Umweltminister Röttgen hat mit seinen Äußerungen zur Atompolitik das allgemeine Durcheinander in der Koalition befördert. Von einer sachlichen Auseinandersetzung kann bei Schwarz-Gelb keine Rede mehr sein, meint Rolf Hempelmann.

 

Pünktlich zum Essener Parteitag hielt Umweltminister Norbert Röttgen den Grünen einen rhetorischen Blumenstrauß entgegen und verkündete in warmen Worten, dass seine Partei am Atomausstieg grundsätzlich festhalten wolle. Kaum einem aus den eigenen Reihen fiel auf, dass er damit eigentlich den schwarz-gelben Koalitionsvertrag zitiert. Glückwunsch an den Umweltminister. Das Verpacken alter Inhalte in neue Worte gelingt ihm so gut, dass reihenweise erzürnte Parteikollegen darauf reinfallen. "Sprachlos über soviel Unfug" ruft es aus der Unionsfraktion und auch der Koalitionspartner FDP schäumt vor Wut.

 

Von einer sachlichen Auseinandersetzung innerhalb der Regierung kann keine Rede mehr sein. Und wenn alle durcheinander schreien, gerät schnell mal was durcheinander. Bundesverbraucherministerin Aigner macht losgelöst von den börslichen und nicht börslichen Preisbildungsmechanismen am Strommarkt einen nicht exekutierbaren Vorschlag. Sie will die Mittel aus Atomlaufzeitverlängerungen über staatlich gelenkte Strompreisnachlässe den Verbrauchern zugute kommen lassen. Und die FDP meint, das Geld aus der Atomkraft sei direkt notwendig zur Finanzierung der Erneuerbaren Energien.

 

Stimmt nicht, sagt die Branche selbst zum FDP-Vorschlag. Erst kürzlich ließ der Bundesverband der Erneuerbaren Energien die Koalitionäre wissen, dass sie das Geld aus zusätzlichen Gewinnen der Kernkraftwerksbetreiber nicht brauche, wenn der Umbau des Energiesystems in Richtung der Erneuerbaren Energien verlässlich fortgesetzt wird.

 

Die Hauruck-Politik von Röttgen bei der Senkung der Photovoltaikförderung und seine blumigen Ankündigungen zur Atomkraft sind jedoch das Gegenteil von Verlässlichkeit. Auch die übrige Energiewirtschaft ist verunsichert. Angesichts unkalkulierbarer Rahmenbedingungen wurden bereits reihenweise kapitalintensiver Projekte mit langfristiger Bindung zurückgestellt.

 

Hier kündigt sich an, was Röttgen getrost verschweigt: Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke behindern den Wettbewerb auf dem Stromerzeugungsmarkt und das vor allem zulasten neuer Wettbewerber und kommunaler Energieversorger, deren Gewinne vielerorts zur Finanzierung kommunaler Dienstleistungen benötigt werden. Auf diese Gefahr weist eine jüngst von acht großen Stadtwerken vorgestellte Studie eindrucksvoll hin.

 

Klar ist doch: Hinter der sogenannten Brückentechnologie steht nicht mehr als die Fortführung des Status Quo und eine Verschnaufpause ausgerechnet für jene, die bereits den Großteil des Kuchens unter sich aufgeteilt haben. Atomkraft ist keine Zukunftstechnologie, sondern lukrativer Gewinn für die vier marktbeherrschenden Stromkonzerne in Deutschland. Merkel und Co. machen sich zu ihren willigen Gehilfen, während sie Wettbewerb am Stromerzeugungsmarkt den Garaus machen und den Ausbau der Erneuerbaren Energien in Wahrheit behindern.

 

Atomkraftwerke sind mit einem wachsenden Anteil von Erneuerbaren Energien schlecht vereinbar. Das musste auch der französische Atom-Spezialist EDF erst bitter lernen: Das Herauf- und Herunterregeln bei schwankender Einspeisung der Erneuerbaren Energien belastet die Lebensdauer der Atomkraftwerke und ist für ihre Betreiber schlicht unrentabel.

 

Anstatt sich am Atomthema zu zerreiben und eine allgemeine Verunsicherung auszulösen, sollte die Regierung schleunigst zu einer Diskussion über die eigentlichen Herausforderungen unserer Energieversorgung übergehen. Nach einer allzu langen Phase der Ankündigungen ist es an der Zeit, endlich ein schlüssiges Gesamtenergiekonzept vorzulegen.