„Wir wollen eine Gesellschaft, die mehr Freiheit bietet und mehr Mitverantwortung fordert.“ Dieser Satz aus Willy Brandts erster Regierungserklärung hat Esther Dilcher seit ihrer Kindheit geprägt. Früh lernte sie, wie wichtig im Leben Bildung, Ausbildung und Weiterqualifikation sind. Auch wenn ihre Eltern selbst keinen akademischen Abschluss hatten, wurde sie von ihnen bei ihrer Ausbildung immer unterstützt und gefördert, erzählt sie. Zugleich lernte sie aber auch Schulkameraden kennen, deren Eltern nicht in der Lage waren, ihren Kindern eine qualifizierte Ausbildung zu ermöglichen. Das empfand sie schon damals als sozial ungerecht – und versuchte zu helfen, durch Zuwendung und Nachhilfestunden.
Ihr Glaube an Gerechtigkeit und Chancengleichheit ist geblieben. Als Notarin und Fachanwältin für Familienrecht setzt sie sich seit 18 Jahren für ihre Mandanten ein. Sie berät sie rechtlich und begleitet sie. Doch wenn es um die grundsätzliche Lebenssituation ihrer Mandanten geht, stößt sie oft an ihre Grenzen. „Mir geht es finanziell gut, aber ich kann es nicht ertragen, nur an mich zu denken. Wir sind ein reiches Land, in dem alle Menschen am Wohlstand teilhaben sollten. Das könnte mit einfachen Mitteln umgesetzt werden.“
Nah bei den Menschen
Für sie war schnell klar: Es reicht nicht, sich nur Gedanken über gesellschaftliche Verhältnisse zu machen und diese zu kritisieren. Sie wollte selbst tätig werden. Mit diesem Anspruch engagierte sich Esther Dilcher in der Kommunalpolitik und bewarb sich schließlich auch auf Bundesebene. „2017 gab es bei uns im Wahlkreis keinen amtierenden Bundestagsabgeordneten. Deshalb habe ich diese Chance ergriffen.“
Im Wahlkampf folgte sie ihrem Motto „Lieber kleine Schritte als keine Schritte“ – ein Zitat, das ebenfalls auf ihr politisches Vorbild Willy Brandt zurückgeht. Aus ihrem Bürgermeisterwahlkampf 2008 wusste sie, wie wichtig das persönliche Gespräch für Menschen ist. „Deshalb war für mich seit meiner Entscheidung zur Kandidatur klar, dass ich Haustürwahlkampf auch in der Fläche wagen würde“, sagt Dilcher. „Jeden Tag war ich in meinem Wahlkreis unterwegs, um mich persönlich vorzustellen und bekannt zu machen“. Ihr Ziel war es, an 1000 Haustüren zu klingeln. Am Ende hat sie sogar 2000 geschafft – doppelt so viele.
Einige Gemeinden musste sie zwar weglassen. Aber in jedem Ort, in dem sie persönlich war, kam sie auf 50 bis 200 Hausbesuche. Darüber hinaus bekamen sie und ihr Wahlkampfteam Unterstützung von „Sympathisanten“. Neben dem Tür-zu-Tür-Kontakt war es Esther Dilcher besonders wichtig, Veranstaltungen zu besuchen, bei denen vielleicht nur wenige Besucher und auch nicht immer SPD-Mitglieder anwesend waren. Auch ihnen wollte sie das Gefühl der Wertschätzung entgegenbringen. Die Menschen vor Ort haben es ihr offensichtlich gedankt.
Jasmin Hihat