Die Bundeswehr ist Parlamentsarmee. Muss also nicht auch die Opposition Interesse an einem voll handlungsfähigen Verteidigungsminister haben?

Frank-Walter Steinmeier: Alle Minister der Bundesregierung sind in besonderem Maße auf Glaubwürdigkeit und Vertrauen angewiesen. Ein Verteidigungsminister, der viele junge Menschen zum Einsatz ins Ausland schicken muss, ist das erst recht. Kein anderer Politiker hat in der Vergangenheit soviel von Werten, Anstand und Glaubwürdigkeit gesprochen, wie Herr zu Guttenberg. Und kein anderer hat so dreist über seine Qualifikation gelogen. Guttenberg hat seine Glaubwürdigkeit selbst verspielt, nicht die Opposition, nicht die Medien. Er trägt die Verantwortung dafür. Ich bleibe dabei: Er wird als Minister nicht zu halten sein.

Das Verhalten des Ministers ist das eine. Darf man denn auf der anderen Seite die Bundeskanzlerin und den CSU-Vorsitzenden dafür tadeln, dass sie sich schützend hinter den Minister und Parteifreund stellen?

Steinmeier: Eindeutig ja. Wenn Herr zu Guttenberg schon nicht die Verantwortung für sein Handeln übernehmen will, dann muss das die Bundeskanzlerin tun. Sie hat Angst vor der Enttäuschung seiner Anhänger. Aber wenn das zum Maßstab von Entscheidungen wird, dann ist nicht nur die Glaubwürdigkeit von Guttenberg, sondern von Politik insgesamt beschädigt.

Auch wenn er nach wie vor großen Rückhalt in der Bevölkerung hat?

Steinmeier: Sollen wir in Zukunft wirklich im Einzelfall darüber abstimmen, ob Rechtsverstöße verfolgt werden? Gerecht geht es in einer Gesellschaft doch nur zu, wenn die gleichen Maßstäbe für Alle gelten. Ich will mir nicht vorstellen, dass die Mehrheit der Gesellschaft das ändern will.

Was lernt die deutsche Außenpolitik aus Tunesien und Ägypten? Raushalten aus der Innenpolitik anderer Staaten und abwarten - das war doch auch die diplomatische Devise in Ihrer Amtszeit?

Steinmeier: Wir alle müssen uns Vorwürfe machen, auch die Politik. Weder die Politik noch die Experten, die Geheimdienste oder die Medien haben vorausgeahnt, was sich aus der Selbstverbrennung eines jungen Mannes in Tunesien in der gesamten arabischen Welt entwickelt. Was wir erleben, sind nicht nur Demonstrationen und Proteste selbstbewusster Bürger, sondern der Beginn einer völligen Veränderung in der arabischen Welt.

Die Europäer haben bei der jüngsten Entwicklung keine beeindruckende Rolle gespielt?

Steinmeier: Mich schmerzt, dass Europa lange geschwiegen hat zu den Ereignissen in Tunesien und Ägypten. Nachdem wir unsere Sprache wiedergefunden haben, kommt es darauf an, die Größenordnung der Aufgabe zu erkennen. Die Verantwortung europäischer Außenpolitik ist nicht, Presseerklärungen und Statements abzugeben, sondern eine Kraftanstrengung, die dieser großen Herausforderung gerecht wird. Europa braucht jetzt so etwas wie einen Marshall-Plan für den Maghreb.

Das Euro-Krisenmanagement der Bundesregierung wird ja selbst in der Koalition kritisiert. Blicken Sie noch durch, welche Risiken am Ende beim Bundeshaushalt und damit bei den Steuerzahlern landen?

Steinmeier: Wir hatten die Bundeskanzlerin schriftlich aufgefordert, in dieser Woche vor dem Bundestag dazu Stellung zu nehmen, das hat sie verweigert. Ich habe allergrößte Sorge um die Europäische Union, wenn die Regierungen sich davor fürchten, ihrer Bevölkerung zu sagen, was notwendig ist. Die Menschen spüren die Krise und ahnen, dass sie tiefer geht als jede andere Krise in den vergangenen Jahrzehnten. Die Regierung belebt Ressentiments gegenüber einzelnen Mitgliedsstaaten in der EU, anstatt zu sagen, dass niemand so sehr auf die Union angewiesen ist wie wir...

.... koste es, was es wolle?

Steinmeier: Nein, natürlich nicht. Aber wir exportieren 60 Prozent unserer Güter in die europäische Nachbarschaft. Wenn es unseren Nachbarn dauerhaft schlecht geht, wird es uns nicht gut gehen. Wir leben auf keiner Insel.

Das Verhältnis zwischen Koalition und Opposition, so hat sich bei den Verhandlungen zur Hartz-Reform gezeigt, ist schlecht. Betreibt die SPD über den Bundesrat jetzt bis ans Ende der Wahlperiode eine Blockadepolitik wie vor 1998?

Steinmeier: Blockadepolitik um ihrer selbst willen rechnet sich nie. Außerdem erwarten die Menschen nach 16 Monaten des schwarz-gelben Durcheinanders verantwortliches Handeln. Die SPD wird die Regierung kritisieren, wo immer das nötig ist - und Gelegenheiten dazu gibt es reichlich -, aber wir nutzen zugleich die Gestaltungsmöglichkeiten, um das Leben der Menschen zu verbessern. Genau das haben wir mit dem Kompromiss zur Hartz-Reform getan. Aus einer mageren Regierungsvorlage ist ein umfassendes Paket mit Bildungsangeboten für Kinder, Schulsozialarbeitern und dem Mindestlohn in drei wichtigen Branchen, für 1,2 Millionen Arbeitnehmer, geworden. Allein wegen Letzterem hat sich der Einsatz schon gelohnt.

Hamburg hat gezeigt: Die SPD kann noch Wahlen gewinnen. Aber nur, wenn sich die Partei wieder zurück in die Mitte bewegt und sich nicht von der Agenda-Politik abwendet?

Steinmeier: Olaf Scholz hat in Hamburg einen großen Wahlsieg errungen. Das war sein Wahlsieg und der Erfolg der Hamburger SPD. Wir freuen uns heftig mit ihm, weil das ein glänzender Start in dieses Wahljahr ist. Olaf Scholz hat am praktischen Beispiel gezeigt, dass die Verbindung von Arbeit und Wirtschaft das Erfolgsrezept für die SPD ist. Wir waren immer dann stark, wenn wir das Gespräch mit den Gewerkschaften gepflegt und die Industrie- und Handelskammern nicht links liegen gelassen haben.

Wäre das auch ein Angebot, das Nils Schmid für Baden-Württemberg machen könnte? Warum kommt die SPD hier nicht auf die Füße?

Steinmeier: Nils Schmid braucht dazu keine Belehrungen aus Berlin. Er macht das klug. Und bis zum Wahltag haben wir alle miteinander darum zu kämpfen, dass die SPD auch in Baden-Württemberg Erfolg hat. Es würde dem Land gut tun.

Eine Wechselstimmung nehmen Sie aber noch nicht wahr im Ländle?

Steinmeier: Ich kann in den Umfragen nicht sehen, dass Schwarz-Gelb eine Mehrheit in Baden-Württemberg hat. Ein Wechsel war in den letzten 14 Jahren nie so nahe.

Aber Stefan Mappus ist doch ein erfolgreicher Ministerpräsident?

Steinmeier: Eben nicht. Schon Herr Oettinger hat viele Unions-Wähler in Baden-Württemberg zweifeln lassen, unter Herrn Mappus sind diese Zweifel noch größer geworden. Wer will, dass in Baden-Württemberg die Chancen der wirtschaftlichen Erholung dazu genutzt werden, soziale Gerechtigkeit und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken, muss den Wechsel wählen, also Nils Schmid und die SPD.