Vor 40 Jahren hat die von Willy Brandt geführte sozial-liberale Regierung die Städtebauförderung als Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern eingeführt. Sie leistet seitdem einen wichtigen Beitrag für die Entwicklung in deutschen Städten und Gemeinden: historische Stadtkerne wurden erhalten, Innenstädte wiederbelebt und soziale Brennpunkte aufgewertet. Zudem setzt die Städtebauförderung wichtige Investitionen in Gang, so löst jeder Euro aus Fördermitteln von Bund und Ländern für den Städtebau acht Euro an öffentlichen und privaten Bauinvestitionen aus.
Schwarz-Gelb streicht Mittel für Städtebauförderung zusammen
Trotz der Erfolge habe die schwarz-gelbe Bundesregierung die Axt an die Städtebauförderung angelegt und die Bundesmittel auf 455 Millionen Euro gekürzt, sagte Sören Bartol, Sprecher der Arbeitsgruppe Verkehr, Bau und Stadtentwicklung der SPD-Fraktion. Für 2012 drohe eine erneute Kürzung auf nur noch 410 Millionen Euro. Besonders stark betroffen sei das unter Rot-Grün 1999 eingeführte Programm „Soziale Stadt“: Im Jahr 2011 hatten Union und FDP die Bundesmittel um über 70 Prozent auf 28,5 Millionen Euro zusammengekürzt und die sozial-integrativen Modellvorhaben gestrichen. Bartol warnte „Wer dem Programm seinen integrierten Ansatz nimmt, der beraubt es seiner Wirkung!“ 28,5 in diesem und 40 Millionen Euro im nächsten Jahr seien aber auch zu wenig, um die notwendigen baulichen Investitionen in sozialen Brennpunkten anzustoßen.
Bernd Scheelen, kommunalpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, betonte in seiner Begrüßung, dass die Kommunen, der Ort seien, an dem die Bürgerinnen und Bürger Politik hautnah erfahren. Er wies darauf hin, dass Städte und Gemeinden umfangreiche Aufgaben im Gesundheitswesen, der Bildung, dem Sozialbereich und nicht zuletzt im Städtebau erfüllten. „Die Kommunen sind das Fundament unseres Staates, nicht das Kellergeschoss“, so Scheelen.
„Soziale Stadt“ ist kein „Betonprogramm“
Der Bund, sagte der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier, lasse nun Städte und Gemeinden durch die Kürzungen in der Städtebauförderung im Regen stehen. Dies dürfe man Minister Ramsauer nicht durchgehen lassen. Schwarz-Gelb habe offenbar nie verstanden, worum es bei diesem Programm geht. Vor allem der ressortübergreifende Ansatz sei Konservativen und Liberalen nicht klar. Die „Soziale Stadt“ sei eben kein „Betonprogramm“, bei dem Projekte auch mal verschoben werden könnten. Hierbei gehe es um die Kreativität und Hoffnung der Menschen vor Ort, die ihr Viertel voranbringen wollen. Die entstandenen Netzwerke würden durch die „Zerschlagung“ des Programms zerstört. Dies sei ein Schlag ins Gesicht all derer, die sich vor Ort eingesetzt hätten.
Stärke der „Sozialen Stadt“ liegt im ressortübergreifenden Ansatz
Eine zentrale Aufgabe der „Sozialen Stadt“ bestehe darin, betonte der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Florian Pronold, den Zusammenhalt vor Ort zu organisieren, was FDP und Union als überflüssigen „Sozialklimbim“ bezeichneten. Er berichtete von einem Viertel im bayerischen Weiden, das so stigmatisiert wurde, dass Jugendliche, die dort her kommen, schon auf Grund des Absenders keinen Ausbildungsplatz bekommen hätten. Durch das Engagement der „Sozialen Stadt“ sei nicht nur das Wohnumfeld verbessert worden, vor allen Dingen hätten viele der Jugendlichen ihren Schulabschluss nachgeholt und die Vermittlung in Ausbildung in diesem Viertel sei um 80 Prozent gestiegen. Doch genau diesen ressortübergreifenden sozialräumlichen Ansatz hat Schwarz-Gelb über Bord geworfen. Dabei ist das Handeln der Bundesregierung widersprüchlich: Denn auf ihren Integrationsgipfeln lobte sie stets die Erfolge der „Sozialen Stadt“ und auch eine von ihr in Auftrag gegebene Studie von der Universität Wuppertal bescheinigte, dass von der „Sozialen Stadt“ wichtige Anstoßeffekte für die städtische Wirtschaftsentwicklung ausgehen.
Bewohner als „vor-Ort-Experten“ gewinnen
Das Programm der „Sozialen Stadt“ wird, betonte Prof. Martin Kronauer von der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin, von vier Prinzipien geprägt: Sozialraumorientierung, Partizipation, Integration und Prävention. Es müssten Anreize für eine Identifikation der Bewohner und Bewohnerinnen mit ihrem Viertel geschaffen werden. Dazu seien sie als „vor-Ort-Experten“ an den Entscheidungen über die Verbesserung des Wohnumfelds zu beteiligen. Dabei geht es nicht nur um bauliche Veränderungen, sondern z. B. auch um die Qualität der Schulen, fehlende Arbeitsplätze und die Sicherheit auf den Straßen. Durch dieses Vorgehen mussten auch die örtlichen Verwaltungen ihre Arbeitsweise ändern, um ressortübergreifend die Attraktivität des Quartiers voranzubringen und eine soziale Isolierung vorzubeugen. Wenn dies gelingt, ist dies nicht nur ein sozialer, sondern auch ein wirtschaftlicher Erfolg, denn es rechnet sich, wenn weniger Arbeitslosigkeit herrscht und Kriminalität vermieden werden kann. Die „Reparaturkosten“ liegen ungleich höher. Deshalb sollten die Akteure der sozialen Stadt laut Marion Schmitz-Stadtfeld von der Nassauischen Heimstätte die wirtschaftlichen Erfolge der „Sozialen Stadt“ stärker herausstellen, um neue Partner zu gewinnen.
Wohnungsnot in Ballungsräumen – Leerstand in schrumpfenden Regionen
Aktuell stehe Deutschland auch einer Wohnraumproblematik gegenüber, bei der in Ballungsräumen bezahlbare Wohnungen immer knapper würden und in schrumpfenden Regionen der Leerstand ansteige. Auch die demografische Entwicklung, sagte Ulrich Ropertz vom Deutschen Mieterbund, würde nicht dazu führen, dass sich die Suche nach günstigem Wohnraum entspanne, da es immer mehr Singlehaushalte in Städten gebe. Viele Wohnungen werden auch in Eigentum umgewandelt und verschwinden so vom Markt. Gleichzeitig verkaufte die öffentliche Hand einen großen Teil ihrer Wohnungen an private Investoren. Auch diese Entwicklung förderte die soziale Spaltung in Städten und Gemeinden. Damit die Weichen auf dem Wohnungsmarkt richtig gestellt würden, sagte Dr. Christian Lieberknecht, Geschäftsführer des GdW Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, setze sich sein Verband mit anderen in den laufenden Haushaltsberatungen des Bundes dafür ein, dass die Mittel für den Städtebau wieder erhöht würden. Denn der Bund müsse sich sowohl daran beteiligen, die Wohnungsknappheit zu überwinden, als auch der Leerstandsproblematik zu begegnen.
Energetisc he Sanierung und barrierefreies Wohnen voran bringen
Ein weiteres großes Thema für die Entwicklung in Städten und Gemeinden ist die energetische Gebäudesanierung. Sie dürfe nicht zur sozialen Spaltung beitragen, sagte der Kieler Oberbürgermeister Torsten Albig (SPD). Die Kosten dafür dürften nicht auf die Mieter abgewälzt werden. In Bremen-Tenever sei es gelungen, den ökologischen Umbau, die energetische Sanierung und die Gesamtsanierung wirtschaftlich so umzusetzen, dass die Miete nicht über den ortsüblichen Vergleichsmieten liegt, berichtete Jörn Hermening vom dortigen Quartiersmanagement. Allerdings seien dazu staatliche Hilfen in erheblichem Maße nötig gewesen. Energetische Sanierung lohnt sich mittel- bis langfristig durch Einsparungen von Energiekosten für Vermieter und Mieter. Zusätzlich ist eine Energieberatung hilfreich, die gerade auch Familien mit geringen Einkünften zugute kommt.
Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung in Deutschland ist auch die barrierefreie bzw. barrierearme Gestaltung von Wohnungen und Wohnumfeld sowie die Einführung neuer Wohnformen (z.B. Senioren-Wohngemeinschaften) eine große Aufgabe für die Stadtentwicklung, der sich die öffentliche Hand annehmen muss.
Ramsauer ist kein Fürsprecher für Bau und Stadtentwicklung
In seinem Schlusswort bekräftigte Sören Bartol, dass die SPD-Fraktion in den Haushaltsberatungen darum kämpfen werde, dass die Mittel für die Städtebauförderung wieder auf 700 Millionen aufgestockt werden und die „Soziale Stadt“ wieder dem sozialintegrativen Ansatz folgen kann. Er forderte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Veranstaltung auf, ihrerseits weiter Druck auf die Bundesregierung auszuüben. Denn: „Leider hat der Bereich Bau, Wohnen und Stadtentwicklung in Verkehrsminister Ramsauer keinen Fürsprecher.“
Auf dem Podium der Veranstaltung:
Torsten Albig, Oberbürgermeister der Stadt Kiel
Sören Bartol MdB, Sprecher der Arbeitsgruppe Verkehr, Bau, Stadtentwicklung
Jörn Hermening, Quartiersmanagement Bremen-Tenever
Prof. Martin Kronauer, Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin
Dr. Christian Lieberknecht, GdW - Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen
Marion Schmitz-Stadtfeld, Nassauische Heimstätten
Florian Pronold MdB, stellvertretender Fraktionsvorsitzender
Bernd Scheelen MdB, Sprecher der Arbeitsgruppe Kommunalpolitik
Dr. Frank-Walter Steinmeier MdB, Fraktionsvorsitzender
Moderation
Tissy Bruns, Der Tagesspiegel
Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Veranstaltung:
Vertreter und Vertreterinnen von kommunalen und Landesverwaltungen, aus der Wohnungswirtschaft, aus Sozialverbänden, Quartiersmanager/innen, Bürgermeister/innen, Landrät/innen, Mitglieder von Handwerkskammern
Trotz der Erfolge in der Stadtentwicklung, kürzt Schwarz-Gelb die Bundesmittel für die Städtebauförderung drastisch. Besonders hart trifft es das Programm "Soziale Stadt", denn hier wird obendrein der ressortübergreifende Ansatz gestrichen.