Vier Tage nach der EFSF-Abstimmung ist bereits klar: Diese Regierung setzt ihren europapolitischen Schlingerkurs fort. Jeder weiß: Der Rettungsschirm war nur ein Zwischenschritt zur Stabilisierung des Euro-Raums. Weder beseitigt er die Ursachen der Krise - einen Finanzsektor, der sich jeder Kontrolle entzieht -, noch ist er stabil genug.

Zwar ist der EFSF durch neue Instrumente wie Bankenrekapitalisierung und den Ankauf von Staatsanleihen schlagkräftiger geworden. Diese Instrumente aber funktionieren nur, wenn Vertrauen in ihre ausreichende finanzielle Unterlegung herrscht. Genau das aber fehlt. Nach Auffassung des IWF brauchen die europäischen Banken im Notfall Unterstützung, die den EFSF an den Rand der Leistungsfähigkeit brächte. Außerhalb Deutschlands sind die meisten Beobachter deshalb davon überzeugt, dass eine Ausweitung des EFSF unumgänglich sein wird. Nur die Bundesregierung tut, zumindest öffentlich, so, als ginge sie diese Debatte nichts an. Meine Prognose: Die Ausweitung des EFSF wird kommen - als Hebelung oder in anderer Form. Notwendig ist aber mehr als immer größere Schirme.

Wenn wir den Teufelskreis durchbrechen wollen, in dem sich die bisherige EU-Rettungspolitik bewegt, wenn die Politik nicht länger Getriebene der Märkte sein will, muss ein anderer Ansatz her. Wie er aussehen könnte, zeigt ein Blick in die Geschichte der europäischen Integration. In einer für Europa kritischen Stunde, kurz vor dem Fall der Mauer, legte der damalige Kommissionspräsident Jacques Delors einen Stufenplan für eine Wirtschafts- und Währungsunion vor. Er war die Blaupause für den Euro, die Antwort auf die wirtschafts- und währungspolitischen Auseinandersetzungen, die die Europäische Gemeinschaft in den 70er- und 80er-Jahren fast zerrissen hätten.

Der Delors-Plan zeigt, wie Europa Krisen überwinden kann. Es braucht ein längerfristiges Ziel, klug definierte Zwischenetappen und mutige Führung. Die gegenwärtige Krise ist viel zu ernst, um weiter herumzulavieren: Wir brauchen einen Delors-Plan II, einen Zehn-Jahres-Fahrplan zur Politischen Union, der ambitioniert ist, ohne utopisch zu sein.

Viel zu oft werden die Debatten mit inhaltsleeren Schlagwörtern geführt. Es muss jetzt darum gehen,endlich greifbar zu machen, was die Politische Union sein kann und was nicht. Die Verbesserungen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, das europäische Semester, all das sind richtige Ansätze. Aber wir dürfen dabei nicht stehen bleiben. Wir brauchen eine "road map" für eine stärkere Harmonisierung der Steuerpolitik. Wir brauchen eine europäische Banken-Strategie, die das "Too big to fail"-Problem löst. Wir brauchen weiter gehende Vorschläge zur Regulierung der Finanzmärkte, die für Transparenz und systemische Stabilität sorgen. Und wir brauchen als Akt europäischer Klugheit und europäischer Solidarität dringend eine Sanierungsstrategie für Griechenland, die sich nicht auf bloße Sparappelle beschränkt.

Griechenland hat in den vergangenen Monaten gewaltige Herausforderungen geschultert und einiges erreicht. Ob es ausreicht, muss die Troika in den nächsten Tagen beurteilen. Bei einem positiven Votum geht die Griechenland-Rettung in die nächste Runde. Dann muss gelten: Allein mit frischem Geld ist es nicht getan.

Längerfristig wird Griechenland nur auf die Beine kommen, wenn das Land mit europäischer Hilfe einen engagierten Modernisierungskurs verfolgt. Geld dafür kann mobilisiert werden. Die EU-Kommission verfügt noch über Restmittel aus den Struktur- und Kohäsionsfonds von über 200 Milliarden Euro. Zusätzliche Mittel können aus der Finanztransaktionssteuer kommen. Auch bei der Privatisierung sollten wir neue Wege gehen. Statt das griechische Staatsvermögen zu Schleuderpreisen zu verkaufen, sollten wir den Weg einer europäischen Treuhandlösung gehen, in die das griechische Staatsvermögen eingebracht, saniert und im Verlaufe eines Jahrzehnts zu besseren Bedingungen privatisiert wird. Führung, Verantwortung und Solidarität sind gefragt. Wenn jetzt kein Neuaufbruch gelingt, wird die europäische Integration diese Krise nicht überleben. Den Vätern des geeinten Europas, aber auch unseren Kindern sind wir schuldig, dass es dazu nicht kommt.