SPD-Fraktion erinnert an das Jahr der Einheit
Die SPD-Bundestagsabgeordneten haben in ihrer Fraktionssitzung am 28. September 2010 gemeinsam mit Richard Schröder das Jahr der Einheit Revue passieren lassen sowie Bilanz gezogen. Richard Schröder war für die sozialdemokratische Partei der DDR (SDP) Mitglied in der ersten freigewählten Volkskammer und ihr Fraktionsvorsitzender. Nach dem 3. Oktober 1990 gehörte Schröder der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag an.
Willy-Brandt hat Weichen gestellt
Die deutsche Sozialdemokratie ist auch in den Jahrzehnten der Teilung unseres Landes stets die Partei der deutschen Einheit gewesen. Die von Willy Brandt initiierte und gegen erbitterte Widerstände durchgesetzte Friedens- und Entspannungspolitik war darauf angelegt, den Beweis dafür zu erbringen, dass die Mauer vor der Geschichte letztlich keinen Bestand haben konnte.
Ehrliche Bilanz ist nötig
Die Menschen in den neuen und die in den alten Bundesländern können 20 Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands auf das bisher Erreichte stolz sein. Doch in die Freude mischt sich in Ostdeutschland ein bitterer Beigeschmack. Dies nehmen wir sehr ernst, denn unser Ziel ist es, die Einheit auch in den Köpfen voran zu bringen. Deshalb bedarf es einer ehrlichen und aufrichtigen Bilanz. Die Schönfärberei der Bundesregierung in ihrem “Bericht zum Stand der deutschen Einheit”, den das Kabinett am 22. September 2010 beschlossen hat, vertieft jedoch die Spaltung unserer Gesellschaft.
Perspektive der Menschen in Ostdeutschland fest im Blick
Die SPD-Bundestagsfraktion und insbesondere unsere Abgeordneten aus Ostdeutschland stellen nüchtern fest, dass sich viele der damaligen Träume, Hoffnungen und Erwartungen bis heute nicht erfüllt haben. Grund dafür waren die gravierenden Fehleinschätzungen, groben handwerklichen Fehler und verfehlten Zielvorstellungen der damaligen Regierung Kohl bei der Schaffung eines gemeinsamen Staates. Dadurch geriet die Wende für viele Menschen zu einem radikalen und brutalen Umbruch, der allzu viele überforderte und bei nicht wenigen Enttäuschung und Erbitterung auslöste.
Vieles ist erreicht
Selbstverständlich hat es dank der Solidarität der Westdeutschen und vor allem dank des Fleißes, des Mutes und der Anpassungsbereitschaft der Ostdeutschen bereits großartige Fortschritte gegeben. Viele Dörfer und Städte im Osten erstrahlen in neuem Glanz. Die Verkehrsinfrastruktur ist auf einem im wahrsten Sinne des Wortes guten Weg. Zahlreiche Kitas, Schulen und Krankenhäuser sind oder werden gerade modernisiert.
Vieles wurde verloren
Jeder Zweite verlor nach der Wiedervereinigung seinen Arbeitsplatz, viele Menschen sahen und sehen ihre persönliche Biografie und Lebensleistung infrage gestellt und entwertet. Auch komplizierte vermögensrechtliche Regelungen („Rückgabe vor Entschädigung“) haben große Unsicherheiten und Ungerechtigkeiten geschaffen. Angesichts der besonders in Ostdeutschland nach wie vor viel zu hohen Arbeitslosigkeit und des Angewiesenseins auf staatliche Transferleistungen ist das damals entstandene Gefühl der Zweitklassigkeit noch immer weit verbreitet. Die soziale Einheit unseres Landes ist nicht vollendet.
Wahrheit nicht verdrängen
Noch immer wird vielfach verdrängt, dass die ostdeutsche Industrie mithilfe der Treuhand zur bloßen Werkbank des Westens deklassiert wurde. Die zwangsläufige Folge dieser verfehlten Politik war eine Massenarbeitslosigkeit mit verheerenden ökonomischen und seelischen Folgen für einzelne Betroffene war. Auch Bundesinnenminister de Maiziere bleibt der Linie der Union treu, die nach wie vor bestehenden Defizite ausnahmslos als Spätfolgen der Diktatur abzutun und damit einseitig den Ostdeutschen anzulasten. Jede Verantwortung der Kohl-Regierung für die Massenarbeitslosigkeit und den Zusammenbruch der industriellen Strukturen wird von der jetzigen Bundesregierungf konsequent geleugnet.
Vieles bleibt zu tun
Die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West ist längst noch nicht vollständig gelungen. Der Zusammenbruch ganzer Industrien konnte bis heute nicht annähernd kompensiert werden, Neuinvestitionen und Existenzgründungen waren nicht immer und überall vom notwendigen Erfolg gekrönt. Es gibt zudem einen langen Schatten der Treuhand-Privatisierung, der bis heute anhält. Der zeigt sich vor allem darin, dass die wirtschaftliche Basis im Osten viel zu klein ist. Denn die fehlende bzw. unzureichende Eigenkapitaldecke vieler ostdeutscher Unternehmen ist die eigentliche Ursache dafür, dass unternehmerische Erfolge und ein in der Breite selbsttragender Aufschwung ausbleiben. Zu der Parlamentsdebatte zur Deutschen Einheit am 30. September 2010 bringen die Sozialdemokraten einen Entschließungsantrag ein.
Lebensverhältnisse in Ost- und West angleichen
Zu den großen Errungenschaften der Einheit zählt die Eingliederung der Bürgerinnen und Bürger Ostdeutschlands in die Sozialsysteme der Bundesrepublik. Damit wurden die Voraussetzungen für eine solide soziale Sicherung geschaffen. Und dennoch ist die Angleichung der Lebensverhältnisse gerade auf diesem Feld noch nicht vollständig gelungen. Sie bleibt für uns oberste Priorität.
Ostdeutschlands Entwicklung braucht eigene Antworten
Auf Grund dieser fortbestehenden strukturellen Defizite bedarf es nach wie vor spezifischer Antworten für die weitere Entwicklung und Entfaltung Ostdeutschlands. Die neuen Länder wollen nicht auf Dauer von westdeutschen Transferleistungen abhängig sein. Sie wollen vielmehr finanziell und wirtschaftlich auf eigenen Füßen stehen.
Solidarpakt muss Bestand haben
Die SPD-geführte Bundesregierung hat mit dem Solidarpakt II einen festen und verbindlichen Rahmen für die weitere Entwicklung des Ostens geschaffen. Daran darf nicht gerüttelt werden. Die SPD-Bundestagsfraktion wird immer wieder deutlich machen, dass sie die Vollendung der Einheit als das vorrangige Ziel gesamtdeutscher Politik begreift. Diesen Prozess werden wir weiterhin konstruktiv vorantreiben und ebenso kritisch wie solidarisch begleiten.