Trotz Sozialklausel im Postgesetz (PostG), trotz der Aufnahme der Branche Briefdienstleistungen ins Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) und trotz Postmindestlohnverordnung: In der Briefbranche werden weiter und wieder zunehmend Niedriglöhne bezahlt. Der im Postsektor eröffnete Wettbewerb findet entgegen klaren gesetzlichen Vorgaben in erheblichem Maß über Sozialdumping statt, zu Lasten der Einkommen und der sozialen Sicherheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie zu Lasten der sozialen Sicherungssysteme. Um den entgegenzuwirken, hatte die SPD 2007 den Postmindestlohn durchgesetzt. Den betroffenen Beschäftigten und der Öffentlichkeit fehlt jedes Verständnis dafür, weshalb trotz klarer Vorgaben des Gesetzgebers eine ganze Branche, die lange Zeit durch existenzsichernde Einkommen gekennzeichnet war, in Niedriglöhnen versinkt. Die Bundesregierung sieht tatenlos zu, wie bei Vergaben öffentlicher Auftraggeber ein reiner Lohn-Unterbietungswettbewerb stattfindet, der tausende sicherer Arbeitsplätze gefährdet.

In einer Großen Anfrage will die SPD-Bundestagsfraktion daher von der Bundesregierung wissen:

  • Wie sind die Arbeitsbedingungen bei der Post, ihren Wettbewerbern und den Subunternehmen derzeit und welche Veränderungen sind eingetreten beziehungsweise zu erwarten?

  • Welche Wirkung hatte die Postmindestlohnverordnung und welche Auswirkungen auf das Lohnniveau hat ihr Wegfall?

  • Plant die Bundesregierung den Neuerlass einer Postmindestlohnverordnung oder andere Maßnahmen, um Lohnwucher zu verhindern?

  • Wie kann es sein, dass gegen Recht und Gesetz dutzende von Unternehmen noch Lizenzen besitzen und auf dem Markt tätig sind, obwohl sie nachweislich die branchenüblichen Arbeitsbedingungen bei weitem nicht einhalten?

  • Plant die Bundesregierung die Sozialklausel aus dem Postgesetz zu streichen?

Zum Hintergrund: Am 28. Januar 2010 hat das Bundesverwaltungsgericht die Postmindestlohnverordnung aus rein formalen Gründen für rechtswidrig erklärt. Daraufhin hat zum Beispiel die Berliner PIN Mail AG mit rund 1.000 Beschäftigten erklärt, ihren Stundenlohn mit sofortiger Wirkung von 9,80 auf 8,50 Euro zu senken.

Am 15.04.2010 hat das Bundesarbeitsgericht mitgeteilt, dass nunmehr rechtskräftig feststehe, dass die "Gewerkschaft der Neuen Brief- und Zustelldienste" (GNBZ) keine tariffähige Gewerkschaft ist und bei Abschluss des konkurrierenden "Tarifvertrags" zur Regelung von Mindestarbeitsbedingungen mit dem Arbeitgeberverband der Neuen Brief- und Zustelldienste (AGV-NBZ) und des "Tarifvertrags" Mindestlohn mit dem Bundesverband der Kurier-, Express- und Postdienst e.V. (BdKEP) im Dezember 2007 auch keine tariffähige Gewerkschaft war.

Zur Erinnerung: TNT, PIN, AGV-NBZ und BdKEP waren es, die auf der Grundlage ihrer sogenannten Tarifverträge mit der GNBZ gegen den Postmindestlohn Sturm gelaufen und gerichtlich vorgegangen sind.

Die Postmindestlohnverordnung auf der Grundlage des zwischen dem Arbeitgeberverband Postdienste e. V. und ver.di (Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft) abgeschlossenen Tarifvertrages vom 29. November 2007 über Mindestlöhne für die Branche Briefdienstleistungen wäre zum 30. April 2010 ohnehin ausgelaufen. Bislang ist nicht erkennbar, dass die Post AG und der Arbeitgeberverband Postdienste bereit wären, erneut einen Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) zu stellen.

Die Vollerhebung der Bundesnetzagentur zu den Arbeitsbedingungen im nach dem Postgesetz lizenzierten Bereich aus dem Jahr 2007 hatte ergeben, dass Briefsortierer, -fahrer und -zusteller bei der Deutschen Post AG Durchschnittslöhne von 11,93 Euro verdienen, während die Wettbewerber nur Durchschnittslöhne von 7,41 Euro (7,84 Euro West, 6,17 Euro Ost) bezahlten. Zum Beispiel in Brandenburg wurden damals von den Wettbewerbern nur 5,73 Euro und in Thüringen 5,82 Euro durchschnittliche Stundenlöhne bezahlt. Die Arbeitsbedingungen bei den vielen Subunternehmen hat die Bundesnetzagentur bisher noch nicht einmal erfasst.

Die neuen Ergebnisse der Erhebung zu den Arbeitsbedingungen im Briefmarkt aufgrund der Auskunftsanordnung der Bundesnetzagentur vom 22. Januar 2009 sind noch nicht veröffentlicht.