat die Evaluation gezeigt, dass sehr viele Arbeitsverträge in der Qualifikationsphase eine sehr kurze Laufzeit haben – oftmals sind die Verträge auf weniger als ein Jahr angelegt. Auch hier muss gegengesteuert werden, indem insbesondere in der Postdocphase eine Mindestbefristungsdauer festgelegt werden sollte, von der nur in begründeten Fällen abgewichen werden darf.
Zum Dritten wurde festgestellt, dass sehr häufig Arbeitsverträge auf Basis von Drittmittelbewilligungen befristet werden, obwohl die Befristungsgrenzen der Qualifizierungsphasen nicht ausgeschöpft sind. Auch hier muss an den Stellschrauben gedreht werden, um dem Schutzgedanken des Sonderbefristungsrechts Rechnung zu tragen.
Der Antrag der Fraktion Die Linke enthält einige wichtige, richtige Punkte, denen wir uns als SPD-Fraktion anschließen könnten. Aber schon die Überschrift lässt erkennen, dass der Antrag zu kurz greift.
Sicherlich ist es richtig, die Arbeitsbedingungen und Berufsperspektiven von Promovierenden verbessern zu wollen. Doch dürfen wir in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass es auch Probleme zu lösen gilt – sowohl für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich in der Postdocphase befinden, als auch für das wissenschaftsunterstützende Personal.