Sehr geehrter Herr Professor Zimmermann, sehr verehrte Gäste, lieber Sebastian Krumbiegel ,

14 goldene Schallplatten, 6 Platin-Auszeichnungen, jeweils zweimal Echo und die goldene Stimmgabel – das alles ist sensationell, erst recht für eine Band, die mit deutschen Texten singt. Fast aber auch schon die erwartete, weil hochverdiente Anerkennung für musikalischen Erfolg und künstlerische Leistung auf höchstem Niveau. Dennoch: Unter den Auszeichnugnen, die „Die Prinzen“ als Band erhalten haben, fällt eine aus dem Rahmen: Der im Jahre 2006 erhaltene Preis „Gegen Vergessen – für Demokratie“, verliehen von der gleichnamigen Stiftung. Dieser Preis wurde bisher vergeben an Politiker, Bürgerrechtler und Historiker – aber nur ein einziges Mal an eine Musikgruppe. Eben an die Prinzen.

Ich weiß, warum ausgerechnet die Prinzen diese eine Ausnahme sind. Und ich kenne Sebastian Krumbiegel seit vielen Jahren und weiß um seinen Anteil daran. Deshalb war ich auch weniger überrascht als möglicherweise viele, dass die Auswahl für den diesjährigen Humanismus-Preis auf ihn gefallen ist. Dass bei der Suche nach einem geeigneten Laudator die Wahl auf mich gefallen ist, freut mich ebenfalls sehr. Es ist mir eine Ehre und  eine schöne Aufgabe zugleich, die Laudatio auf Sebastian Krumbiegel zu halten.

Und das, obgleich heute hier im Angesicht so vieler Altphilologen einige Erinnerungen hochkommen, und – so viel Ehrlichkeit muss sein! – es sind nicht nur gute darunter. Die Schönheit Ovid’scher Verse, die meinen Lateinlehrer in Verzücken gerieten ließ, habe ich als eher schweißtreibende Plackerei in Erinnerung. Aber ich will ihm und Ihnen kein Unrecht tun – denn hängengeblieben ist mehr, als ich damals erwartet habe, wie ich viele Jahre später bei den Lateinhausaufgaben meiner Tochter verwundert feststellen konnte. Und dass die jetzt auch noch freiwillig Altgriechisch lernt, dürfte doch das Herz Vieler hier im Saal erfreuen.

Und ich kann Ihnen versichern, auch ich selbst fühle mich heute abend gut aufgehoben bei Ihnen. Denn jenseits unterschiedlicher Erinnerung an das Studium alter Sprachen eint uns doch vermutlich Entscheidendes: Die Wertschätzung grundlegender Bildung nämlich, die sich nicht in reiner Wissensvermittlung erschöpft. Nichts erschreckt mich so sehr wie die Vorstellung, dass wir Leben und Lebensumwelt nur noch nach kalten Nützlichkeitserwägungen betrachten. Humanisten haben sich seit jeher dagegen gewandt. Anstatt zu fragen:. „Was muss ich wissen?“, “Wofür brauche ich das?“, oder „Was nützt mir das?“, haben sie Bildung immer auch als Selbstzweck begriffen. Und als Weg, um sich selbst, ihr Umfeld, ja Gesellschaft zu verbessern. „Was macht uns zu Menschen?“ „Wie können wir menschlicher werden?“, „Welche Verantwortung erwächst uns daraus?“, das sind Fragen, für die sich Humanisten interessieren.

Und es schien lange, als hätten sie sich damit auch durchgesetzt. Wer von uns führt nicht das „humanistische Bildungsideal“ leichtfertig im Munde? In kaum einer politischen Rede über Bildungspolitik wird es fehlen! Bei den allermeisten ist jeder Zweifel berechtigt, ob sie wissen, worüber sie reden. Das Bruttosozialprodukt misst alles – hat Robert Kennedy gesagt – nur nicht das, was das Leben lebenswert macht. Und in Politik und Wirtschaft vergessen viele, dass die Zukunft der Gesellschaft sich nicht nach den Handbüchern der Bilanzbuchhaltung gestalten lässt. Nichts ist einfach, zumal in diesen Zeiten der europäischen Krise. Aber kaum etwas empört mich mehr als der Zynismus derer, die immer schon alles wissen. Die selbstgerechte Gewissheit der Erfahrungslosen, des forschen Auftritts, vor dem kein Versuch und kein politisches Bemühen standhalten kann. In solchen Begegnungen klingt mir immer Alexander von Humboldts Warnung in den Ohren:

"Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben." Humboldt war weit gereist und wusste doch, dass es kaum jemandem vergönnt sein würde, es ihm nachzutun! Aber sein Plädoyer war ein Kampf gegen das Vorurteil, die Vergewisserung über die Nichtabgeschlossenheit unseres Wissens, die Mahnung, dass wir Entscheidungen immer mit dem Risiko partiellen Nichtwissens treffen. In diesem Sinne geht es im humanistischen Bildungsideal nie allein um Zahlen, Daten, Fakten, sondern vielmehr um Haltungen, Argumente und die Fähigkeit zur Auseinandersetzung. Bildung muss die eigene Urteils- und Kritikfähigkeit befördern, ohne die Verantwortung nur schwer zu tragen ist.

„Eine Verbesserung der Bedingungen auf der Welt ist im wesentlichen nicht von wissenschaftlicher Kenntnis, sondern vielmehr von der Erfüllung humaner Traditionen und Ideale abhängig.“ schreibt Albert Einstein! Nicht auf das „Ideal“, auf die „Haltung“, auf das „Tun“ kommt es an!

Ich vermute, es waren ähnliche Beweggründe, die den Deutschen Altphilologenverband dazu gebracht haben, einen „ Humanismus-Preis“ zu verleihen – seit nunmehr 14 Jahren, alle zwei Jahre wieder. Auch Ihr Grundgedanke ist die Verknüpfung von geistiger Bildung und aktivem Eintreten für das Gemeinwohl. Und preiswürdig ist das ohne Zweifel; denn unser Land braucht Menschen, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, die solidarisch sind, selbst dann, wenn ihnen daraus Nachteile entstehen mögen.

Ich freue mich, dass Sie Sebastian Krumbiegel in diesem Jahr als Träger des Humanismus-Preises ehren, und finde, Sie haben damit eine ganz ausgezeichnete Wahl getroffen.

Er befindet sich nicht nur in einer Reihe illustrer Vorgängerinnen und Vorgänger, er ist auch der bisher jüngste unter ihnen. Aber das ist für ihn nichts Neues: Denn ein Frühstarter war er eigentlich schon immer. 1966 in Leipzig geboren, haben seine Eltern Cornelia und Peter seine musikalische Begabung früh erkannt und gefördert. Er singt und spielt Klavier nach Herzenslust. Sie vermittelten ihm aber auch ein gesundes Gerechtigkeitsempfinden, Respekt vor den Mitmenschen und eine Nachdenklichkeit über die Welt.

Neben seinen Eltern ist Sebastian durch seine Zeit als Thomaner stark geprägt – inklusive seines Mitwirkens im einzigartigen und weltberühmten Leipziger Thomanerchor. Thomanerschule und Thomanerchor feierten in diesem Jahr ihr 800jähriges Bestehen – eine Tradition, deren Teil Sebastian war und die ihn nicht kalt gelassen hat. Im Gegenteil war es vielleicht gerade diese Tradition, die im Leipzig der 1970er und 80er Jahre ein gewisses Maß an Freiheit garantieren konnte. Die alten Mauern der Thomanerschule schützten in einer Zeit gesellschaftlicher Bewegungsunfähigkeit und politischer Unfreiheit einen offenen Raum. Und das Gleiche galt für den Chor: Mit 7 Jahren hat Sebastian auf einer Chorreise zum ersten Mal Japan besucht. Diese und viele weitere Reisen trugen dazu bei, dass er auch als Kind der DDR die Möglichkeit hatte, die Welt tatsächlich anzuschauen, ganz in Alexander von Humboldts Sinne.

Nach der Schulzeit entschied sich Sebastian für ein Studium an der Musikhochschule in Leipzig: Schlagzeug und Gesang. In diese Zeit fiel auch die friedliche Revolution. Er hat aktiv teilgenom¬men an den Montagsdemonstrationen in seiner Heimat- und Unistadt – und neigt doch nicht dazu, seine eigene Rolle zu heroisieren oder zu überschätzen. Ostalgie ist bis heute nicht seine Sache, und er freut sich auch zum 20jährigen Jubiläum des Mauerfalls noch immer über die gewonnene Freiheit. Aber ebenso kann er ungezwungen feststellen, dass auch die Leute in der DDR ihr Leben gelebt, Familien gegründet, Häuser gebaut, Partys gefeiert, sich Witze erzählt, gelacht, geweint, Bücher gelesen und Lieder gesungen haben.

Und wo wir beim Lieder singen sind: Gemeinsam mit Freunden aus dem Thomanerchor hatte Sebastian Krumbiegel bereits in den 1980er Jahren verschiedene Bandprojekte gestartet. Aus diesen gingen schließlich nach der Wende die Prinzen hervor, die mit ihrem unverwechselbaren A-capella-Gesang einen Ohrwurm nach dem nächsten produzierten.

Wenn ich mir eine Nebenbemerkung in Richtung des Deutschen Altphilologenverbandes erlauben darf: Entweder Sie müssen mächtig ein Auge zugedrückt, oder die Lieder der Prinzen explizit von der Ehrung ausgenommen haben, als Ihre Wahl auf Sebastian Krumbiegel fiel. Denn mit dem sprachlichen Vervollkommnungsideal des Humanismus hat die deutliche Sprache der Prinzen nicht immer zu tun. Wenig hat die Band am Hut mit der Pflege von sprachlicher Konvention! Stattdessen wird Klartext gesprochen:

„Du musst ein Schwein sein in dieser Welt, […] denn willst Du ehrlich durchs Leben gehen, kriegst ‘n Arschtritt als Dankeschön“.

oder

„Ich wär' so gerne Millionär, […] doch ich hab ein großes Maul, […] Ich wär so gerne Millionär […] aber ich bin stinkend faul.“

Sie merken, das ist nicht immer ganz ernst gemeint: Das ist in der Regel ironisch gebrochen, hinterlistig, aufklärerisch. Unser Preisträger, und das hat Sie dann sicher schnell wieder versöhnt, hat die Popularität der „Prinzen“ gut und vielfältig genutzt. Er war immer überzeugt, dass die Musik auch eine politische Kraft hat, dass sie Grenzen und Vorurteile überwinden kann.

Sebastian scheut nicht davor zurück, offen zuzugeben, dass er Menschen beeinflussen will. Er hat eine Meinung, und die vertritt er. Und er verharrt nicht in elitärer Selbstbezogenheit, er will sich nicht raushalten. Wenn man ihn fragt , ob er nicht Nachteile befürchte durch seine politischen Bekenntnisse – oft genug auch für die deutsche Sozialdemokratie –, dann antwortet er : „Das ist mir egal. Ich habe eine Meinung und vertrete sie.“

Auf dieser Haltung fußt sein tatkräftiges, langjähriges und facettenreiches Engagement , für das er heute diese Auszeichnung erhält – und das so umfangreich ist, dass es in einer Laudatio allein kaum zu würdigen ist. Es reicht vom Einsatz für Bürgerrechte bis zum Kampf gegen Landminen, von der innenpolitischen Einmischung bis zur Verteidigung der UN-Milleniumsziele.

Im Mittelpunkt über lange Jahre hinweg steht sein Engagement gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Das Jugendfestival „Leipzig. Courage zeigen – Junge Musiker gegen Gewalt und Rassismus“ ist dafür nur ein Beispiel. Wir beide haben zusammen gesessen mit Vertretern von Initiativen und Künstlern und haben uns ausgetauscht, wie wir Jugendliche davon abhalten, falschen Einflüsterungen zu folgen. Seit Langem warnt der Preisträger bei jeder Gelegenheit vor der Verniedlichung der rechtsradikalen Gefahr und beklagt auch Versäumnisse der Politik. Wie recht er damit hat, haben wir erst vor einem halben Jahr durch die Aufdeckung der Mordserie des Zwickauer Neonazi-Trios bitter erfahren. Und natürlich war Sebastian Krumbiegel - per Videobotschaft - dabei, als – nach Tagen der Erschütterung und des Entsetzens – im Dezember in Jena 50.000 Menschen ihre Solidarität mit den Opfern und ihren Angehörigen zum Ausdruck gebracht haben.

Ein zweiter Schwerpunkt ist sein Einsatz für Flüchtlinge, die vor politischer und religiöser Verfolgung nach Deutschland geflohen sind, um hier Schutz zu finden. Ihnen will er eine Stimme geben, sie will er in unser Bewusstsein rücken, mit aller Macht. Dafür hat er eine ausser¬gewöhnliche Tournee gestartet, in der er ihre Schicksale erzählt. Dafür hat er ein Buch herausgegeben, „ Ängste und Träume“, das von ihren erschütternden Lebenswegen berichtet. Dafür wurde im Rahmen des Integrationsprojektes „ Bunte Gärten“ in Leipzig ein Raum geschaffen, in dem Flüchtlinge selbst über ihr Leben erzählen. Ich weiß nicht, wer von Ihnen die CD kennt „Sebastian Krumbiegel – Solo am Piano“? Die gibt es gar nicht im Handel, sondern wird nur am Rande seiner Konzerte verkauft. Auf ihr lernt man noch einmal einen ganz anderen Sebastian Krumbiegel kennen: ganz persönlich, fast schon intim, nur er und sein Klavier. Auf dieser CD findet sich eine wunderbare Aufnahme des Songs von Udo Lindenberg „Er wollte nach Deutschland“. Er erzählt die Geschichte eines Flüchtlings, eines jungen Mannes, der vor dem Elend in seiner Heimat flieht und in Deutschland seinen Traum verwirklichen will, der am Ende in Abschiebehaft landet und nicht versteht, was mit ihm geschieht. Das ist für Sebastian Krumbiegel kein fremdes Schicksal, das geht ihm nah, und ich sagen Ihnen voraus: So geht es auch jedem, der dieses Lied hört.

Aber das ist noch längst nicht alles: Als Schirm¬herr der Ronald-McDonald- Häuser kümmert er sich um schwer kranke Kinder. In der Kampagne „Deine Stimme gegen Armut“ kämpft er dafür, bis zum Jahr 2015 Armut und Hunger auf der Welt um die Hälfte zu verringern. Besonders danken möchte ich ihm neben all dem aber für seinen Einsatz für die Demokratie. Immer wieder ruft er auf, bei Wahlen nicht abseits zu stehen und die Stimme abzugeben.

Unser gemeinsames Ziel ist eine lebendige, solidarische und starke Bürgergesellschaft. Und die braucht meinungsstarke, kritische und tatkräftige Bürger, so wie Sebastian Krumbiegel. Wo andere zu Zynikern werden, viele seiner erfolgreichen Kollegen sich in der Belanglosigkeit der medialen Glitzerwelt verlieren, fernab der Heimat – in Kitzbühl, St. Moritz und Ibiza – nicht von den Bedrängnissen des harten Alltags für die Menschen zu Hause spüren, da schaut Sebastian Krumbiegel mit all seinem Enthusiasmus und all seinem Tatendurst auf unser Land und darüber hinaus. Er nimmt die Welt, wie sie ist, aber er will sie nicht so lassen! Er findet sich nicht ab damit! Er will die Verhältnisse für die Menschen zu verbessern: singend, redend, mahnend, anpackend. Er fühlt die Verantwortung, die ihm aus seiner Prominenz, aus seiner Bildung, ja: aus der humanitas erwächst. Und er hat sich noch nie davor gescheut, diese Verantwortung auch anzunehmen. Viele solcher Krumbiegels braucht unser Land – nicht nur unter den Kulturschaffenden!

Dir, lieber Sebastian, wünsche ich Mut und Zuversicht für die kommenden Jahre! Bewahre Dir Deine nachdenkliche Radikalität und bleibe ein wenig quer zu den Dingen – ein wenig Zeit bleibt ja noch, bevor aus dem wilden, jungen Prinzen endgültig ein alter weiser König wird.

Herzlichen Dank.