Die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles bezeichnete es in ihrer Rede als besonders schlimm, dass es zusätzlich zu dem Versagen bei der Verhinderung des Terroranschlags auf den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breidscheidplatz auch zu einem Versagen eines angemessenen Umgangs mit den Opfern und ihren Angehörigen gekommen sei. Sie habe ein Gefühl von Scham und Schuld.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

In der nächsten Woche jährt sich der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz hier in Berlin. Dieser Anschlag – das haben viele so empfunden – war ein Anschlag auf uns alle. Er hat Menschen aus dem Leben gerissen, er hat Familien zerrissen, und er hat unendliches Leid und Schmerz für die Opfer und Angehörigen gebracht. Ich möchte deswegen sagen: Den Opfern und Angehörigen gilt auch heute unser tief empfundenes Mitgefühl. Wir haben an dieser Stelle, wie ich denke, wirklich eine gemeinsame Haltung in diesem Haus.

Zu der Trauer und auch der Anteilnahme ist allerdings im Laufe des letzten Jahres ein anderes Gefühl hinzugetreten, das mich sehr bedrückt. Es ist bei mir ein Gefühl von Scham und Schuld aufgetreten, je mehr Tatsachen durch die Aufklärungsarbeiten über das, was vorgefallen ist, an den Tag gebracht wurden, Tatsachen, bei denen wir uns eingestehen müssen, dass wir letztendlich bei der Verhinderung dieses Anschlags versagt haben. Aber was besonders schlimm ist: Wir haben auch noch versagt, angemessen auf die Opfer und Angehörigen zuzugehen und sie angemessen zu unterstützen. Das muss hier und heute benannt werden.

Es sind Missstände in der Terrorismusbekämpfung ans Tageslicht gekommen, beispielsweise die viel zu lückenhafte oder späte Registrierung von Asylbewerbern. Bei der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden der unterschiedlichen Ebenen unseres Landes ist es so gewesen, dass es unklare Kompetenzen und auch Fehleinschätzungen gegeben hat, Fehleinschätzungen beispielsweise in Bezug auf die Frage der Überwachung von Gefährdern. Gerade der Täter vom Breitscheidplatz hat mehrere Straftaten begangen, aber es wurde kein Haftbefehl beantragt.

Ich muss an dieser Stelle sehr klar sagen, dass sich das ändern muss. Deswegen ist es gut, wenn wir Anfang nächsten Jahres zu diesem Thema einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss einsetzen, um diesen Sachverhalt weiter aufzuklären.

Das Ziel dieses Untersuchungsausschusses muss es sein, einerseits die Verantwortung der Bundesbehörden zu beleuchten, andererseits Konsequenzen aus den Fehlern zu ziehen.

Es muss sich aber auch ändern, wie auf die Opfer von Terroranschlägen und ihre Angehörigen zugegangen wird. Regierung und Behörden haben teilweise unbeholfen und ohne Routine reagiert. Ich selber war bei dem Trauergottesdienst dabei. Mir war nicht bewusst – was später klar geworden ist –, dass viele der Angehörigen zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch nicht wussten, ob geliebte Menschen unter den Opfern waren. Finanziell erhielten viele nicht die Unterstützung, die sie erwartet oder dringend gebraucht hätten – zumindest nicht so unbürokratisch, wie es notwendig gewesen wäre. Auch dabei brauchen wir eine Veränderung.

Ich möchte heute den Angehörigen der Opfer vom Berliner Breitscheidplatz meinen allergrößten Respekt aussprechen; denn sie haben die Kraft aufgebracht, mit diesem schweren Schicksal umzugehen. Sie haben aber auch noch die Kraft gehabt, sich gegenseitig zu unterstützen. Und sie haben sich zusammengeschlossen, um in einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin einen Handlungsbedarf des Gesetzgebers aufzuzeigen. Ich denke, dass das Respekt verdient; denn es ist nicht selbstverständlich, diese Sache in dieser Weise zustande zu bringen. Es gibt hier, jedenfalls bei uns, ein offenes Ohr für die Anliegen.

Kurt Beck ist der von der Bundesregierung Beauftragte für die Opfer der Hinterbliebenen. Er hat sich in die Sache reingekniet und heute im Kabinett seinen Bericht vorgelegt. Er hat eine ganze Reihe von Änderungsvorschlägen gemacht, die die Bundesregierung annehmen wird. Wir wissen, dass bereits eine umfangreiche Reform des Entschädigungsrechtes von der Bundesregierung erarbeitet wird. Dieser Punkt muss erweitert werden um die Aufarbeitung und die Erkenntnisse des Berichtes des Opferbeauftragten Kurt Beck, dem ich an dieser Stelle dafür ebenso danke wie der Bundesregierung für die Bereitschaft, diese Aspekte aufzunehmen.

Die Einrichtung von einheitlichen Anlaufstellen, eine bessere finanzielle und unbürokratischere Soforthilfe, psychologische Betreuung – das sind Erkenntnisse, die wir hier gesammelt haben, und das alles sind Dinge, die wir in Zukunft brauchen werden; ich hoffe, so selten, wie es nur irgend geht.

Ich bin sehr froh, dass es uns gelungen ist, heute einen gemeinsamen Antrag mit CDU/CSU, der FDP und Bündnis 90/Die Grünen [Drs.: 19/234] vorzulegen und damit zum Ausdruck zu bringen, dass dieser Anschlag nicht vergessen ist und dass wir daraus für die Zukunft Konsequenzen ziehen wollen.