Beim ersten demokratischen Referendum nach der friedlichen Revolution in Ägypten gab es gestern nur Gewinner. Einerseits wurden die vorgelegten Änderungen der Verfassung von einer klaren Mehrheit angenommen. Andererseits konnten auch die feiern, die mit "Nein" gestimmt hatten. Denn sie traten für weiter gehende Änderungen in der Verfassung ein, die in Zukunft natürlich auch nicht ausgeschlossen sind. Allein schon die Tatsache einer wirklich demokratischen Abstimmung ist die wichtigste Meldung dieses Wochenendes in Ägypten. Anders als bei früheren Wahlen wurde kein Druck auf die Wählerinnen und Wähler ausgeübt und die Argumente für und gegen den Vorschlag wurden auch in der Presse offen ausgetauscht.
Den weiteren Fortgang muss die Weltgemeinschaft allerdings trotz dieser hoffnungsvollen Zeichen sehr sorgsam verfolgen. Denn eine einzelne Abstimmung sichert noch nicht den Erfolg demokratischen Wandels. Bedenkenswert sind zum Beispiel die Einwände von Teilen der Opposition, dass Wahlen schon im Sommer des Jahres den etablierten Kräften in die Hände spielen und einen Wahlerfolg von neuen Parteien unmöglich machen würden. Zunächst muss also die friedliche Revolution der Straße in eine gesellschaftliche Diskussion und in die Formung von Plattformen und Parteien münden. Dieser Prozess braucht mehr Zeit als nur sechs Monate.
Unabhängig davon muss die Interimsführung des Landes sofort für die international überprüfbare Einhaltung von Menschenrechtsstandards, die Freilassung aller politischen Gefangenen und insbesondere die Wahrung der für die Entwicklung einer demokratischen Gesellschaft so wichtigen politischen Freiheiten sorgen.