Die Welt: Herr Oppermann, Sie haben jetzt die Möglichkeit, sich bei den Beamten des Bundesnachrichtendienstes (BND) und des Verfassungsschutzes zu entschuldigen. Bitte!

Thomas Oppermann: Dafür gibt es keinen Anlass. Es geht nicht um die Beamten des BND und des Verfassungsschutzes. Es geht um die Frage, was das Kanzleramt von der offenkundig millionenfachen Ausspähung der privaten und geschäftlichen Kommunikation deutscher Bürger durch den US-Nachrichtendienst NSA weiß.

Die Welt: CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl sagte, Sie würden die Beamten unter Generalverdacht stellen und verleumden. Sie hätten die Mitarbeiter zu millionenfachen Rechtsbrechern erklärt.

Oppermann: Das ist komplett aus der Luft gegriffen. Ich habe Kanzleramtschef Ronald Pofalla für die mangelnde Aufklärung und Information des Parlamentes verantwortlich gemacht. Das ist keine Holschuld, sondern eine Bringschuld der Regierung. Neun Wochen nach den ersten Enthüllungen hat die Bundesregierung noch immer keine Antwort auf die Frage, in welchem Ausmaß die NSA die Daten deutscher Bürger ausspäht. Das ist der Kern des Skandals.

Die Welt: Die Regierung sieht das anders: Wie bewerten Sie die Hinweise, die SPD habe die Grundlage für das Ausspähen durch die NSA geschaffen?

Oppermann: Das ist eine bewusste Irreführung. Nach der Phase der Nichtinformation betreibt Herr Pofalla jetzt die Phase der gezielten Desinformation.

Die Welt: Grundlage für die Kooperation zwischen BND und NSA ist bis heute ein 2002 geschlossenes Abkommen „Memorandum of Agreement“. Kanzleramtsminister war damals Frank-Walter Steinmeier. Welche Verantwortung trägt er für das massenhafte Ausspähen?

Oppermann: Wer die verstärkte Zusammenarbeit nach dem 11. September mit dem flächenhaften Ausspähen deutscher Staatsbürger durch US-Geheimdienste vergleicht, verdreht bewusst die Tatsachen. Die rot-grüne Bundesregierung hat die Kooperation der Sicherheitsbehörden befürwortet, um dieses furchtbaren Verbrechen aufzuklären und weitere Anschläge zu verhindern – und das wird heute wie damals von einer breiten Mehrheit im Bundestag unterstützt. Wir wollen, dass die deutschen und amerikanischen Dienste nach Recht und Gesetz zusammenarbeiten, aber wir wollen keine Kumpanei und millionenfache Ausspähung.

Die Welt: Warum soll Steinmeier nun vor das Kontrollgremium treten?

Oppermann: Die Regierung versucht, mit dem Verweis auf Rot-Grün vom eigenen Versagen in der Spähaffäre abzulenken. Ich sehe einem Auftritt von Frank-Walter Steinmeier mit großer Gelassenheit entgegen. Frank-Walter Steinmeier kann uns keine Auskunft über die von Snowden enthüllten Ausspähprogramme geben. Prism, XKeyscore und Tempora gab es zu seiner Zeit als Chef des Kanzleramts noch gar nicht.

Die Welt: Die Kanzlerin wäre also eine bessere Gesprächspartnerin?

Oppermann: Da mögen Sie recht haben. Denn die von Snowden aufgedeckten Ausspähungen fanden in der Regierungszeit von Frau Merkel statt. Zunächst wollen wir aber am Montag endlich von ihrem Kanzleramtsminister wissen, was die Regierung nach nunmehr neun Wochen herausbekommen hat. Ich erwarte, dass Herr Pofalla die Ausforschung von Deutschen durch die Amerikaner mittlerweile so weit aufgeklärt hat, dass er das Parlament darüber korrekt informieren kann. Millionen Menschen in Deutschland haben einen Anspruch darauf, zu erfahren, was mit Ihren Daten passiert.

Die Welt: Der frühere Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) findet  „manches Getöse, was da im Moment zu hören ist“ völlig unangemessen. Geht es Ihnen um bloß um Wahlkampf?

Oppermann: Nein. Als Vorsitzender des Gremiums, das im Auftrag des Bundestages die Geheimdienste kontrolliert, ist es meine Pflicht, darauf hinzuwirken, dass die ungeheuerlichen Behauptungen des ehemaligen Nachrichtendienst-Mitarbeiters Edward Snowden aufgeklärt werden.

Die Welt: Kommen wir zum Kernvorwurf: Seit den Enthüllungen von Snowden steht die Behauptung im Raum, dass die NSA Deutsche massenhaft ausspioniert. Gibt es dafür irgendeinen Beleg?

Oppermann: Ja. In der Stellungnahme der NSA räumt der US-Nachrichtendienst ein, dass sie Kommunikationsinhalte weltweit überwacht. Voraussetzung dafür ist einzig und allein ein „Auslandsaufklärungsinteresse“. Mit anderen Worten: Wenn amerikanische Bürger nicht betroffen sind, ist nahezu alles möglich. Rechtliche Schranken für die Ausspähung von Bürgern aus befreundeten Staaten werden nicht genannt. Damit gesteht die NSA eine Überwachung deutscher Bürger indirekt ein.

Die Welt: Unklar bleibt aber noch, ob deutsche Bürger von der Bundesrepublik aus ausgespäht werden.

Oppermann: Deutsche Bürger können von überall in der Welt ausgespäht werden. In den Unterlagen von Snowden ist Deutschland als eine Zone markiert, die intensiv überwacht wird. Zudem gibt es das von Snowden vorgelegte Zitat, dass die Bundesrepublik Angriffsziel der US-Geheimdienste ist.

Die Welt: Es gibt aber doch auch Hinweise, dass es sich größtenteils um Daten handeln soll, die der Bundesnachrichtendienst BND in Krisenländern wie Afghanistan erhebt und dann an die NSA weiterleitet.

Oppermann: Das hätte uns die Bundesregierung doch aber schon vor Wochen mitteilen müssen. Ich bezweifele zudem, dass diese Behauptung zutrifft. Wir haben im Kontrollgremium von Herrn Pofalla gehört, dass die Satellitenkommunikation nur einen Bruchteil der weltweiten Kommunikation ausmacht. Der Verdacht, Millionen Datensätze deutscher Bürger werden zu Unrecht erhoben, ist noch nicht widerlegt.

Die Welt: Die Kanzlerin hat wiederholt einen zentralen Satz sagt: Auf deutschem Boden gilt deutsches Recht. Tut Angela Merkel genug, um diesem Anspruch gerecht zu werden?

Oppermann: Es folgt aus der Souveränität unseres Landes und der Geltung unserer Gesetze, dass in Deutschland deutsches Recht gilt. Das zu betonen reicht nicht. Frau Merkel muss es durchsetzen. Dafür hat sie bisher zu wenig gemacht. Sie versucht, diesen Skandal auszusitzen. Statt zu sagen, sie habe nicht die Absicht sich in die Details von Prism einzuarbeiten, muss sie sich endlich vor die deutschen Bürger stellen und ihre Grundrechte verteidigen.

Die Welt: Noch gibt es nur wenige Informationen aus den USA. Was kann die Bundesregierung tun, um endlich Antworten zu erhalten?

Oppermann: Frau Merkel muss den USA klar machen, dass es für uns ist nicht akzeptabel ist, von einem befreundeten Land ausgespäht zu werden. Wir sind Partner in der Nato, wir bilden eine Wertegemeinschaft. Damit ist aber nicht zu vereinbaren, dass der größere Partner den kleineren offenbar schrankenlos ausspioniert. Das ist auch eine Frage der Souveränität unseres Landes.

Die Welt: SPD-Chef Sigmar Gabriel plädiert dafür, Snowden in ein Zeugenschutzprogramm aufzunehmen. Hat er bedacht, dass dies einen heftigen Konflikt mit den USA provozieren würde?

Oppermann: Wichtig ist, dass Snowden seine Dokumente veröffentlichen konnte. Sein großes Verdienst ist, dass er dadurch eine breite gesellschaftliche Debatte über schrankenlose staatliche Überwachung ausgelöst hat. Ich hätte mir gewünscht, dass wir eine abgestimmte europäische humanitäre Lösung für ihn gefunden hätten. Ich finde es beschämend, dass er ausgerechnet auf Asyl in Russland angewiesen ist. Das verschlechtert massiv die amerikanisch-russischen Beziehungen. Von einer Eiszeit zwischen diesen beiden Mächten hat niemand etwas.

Die Welt: Eine allzu große Unterstützung für Herrn Snowden von deutscher Seite könnte aber auch zu einer Eiszeit mit den USA führen...

Oppermann: Unsere amerikanischen Partner schulden uns eine Auskunft. Herr Snowden hat die Vorwürfe veröffentlicht. Wir müssen sie nun aufklären. Partnerschaft auf Augenhöhe braucht selbstbewusste deutsche Politik. Flächendeckende Überwachung ist ein Gift für die Grundwerte der Freiheit und der Demokratie, die uns mit den USA verbinden. Um diese Werte müsste eine deutsche Bundesregierung kämpfen.

Die Welt: Eine Blick in die Zukunft: SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück schließt aus, Minister unter Frau Merkel zu werden. Halten Sie das auch so?

Oppermann: Wir wollen Frau Merkel als Bundeskanzlerin ablösen. Und ich will Minister in einer rot-grünen Bundesregierung werden. Andere Ziele habe ich nicht.

Die Welt: Was wäre Ihr Lieblingsressort?

Oppermann: Peer Steinbrück hat mir in seinem Kompetenzteam die Rechts- und Innenpolitik anvertraut. Da würde ich gern als Minister Verantwortung übernehmen.

Die Welt: Also eher das Innen-, oder das Justizministerium?

Oppermann: Erst müssen wir die Wahl gewinnen, dafür kämpfen wir, dann sehen wir weiter…

Die Welt: Bei dieser Zukunftsaussicht – oder auch als womöglich künftiger Kanzleramtschef – müssten Sie wohl Verantwortung für Dienste übernehmen. Würde Ihre Kritik dann ähnlich heftig ausfallen?

Oppermann: In einer Demokratie müssen die Dienste vom Parlament kontrolliert werden. Aber die Nachrichtendienste müssen eben auch von der Bundesregierung verantwortlich geführt werden. Wir würden beides machen.

Die Welt: Sind Sie insgeheim ein Fan der Dienste?

Oppermann: Ich sehe in den Nachrichtendiensten notwendige Einrichtungen, um Informationen zu sammeln, die uns vor schweren Verbrechen schützen. Fan bin ich von Hannover 96 und Borussia Dortmund.