Hinter uns liegen Monate, in denen sich die Krise in Europa zugespitzt hat. Die Bundesregierung hat es nicht vermocht, den Teufelskreis aus instabilen Finanzmärkten, hohen Staatsschulden und einer um sich greifenden Rezession zu durchbrechen. Im Gegenteil, in zwei Jahren verfehlter Krisenbewältigung sind die Schulden der Krisenländer nicht gesunken, sondern gewachsen, und die Risiken für Deutschland sind nicht geringer, sondern größer geworden. Wir haben stetig gewarnt, dass Kredithilfen und Kürzungsprogramme nicht ausreichen, wenn Vertrauen wegbricht und die Wirtschaft erlahmt. Erst allmählich aber und erst mit den schlechteren Konjunkturaussichten auch für unser Land setzt sich nun die Einsicht durch, dass es Deutschland auf Dauer nicht gut gehen kann, wenn es Europa schlecht geht. Hinzu kommt, dass die EZB dort, wo Merkel blockiert, einspringen muss und durch umfangreiche Aufkäufe von Staatsanleihen ebenso wie durch eine Billion Euro an billigen Krediten für Banken die Krise einzudämmen versucht – eine Tatsache, über die Schwarz-Gelb beharrlich schweigt, weil es den Preis der eigenen Handlungsschwäche offenbart. Das ist die niederschmetternde Bilanz und das historische Versagen des Systems Merkel in der Eurokrise.

Der Verlauf dieser letzten Monate bestätigt uns in der Aufassung, dass ein fantasieloses Austeritätsprogramm (Sparprogramm) inmitten einer immer stärker werdenden Rezession, die sich vom Rand bis in den Kern der Eurozone frisst, kein Ausweg sein kann. Ein Fiskalpakt, der Verschuldungsgrenzen für Staaten institutionalisiert, kann erst tragen, wenn der wirtschaftliche Einbruch überwunden ist. Ohne starke ökonomische Basis wird jede Schuldenbremse Makulatur. In dem Moment, in dem nach Griechenland, Portugal und Irland auch Spanien als viertgrößte Volkswirtschaft der Währungsunion Hilfe aus europäischen Rettungsprogrammen beantragen musste, sollte auch dem Uneinsichtigsten langsam dämmern, dass Europa mit Merkels Politik auf ein Zerbrechen des Euro zuschlittert. Der Preis, den Deutschland für dieses Scheitern zu zahlen hätte, ist kaum bezifferbar. Ökonomisch träfe es nicht nur Staat, Banken und Sparer, sondern auch unsere Industrie und unseren Mittelstand. Erneut wären die 2008 und 2009 mühsam gesicherten Arbeitsplätze gefährdet. Die politischen Kosten einer Renationalisierung Europas wären schlechthin desaströs.

Sparen durch nachhaltiges Wachstum stützen

In diesen letzten Monaten hat sich die Sozialdemokratie zu keinem Zeitpunkt einer Lösung der Krise in Europa verweigert. Wir haben öffentlich immer wieder klar zu machen versucht: Nur wenn die Ursache der Staatsverschuldung in der Finanzmarktkrise erkannt, nur wenn die Abwärtsspirale aus Verschuldung und Rezession, Hoffnungslosigkeit und Protest durchbrochen, nur wenn Konsolidierung durch nachhaltiges Wachstum gestützt wird, kann Europa die Schuldenkrise überwinden. Mit dieser Leitlinie sind wir in zum Teil dramatische Verhandlungen mit der Bundesregierung eingetreten. Wir können heute nicht sagen, ob das erreichte Ergebnis schon ausreicht, um den Zusammenhalt Europas zu bewahren. Aber ich bin sicher, dass in diesen Monaten etwas Entscheidendes passiert ist: Es geht schon lange nicht mehr nur um eine Zustimmung zum Fiskalpakt. Es geht inzwischen vor allem darum, der europäischen Krise mit einer anderen Politik zu begegnen. Ein Anfang ist jetzt gemacht. Mit der Verständigung zwischen SPD, Grünen und Bundesregierung über einen europäischen „Pakt für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung“ gesteht die schwarz-gelbe Koalition zugleich das Scheitern ihres bisherigen Krisenmanagements ein.

Blockiert haben Union und FDP lange Zeit die gerechte Besteuerung der Finanzmärkte. In den Verhandlungen haben wir den Durchbruch zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer erreicht. Das ist ein großer Erfolg der deutschen Sozialdemokratie, den wir kaum hoch genug einschätzen können. Wir erreichen damit, dass die Verursacher der Krise substanziell an den Kosten ihrer Überwindung beteiligt werden. Die Bundesregierung wird morgen in einem Kabinettsbeschluss klarstellen, dass sie das umfassende Modell einer Besteuerung insbesondere von Aktien, Anleihen, Investmentanteilen, Devisentransaktionen sowie Derivatekontrakten zugrunde legt. Sie wird klarstellen, dass sie die Steuer nun durch die so genannte Verstärkte Zusammenarbeit von neun gleichgesinnten EU-Mitgliedstaaten auf den Weg bringt. Die Bundesregierung hat außerdem einem Zeitplan zugestimmt. Auf dem letzten Treffen der Finanzminister der Eurozone wurde der erste Schritt schon unternommen und festgestellt, dass die Zustimmung aller 27 Mitgliedstaaten für den Richtlinienentwurf der Kommission nicht zu erreichen ist. Neun Partner für die Verstärkte Zusammenarbeit haben sich jetzt zum Handeln bereit erklärt. Unverzüglich soll es jetzt zu einem Antrag auf Verstärkte Zusammenarbeit kommen, mit dem Ziel, das Gesetzgebungsverfahren bis Ende 2012 abzuschließen.

SPD setzt Ziele durch

Wir haben außerdem erreicht, dass die Bundesregierung sich zu erheblichen Impulsen für höhere Investitionen in Wachstum und Beschäftigung bekennt. Dazu gehört, dass nicht abgerufene Mittel aus den Strukturfonds der laufenden Finanzperiode rasch und gezielt für wachstums- und beschäftigungsfördernde Maßnahmen eingesetzt werden. Außerdem darf es bei den Verhandlungen über den neuen Mittelfristigen Finanzrahmen 2014-2020 zu keinen Kürzungen bei den Investitionen in den Struktur- und Kohäsions- und im Sozialfonds kommen. Weiter wird die Bundesregierung eine Kapitalaufstockung der Europäischen Investitionsbank um 10 Mrd. Euro anstreben, was zu Investitionen von bis zu 180 Mrd. Euro führt. Auch das Programm für europäische Projektanleihen soll bei Bedarf bis Ende 2013 auf bis zu 1 Mrd. Euro aufgestockt werden, womit Investitionen von 18 Mrd. Euro zu erreichen sind. Schließlich wird das Recht der Jugendlichen auf Ausbildung und Arbeit gestärkt, wozu ein Ausbildungsplatz oder ein Arbeitsangebot spätestens vier Monate nach Verlassen der Schule oder nach Eintritt in Arbeitslosigkeit gehört.

Der Pakt für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung liegt Euch in Form eines „Gemeinsamen Papiers der Bundesregierung und der Fraktionen“ vor. Ich bitte Euch heute um Eure Zustimmung zu diesem Verhandlungsergebnis.

Haushaltsautonomie der Bundesländer nicht beeinträchtigt

Vor der 2./3. Lesung von Fiskalpakt und Europäischem Stabilitätsmechanismus (ESM) im Deutschen Bundestag hatte die Bundesregierung allerdings weitere Schritte zu gehen. Zur Voraussetzung für einen Beschluss im Bundestag haben wir die Einigung zwischen Bund und Ländern über die innerstaatliche Umsetzung des Fiskalvertrages gemacht. Diese Einigung wurde am vergangenen Sonntag mit einem eindeutigen Verhandlungserfolg der SPD-geführten Länder erreicht. Auch sie liegt Euch vor: Die verfassungsrechtlich geschützte Haushaltsautonomie der Länder wird nicht beeinträchtigt. Die Länder tragen keine Verpflichtungen, die über die bisher geltende Schuldenregel des Grundgesetzes hinausgehen. Der Bund haftet für den Fiskalvertrag im Außenverhältnis, wozu bis 2019 etwaige Sanktionszahlungen bei Verstößen gehören. Bund und Länder legen 2013 erstmals gemeinsame Anleihen, so genannte „Deutschlandbonds“, auf, die den Ländern niedrigere Zinsen ermöglichen und die auch im Zuge eines sich durch Verschuldungsgrenzen verkleinernden Anleihemarktes ökonomisch sinnvoll sind. Schließlich erhalten die Länder zusätzliche Investitionsmittel für den Kitaausbau in Höhe von 580,5 Mio. Euro und eine Erhöhung der Betriebsmittel um 75 Mio. Euro. Eine Neuordnung der Eingliederungshilfe soll in der nächsten Legislaturperiode erfolgen. Das ist ein beachtliches Ergebnis.

Eines dürfen wir bei all dem nicht vergessen: Europa braucht in dieser kritischen Phase seiner Geschichte eine stärkere demokratische Legitimation. Deshalb haben wir in den Verhandlungen mit der Bundesregierung durchgesetzt, dass sie darauf hinwirkt, das Europäische Parlament bei den Reformüberlegungen zur vertieften wirtschaftlichen und finanzpolitischen Integration angemessen zu beteiligen. Darüber hinaus gilt für die Sozialdemokratie: Bei allen Schritten, die wir zur Stabilisierung der Europäischen Währungsunion gehen, sind die Rechte des Bundestages zu wahren.

Die Koalition hat erst diese Woche – nachdem wir nun seit Monaten auf verfassungsrechtliche Klärungen drängen – entschieden, nicht nur den Fiskalpakt, sondern auch den Europäischen Stabilitätsmechismus (ESM) mit einer 2/3-Mehrheit im Bundestag zu verabschieden. Es spricht für sich, dass die Koalition nach drei Monaten Debatte über das Gesetz nun kurz vor Schluss in einer zentralen Frage noch einmal eine Kursänderung vornimmt. Gleichwohl ist das Ergebnis richtig: Der ESM hat insbesondere unter Berücksichtigung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Juni eine klare Verfassungsrelevanz.

Bundestag muss bei ESM vorab zustimmen

SPD und Grüne haben außerdem durchgesetzt, dass Bundestag und Bundesrat sowohl beim ESM als auch beim Fiskalpakt umfassend beteiligt werden. Beim ESM bedeutet das, dass der Bundestag – wie schon beim EFSF – den wesentlichen Entscheidungen vorab zustimmen muss, bevor die Bundesregierung oder ein deutscher Vertreter in Brüssel und Frankfurt grünes Licht geben können. Für den Fiskalpakt werden wir im Fiskalpaktratifizierungsgesetz sicherstellen, dass der Bundestag frühzeitig, fortlaufend und vor allem schriftlich informiert wird. Gegen erheblichen Widerstand der Koalition wird das Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundsregierung und Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBBG) schon in dieser Woche dahingehend geändert, dass die Bundesregierung den Bundestag auch über Eurogipfel und Initiativen der Eurogruppe schriftlich unterrichten muss. Das gilt sowohl für die Anwendung des Fiskalpaktes als auch für alle anderen Angelegenheiten, die dort besprochen werden. Damit ist ein erster Schritt zur Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Juni getan. Eine umfassende Reform der Beteiligungsrechte des Bundestages wird bis Ende des Jahres erfolgen.

Diese letzte Plenumswoche vor der Sommerpause hat es in sich. Wir hören zwei Regierungserklärungen von Kanzlerin Merkel, am Mittwoch vor dem Europäischen Rat und am Freitag direkt nach dem Rat. Wir werden uns nach der heutigen Fraktionssitzung auch am Freitag noch einmal zu einer Sondersitzung der Fraktion treffen. Am 29. Juni entscheiden wir über die Vorlagen zum Fiskalpakt und zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), die wir um einen europäischen Pakt für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung ergänzen konnten. In Gesamtwürdigung aller von den SPD-geführten Ländern und von der SPD-Bundestagsfraktion erreichten Verhandlungsergebnisse kann ich Euch die Zustimmung empfehlen.

Weitere Schritte nötig

Weitere Sitzungen des Bundestages im Verlauf des Sommers sind sehr wahrscheinlich. Zunächst geht es um Spaniens Antrag auf Rekapitalisierung seiner Banken, der von den Euro-Finanzministern am 9. Juli beraten wird. Auch Zypern, dessen Banken traditionell eng mit Griechenland verbunden sind, hat einen Antrag auf europäische Hilfen gestellt. Schließlich steht in Frage, ob das Hilfsprogramm für Griechenland überarbeitet werden muss, um dem Land mehr Zeit für die Konsolidierung zu geben. Die Tragweite dieser Krise erfordert ganz offenkundig weitere Schritte, um die Finanzstabilität in Europa zurückzugewinnen. Wir brauchen eine Lösung für das schwelende Problem der angeschlagenen Banken. Eine Bankenrettung darf nicht unkonditioniert erfolgen, sie muss vielmehr Risiken eindämmen. Wir brauchen, auch wenn Schwarz-Gelb davor die Augen verschließt, eine Initiative zur Konsolidierung der Staaten auf der Einnahmeseite durch gemeinsame Bemessungsgrundlagen und Mindestsätze der Unternehmensbesteuerung in Europa. Auch die Diskussion darüber, wie wir mit den Altschulden umgehen, neues Vertrauen schaffen und die Verpflichtung zum Schuldenabbau mit der gemeinschaftlichen Sicherung für einen Teil der Anleihen der Eurostaaten verbinden, wird weitergehen. Angela Merkel ist aufgefordert, sich ehrlich zu machen.