BUNTE: Wer packt Ihren Koffer, wenn Sie auf Reisen gehen?
Frank-Walter Steinmeier: Ich immer selbst. Das hat sich über lange Zeit so eingespielt. Ich habe mit zwei, drei Handgriffen meinen Koffer beieinander. Ich besitze rund zwanzig Anzüge und weiß auch ungefähr, welche Krawatten und Hemden dazu passen und hoffe, dass ich mit meiner Wahl richtig liege.   

Kaufen Sie Ihre Kleidung auch selbst?
Wenn es irgendwie geht, ja. Es sei denn, ich bin in einer zeitlichen Notsituation und brauche dringend ein, zwei neue Hemden. Dann bringt meine Frau welche mit.

Die meisten Männer nehmen denselben Anzug gleich in verschiedenen Farben. Dann ist der Einkauf schnell beendet.
Ich finde es schön, dass sich die Auswahl bei Herrenanzügen mittlerweile nicht mehr nur auf klassisches Grau und Blau beschränkt. Männermode ist viel anspruchsvoller und abwechslungsreicher geworden. Mir macht es heute mehr Spaß einzukaufen als noch vor zwanzig Jahren.

Ich bin begeistert von Ihrer neongrünen Plastikuhr, die Sie heute zu dem hellgrauen Anzug tragen. Ein Geschenk Ihrer siebzehnjährigen Tochter Merit?
Umgekehrt. Ich habe diese Uhr meiner Tochter geschenkt. Sie trägt sie allerdings nicht. Da meine Uhr zur Reparatur ist, habe ich mir die neongrüne genommen. Ich find's gar nicht schlecht.

Nehmen Sie im Wahlkampf ab oder zu?
Das hängt ein bisschen davon ab, wieviel Disziplin ich habe. Wenn es morgens bei Müsli bleibt, und nicht noch Rührei mit Schinken und Croissants hinterher kommen, nehme ich eher ab. Wahlkampf ist schon auch anstrengend. Meine Tage sind von früh bis spät voll mit Terminen. Für üppige Mahlzeiten bleibt da kaum Zeit.

Wie halten Sie Kontakt mit Ihrer Familie, wenn Sie ständig unterwegs sind?
Ich versuche zwischendurch immer mal wieder nach Hause zu kommen. Allerdings bleiben in Wahlkampfzeiten auch die Wochenenden nicht erhalten. Meine Tochter war gerade zwei Wochen mit Freundinnen im Urlaub. Sie schickt mir regelmäßig SMS und Fotos aufs Handy. Mit meiner Frau telefoniere ich mehrmals am Tag. 

Nehmen Sie sich auch während des Wahlkampfes Zeit für Freunde?
Ich habe in vielen unterschiedlichen Bundesländern gelebt. Überall sind Freunde und Bekannte zurück geblieben, zu denen Kontakt halten nicht einfach ist. Deshalb nutze ich Wahlkampfreisen auch für kurze private Treffen am späten Abend oder beim Frühstück. Ab und zu gelingt es.

Im Duden lautet die Definition von Freundschaft: „Auf gegenseitiger Zuneigung beruhendes Verhältnis von Menschen zueinander.“ Ist Freundschaft in der Politik nach dieser Bedeutung überhaupt möglich?
Ganz enge private Freundschaften, die über ein Leben lang tragen, sind in der Politik in der Tat selten. In meinem privaten Umfeld habe ich viele Freundschaften aus Universitätszeiten oder enge Menschen, die wir über Kindergarten und Schule unser Tochter geschlossen haben. Das trägt. Mit den engen Freunden kann ich über Persönliches reden. Und tue es auch.

Wieviele echte Freunde haben Sie?
Etwa eine Handvoll.

Wann haben Sie zuletzt einen Freund gebraucht?
Es gab die große Entscheidung in unserem Leben während der Krankheit meiner Frau. Bei den Entscheidungen, die da zu treffen waren, konnte ich mich Gott sei Dank auf gute Freunde verlassen. Manchmal brauche ich auch einfach mal jemanden, mit dem ich gemeinsam schimpfen und Dampf ablassen kann.

Erste Ansprechpartnerin ist dafür wahrscheinlich Ihre Frau, oder?
Meine Frau ist ein sehr politischer Mensch und hält mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg. Aber ich versuche es zu vermeiden, den Ballast meines politischen Alltags mit nach Hause zu nehmen. Meine Frau hat ihren eigenen Job, der seine eigenen Belastungen mit sich bringt. Dennoch: Sie ist die erste die spürt, wenn es tagsüber politischen Ärger gab. Ich kann's oft nicht verheimlichen, auch wenn ich es versuche. 

Sind Sie für Ihre Tochter eher bester Freund oder doch mehr Erzieher?
Ich arbeite mich hoch, um auf Augenhöhe zu sein. (Er lacht). Ich befürchte, dass durch meine häufige Abwesenheit als Außenminister meine Erziehungsversuche nicht hinreichend ernst genommen wurden. Inzwischen ist das auch nicht mehr nötig. Sie geht ihren Weg und wir haben ein enges, gutes Verhältnis.

Ist Peer Steinbrück Ihr Freund?
Ja. Wir sind eine langen Strecke gemeinsam gegangen. Durch Zeiten, die nicht immer einfach waren. Das schweißt zusammen.  In diesen vielen Jahren hat sich zwischen uns neben politischer Nähe auch Freundschaft entwickelt. Ich schätze an ihm seine persönliche Offenheit und Verlässlichkeit. Deshalb finde ich es unangemessen und ungerecht, wie in diesem Wahlkampf mit ihm umgegangen wird.

Hätten Sie ihm als Freund nicht abraten müssen, sich dieser Tortur auszusetzen?
Überhaupt nicht. Ich weiß ja, wie sehr er für seine Überzeugungen brennt und mit wieviel Herz er Politik macht.  Dieses Land braucht eine starke SPD in Verantwortung. Peer Steinbrück hat eine realistische Chance, Kanzler zu werden. Er würde unserem Land gut tun!

Bereuen Sie, nach 2009 nicht noch einmal als Kanzlerkandidat angetreten zu sein?
Nein. Ich hadere nicht mit meiner Entscheidung. Die ist ja bei mir nicht über Nacht gefallen. Ich habe das, gemeinsam mit meiner Familie, aus guten und bekannten Gründen so entschieden.

Wie groß ist die Enttäuschung, wenn am Ende die Wahl verloren geht – bei all dem Stress des Wahlkampfes?
Ich bin sicher, wir werden einen sehr knappen Wahlausgang erleben. Wenige Prozentpunkte werden den Ausschlag geben. Deshalb kämpfen wir buchstäblich um jede Stimme. Ich bin mir nicht zu schade jede noch so kleine Veranstaltung dafür zu machen, von Dorf zu Dorf und von Haustür zu Haustür zu gehen. Wie groß die Enttäuschung ist, wenn es am Ende nicht reicht, habe ich 2009 ja selbst erlebt. Das will ich nicht nochmal haben und es ist ein besonderer Ansporn noch eine Schüppe draufzulegen.

Was wäre frustrierender für die SPD: wenn die schwarzgelbe Regierung bleibt oder es zu einer großen Koalition kommt?
(Er denkt kurz nach) Wir machen keinen Koalitionswahlkampf, sondern wir kämpfen für eine starke SPD, die das soziale Gleichgewicht in unserem Land wieder herstellt. Unser Wunschpartner sind die Grünen.
Wir wollen regieren und Schwarz-Gelb ablösen. Was wir nicht wollen, ist die große Koalition. Nach vier Jahren Erfahrung damit zwischen 2005 und 2009, in der die SPD die ganze Arbeit gemacht und die stärksten Minister gestellt hat, war das Ergebnis deprimierend und drängt nicht nach Wiederholung.

Wären Sie lieber Vizekanzler oder Ministerpräsident von Brandenburg?
Ich bin vor allem gerne Fraktionsvorsitzender und widme mich voll und ganz der Aufgabe, die ich gerade habe. Ich konzentriere mich auf den Wahltag und zerbreche mir nicht den Kopf darüber, was für mich persönlich danach kommt. Meine Erfahrung ist, dass man das eh nicht planen kann. Aber klar ist: Mein Platz ist und bleibt in der Bundespolitik.
Was Brandenburg betrifft: Ich  wünsche meinem Freund Matthias Platzeck nicht nur vollständige Genesung, sondern wünsche mir, dass er Ministerpräsident von Brandenburg bleibt. Er ist der Beste, den ich mir für das Land vorstellen kann. Ich beneide ihn manchmal, weil ich kaum einen Politiker kenne, der so diszipliniert lebt wie er. Er macht regelmäßig Sport, raucht nicht und ernährt sich gut. Ich bin mir sicher, dass er als besonnener Mensch verantwortungsvoll mit seiner Gesundheit umgehen wird.

Im Duden wird Erholung als „Zurückgewinnung von Gesundheit und Leistungsfähigkeit“ erklärt. Wie erholen Sie sich während der kommenden Wochen?
Ich gönne mir zwölf Tage Urlaub mit meiner Frau. Wir fahren nach Südtirol. Ein paar Tage steil bergauf, die eigenen Grenzen testen - das ist echte Erholung. Berlin ist weit weg, Politik und Wahlkampf auch. Ich mach das jedes Jahr und komme mit freiem Kopf und guter Kondition zurück. Beides werde ich brauchen auf der Zielgeraden zum 22. September.

Wie geht es Ihrer Frau nach der Nierentransplantation?
Sehr gut. Das war seit 2010, soweit ich das als Nicht-Mediziner beurteilen kann, mit einigen Auf und Ab's, ein guter Verlauf. Sie hat mittlerweile wieder eine Lebensqualität, an die sie selbst nicht mehr geglaubt hatte. Sie lebt ihren normalen Allttag mit ihrem Beruf und ohne die Einschränkungen, die sie jahrelang zu ertragen hatte.

Sie kennen sich seit 1988. Hat die Operation, in der Sie Ihrer Frau eine Niere gespendet haben, Ihre Partnerschaft noch einmal verstärkt?
Ich hätte uns beiden lieber diese existentielle Erfahrung und schwierigen Entscheidungen der Krankkeit meiner Frau erspart. Aber das kann man sich nicht aussuchen. Und  nachdem es so ist, glaube ich in der Tat, dass weniger der medizinische Eingriff selbst, aber der Entscheidungsprozess mit Bangen und Warten und langen Gesprächen unserer  Beziehung noch einmal eine neue Tiefe gegeben hat.

Achten Sie auch mehr auf Ihre eigenen Gesundheit?
Ich esse gesünder und mache mehr Sport. Im Winter geht's ins Fitnessstudio. Aber auf dem Laufband freue ich mich auf schöne Sommertage wie jetzt. Da bin ich am Wochenende, wenn es geht, mit dem Rennrad unterwegs.

Tagträumen Sie manchmal?
Was wäre das Leben ohne Träume? Ich hoffe, dass ich niemals den Zustand erreiche, wo das zu Ende ist.

Wie erklären Sie sich die extrem hohen Beliebtheitswerte von Kanzlerin Angela Merkel?
Angela Merkel kann es sich leisten, die Menschen nicht zu fordern, sie in Ruhe zu lassen. Das gefällt vielen. Aber leisten kann sie sich das nur, weil Sozialdemokraten mit Gerhard Schröder an der Spitze das Land neu aufgestellt haben und wir jetzt von den Früchten leben, die vor gut zehn Jahren gesät wurden. Und genau davon werden wir die Menschen landauf und landab überzeugen.

Im Gegensatz zur Kanzlerin kommt Peer Steinbrück überhaupt nicht an bei den Wählern ...
Das stimmt ja so nicht. Wer ihn auf seinen Klartextveranstaltungen begeleitet, kann sehen, dass die Menschen seine Schlagfertigkeit, seinen Humor und seine nicht immer diplomatische Sprache lieben und schätzen. So hat er viele überzeugt und bis zum Wahltag werden es noch viel, viel mehr werden.

Warum wählen Sie SPD?
Weil sich die historische Aufgaben der SPD auch im 150. Jahr ihres Bestehens nicht erledigt hat. Weil eine Rente, von der man in Würde leben kann, der Mindestlohn und eine gebührenfreie und verlässliche Kinderbetreuung nur mit der SPD kommen werden. Weil soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Vernunft nur bei uns zusammen gehen.
Die Regierung Merkel hat vier Jahre lang die Hände in den Schoß gelegt und nichts für die Zukunft getan. Es braucht eine SPD, die dafür sorgt, dass die soziale Balance in unserer Gesellschaft unter sich ändernden Bedingungen immer wieder neu hergestellt wird.

 

Interview: Tanja May