Die SPD-Bundestagsfraktion bedauert, dass das Bundesverfassungsgericht nicht die Chance genutzt hat, die Dublin II-Verordnung als Grundlage des EU-Asylsystems in Frage zu stellen. Die gestrige Entscheidung, das Verfahren einzustellen, weil nach dem von Bundesinnenminister de Maizière eilig erlassenen Abschiebestopp in den "sicheren" Drittstaat Griechenland kein Klärungsbedarf mehr bestehe, ist enttäuschend. Geklagt hatte ein Iraker, der nunmehr für ein Jahr in Deutschland bleiben darf. Für ihn und die anderen über Griechenland in den Schengen-Raum eingereisten Flüchtlinge ist dies zwar ein Erfolg. Ein Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts hätte jedoch nicht nur den Rechtsschutz von bereits in Deutschland lebenden Flüchtlingen erhöhen können. Es hätte auch wieder Bewegung in die vor allem von der Bundesregierung blockierte Harmonisierung des EU-Asylsystems gebracht.
Den Rechtsschutz der Flüchtlinge hatte dagegen der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Blick: Wenige Tage vor der Einstellung des Verfahrens durch das Bundesverfassungsgericht stellte er in seiner Entscheidung fest, dass eine Rückführung nach Griechenland eine unmenschliche Behandlung sei und gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoße. Geklagt hatte ein Afghane, der aus Belgien nach Griechenland abgeschoben werden sollte. Mehrere EU-Staaten führen mittlerweile keine Flüchtlinge mehr nach Griechenland zurück.
Die SPD-Bundestagsfraktion hätte begrüßt, wenn die deutschen Verfassungsrichter sich ähnlich klar wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) an den Menschenrechten orientiert und die Drittstaatenregelung auf den Prüfstand gestellt hätten. Stattdessen haben sie sich auf einen Deal mit dem Bundesinnenminister eingelassen. Dieser legt nun die Hände in den Schoß und will warten, dass Griechenland während des einjährigen Abschiebestopps sein Asylsystem verbessert und dass für die mitteleuropäischen Staaten das so praktische Dublin II-System fortbestehen kann.
Das EU-Asylsystem muss grundlegend reformiert werden. Eine Lösung dürfte jedoch nicht einfach sein, solange Mitgliedsstaaten wie Deutschland nicht an einer gerechten Lastenverteilung interessiert sind. Einigkeit besteht daher nur bei allen Initiativen zur Flüchtlingsabwehr. Dies betrifft die Stärkung der Grenzschutzagentur FRONTEX ebenso sowie Rückübernahmeabkommen mit den EU-Anrainerstaaten. Erfreulich ist, dass das Europäische Parlament am 20. Januar in seinen Empfehlungen an den Rat ein EU-Rückübernahmenabkommen mit Libyen äußerst kritisch bewertet, indem es die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen im Land auflistet und das fehlende Asylsystem bemängelt. Dies dürfte den deutschen Innenminister aber nicht wirklich stören.