Skandale zu Lasten der Verbraucherinnen und Verbraucher reißen nicht ab. Die Märkte werden immer vielfältiger und intransparenter. Der Konsumalltag der Menschen wird damit komplexer. Die Flut an Informationen kann von ihnen nicht mehr verarbeitet werden. Daraus folgt: Anbieter- und Verbraucherseite befinden sich nicht auf Augenhöhe. Dieses Ungleichgewicht werfe nicht nur Fragen nach Gerechtigkeit und gesellschaftlichem Zusammenhalt auf, sondern gefährde das Funktionieren des Marktmodells, stellt die SPD-Fraktion in ihrem Antrag fest.
Der technische Fortschritt, die Globalisierung und die Liberalisierung vieler Märkte erfordern eine Neuausrichtung der Aufsichtsstrukturen. Neue Märkte ohne funktionierende, verbraucherorientierte Aufsicht werden oft genutzt, um sich auf Kosten von Verbraucherinnen und Verbrauchern zu bereichern. Beispiele dafür sind: die Abzocke bei der Telekommunikation, der Vertrieb undurchsichtiger Finanzprodukte, Geschäftsmodelle bei Energieversorgern, die einem Schneeballsystem gleichen, falsch deklarierte Lebensmittel sowie unnötige individuelle Gesundheitsleistungen (Igel), die die Patientinnen und Patienten aus eigener Tasche bezahlen müssen. Meist gibt es staatliche Kontrolle der Märkte nur aus wettbewerbs- oder kartellrechtlicher Perspektive. Viele Probleme erreichen die Politik erst, wenn Skandale öffentlich werden, lautet es im Antrag.
Rechte und Schutz von Verbrauchern stärken
Um die Rechte und den Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern zu stärken, will die SPD-Fraktion so genannte Marktwächter einführen. Darunter zu verstehen sind staatlich beauftragte Verbraucherorganisationen, die als Sensoren bzw. Frühwarnsysteme für systematische Verbraucherprobleme tätig sind. Die Arbeit der Aufsichts- und Regulierungsbehörden wird durch ihre Hinweise vorbereitet und erleichtert. Die Marktwächter-Funktion sollen die Verbraucherzentralen und ihr Bundesverband wahrnehmen. Dazu müssen sie entsprechend ausgebaut und finanziert werden. Das Konzept der Marktwächter verzahnt zivilgesellschaftliche mit staatlicher Kontrolle und bestimmt das Verhältnis zwischen Markt, Staat und Zivilgesellschaft neu. Zunächst soll es Marktwächter für die Bereiche Finanzmarkt, Energie, Gesundheit, Digitale Welt/Telekommunikation und Lebensmittel geben.
Beobachten, beraten, bewerten, bearbeiten, bekämpfen, beteiligen
Die Marktwächter sollen die Märkte beobachten und Defizite sowie Fehlentwicklungen aufspüren. Gleichzeitig sollen sie durch vielfältige Angebote Verbraucherinnen und Verbraucher bei Entscheidungen beraten. Außerdem sollen die Marktwächter bewerten, ob Unternehmen Verbraucherrechte einhalten, z. B. indem sie die Rechtmäßigkeit von Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Werbung prüfen. Hinweise auf Verbraucherprobleme und systematische Auffälligkeiten im Marktgeschehen werden von ihnen bearbeitet, indem sie diese erfassen und an die Aufsichts- und Regulierungsbehörden melden. Die Behörden müssen diese Unstimmigkeiten dann prüfen und gegebenenfalls bestätigen. Mit Abmahnungen und Unterlassungsklagen sollen die Marktwächter rechtswidrige Marktpraktiken bekämpfen. Um alle Marktteilnehmer von Verbrauchervertretern über Anbieter bis zur Wissenschaft zu beteiligen, werden entsprechend besetzte Fachbeiräte die Arbeit der Marktwächter begleiten. Des Weiteren sollen sie auch Lageberichte veröffentlichen, Handlungsempfehlungen für die Politik entwickeln und im Dialog mit der Wirtschaft Lösungsmöglichkeiten erarbeiten.
Verbraucherpolitik ist sozialdemokratische Politik
Die SPD-Fraktion hat als einzige Fraktion ein ausgearbeitetes Marktwächter-Konzept für die Bereiche Finanzmarkt, Energie, Gesundheit, Digitale Welt/Telekommunikation und Lebensmittel vorgelegt. Die Grünen beschränken sich auf die Gebiete Finanzmarkt und Energie. Und Schwarz-Gelb lehnt eine Stärkung der Verbraucherorganisationen ab.
In den 70er-Jahren während der Regierungszeit von Willy Brandt und Helmut Schmidt wurden die Verbraucherorganisationen insgesamt gestärkt, Verbandsklagerechte beschlossen, die politische Vertretung von Verbraucherinteressen sowie Verbraucherinformation und -aufklärung weiter ausgebaut. Die SPD-Bundestagsfraktion knüpft mit dem Marktwächter-Modell an diese Tradition an und entwickelt sie weiter, um die soziale Marktwirtschaft wieder ins Lot zu bringen.
Im Rahmen der Debatte am 6. Juni 2013 hat der Bundestag auch den SPD-Antrag „Verbraucherschutz stärken – Finanzmarktwächter einführen“ (Drs. 17/8894) beraten.