Trotz eines Bahnstreiks folgten am 21. Mai rund 80 Fachleute der Einladung der SPD-Bundestagsabgeordneten Martin Dörmann und Lars Klingbeil zur zweiten Dialogveranstaltung im Rahmen des Projekts zur Reform der Medien- und Kommunikationsordnung zum Thema „Kartellrecht und mediale Vielfaltsicherung“.
Die Länder tragen die Verantwortung für die publizistische Vielfalt, während der Bund die Gesetzgebungskompetenz für das allgemeine Wettbewerbsrecht hat, das auch für Medienunternehmen gilt. Wenn solche zusammenarbeiten oder fusionieren wollen, kann es zu Konstellationen kommen, in denen sich die Grundsätze des Kartellrechts und zur Sicherung von Medienvielfalt in einem Zielkonflikt gegenüberstehen. Dies jedenfalls ist die Auffassung vieler Medienexperten, die im letzten Jahr an einer Branchenbefragung der SPD-Bundestagsfraktion teilgenommen haben.
So wird teilweise vorgetragen, angesichts einer stark veränderten Medienlandschaft mit neuen Technologien, Geschäftsmodellen und Playern müssten sich auch die historisch gewachsenen Prüfsysteme einer Anpassung stellen. So fielen beispielsweise neue Internetangebote wie WhatsApp, die geringen Umsatz mit hohen Nutzerzahlen und Reichweiten verbinden, durch das rein umsatzorientierte Prüfraster des Kartellamts. Gleichzeitig untersagte das Bundeskartellamt in der Vergangenheit aus wettbewerblichen Erwägungen ein medienpolitisch von vielen erwünschtes Gemeinschaftsprojekt wie „Germany’s Gold“, eine gemeinsame Online-Video-Plattform, auf der die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Filme, Serien und Dokumentationen anbieten wollten.
Die seit Frühjahr 2015 arbeitende Bund-Länder-Kommission zur konvergenten Medienordnung hat sich des Themas Vielfaltssicherung und Kartellrecht in einer eigenen Arbeitsgruppe angenommen und will dort Änderungsvorschläge erarbeiten.
Nach der Einführung von Martin Dörmann MdB erläuterte Dr. Reinhart Binder, Rechtsdirektor des Rundfunks Berlin-Brandenburg (rbb), die Position der ARD. Er betonte zunächst, Fernsehen bleibe auf absehbare Zeit das zentrale Leitmedium, so dass man nicht zu schnell die Gewichte des Medienkonzentrationsrechts verschieben dürfe, auch wenn die Fernsehzentrierung in der Ländermedienaufsicht weiterentwickelt werden müsse. Er sehe durchaus gesetzgeberischen Änderungsbedarf, damit sich die mediale Vielfaltsicherung durch die Länder auch im Wettbewerbsrecht des Bundes stärker abbilde. Insgesamt sei eine bessere Verschränkung der Ebenen nötig.
Der Präsident der Bundeskartellamts Andreas Mundt verwies darauf, dass sein Haus in der Praxis sehr viel abstimmungsfreudiger und flexibler sei als oft angenommen. Für ihn sei die Untersagung von Fusionen im Medienbereich ein impliziter Beitrag von Vielfaltssicherung. Publizistische Vielfaltsicherung sei bislang kein Prüfungspunkt, eine Einbeziehung in das Wettbewerbsrecht könne auch überfrachtend wirken und die notwendige Einzelfallprüfung verkomplizieren. Anhand von konkreten Beispielen führte er aus, dass die Marktabgrenzung und -kontrolle aus seiner Sicht effizient und flexibel funktioniere, so dass kein unmittelbarer Handlungsbedarf für eine stärkere Berücksichtigung medienpolitischer Gesichtspunkte bestehe.
Prof. Dr. Boris Paal von der Universität Freiburg, unterstrich wie Dr. Binder die Notwendigkeit einer guten Abstimmung zwischen Bund und Ländern. Gleichzeitig müsse die Medienaufsicht der Länder neu justiert und die Fernsehzentrierung überdacht werden. Er sah jedoch kein prinzipielles Problem in einer doppelten Rechtsprüfung auf Bundes- und Landesebene, da beide grundsätzlich unterschiedliche Zielrichtungen verfolgten. Zudem warnte er davor, publizistische Ziele explizit ins Kartellrecht aufzunehmen, da dies die Rechtssystematik erheblich verändere und gewaltige Proteste hervorrufen würde. Die stärkere Berücksichtigung medialer Vielfalt im Kartellrecht sei auch ohne Rechtsänderung möglich. Bereits auf Grundlage bestehender Normen könnten nämlich stärker als bisher „außerökonomische Erwägensgründe“ in die Prüfungspraxis aufgenommen werden.
Die unterschiedlichen Ansätze der Podiumsteilnehmer wurden in der anschließenden Debatte aufgegriffen, die restriktive Position des Bundeskartellamtes wurde dabei teilweise kritisch hinterfragt. Auch das europäische Kartellverfahren gegen Google und die negative Entscheidung zur Fusion von Pro7/Sat1 mit Axel Springer wurden angesprochen.
Moderator Martin Dörmann schloss den intensiven Dialog mit dem Verweis auf zahlreiche Folgefragen. Grundsätzlich sei die Unabhängigkeit des Bundeskartellamtes ein hohes Gut sei. Dennoch oder gerade deswegen müsse über neue Wege nachgedacht werden, um sinnvolle Medien-Kooperationen im Einzelfall auch unter dem Gesichtspunkt langfristiger Medienvielfalt prüfen zu können. Auszuloten seien dabei insbesondere Handlungsspielräume im europäischen Recht bezüglich möglicher nationaler Ausnahmefreistellungen im Kartellrecht.