Der Bundestag will an diesem Donnerstag eine gemeinsame Resolution von Union, SPD und Grünen beschließen, in der die Massentötung und Deportationen von Armeniern im Osmanischen Reich 1915 als Völkermord eingestuft werden. Bringt sich Berlin damit unter Druck? Ankara ist schließlich wichtiger Partner in der EU-Flüchtlingskrise ...

„Wir werden heute die Armenien-Resolution verabschieden. Es wird eine große Mehrheit geben. Für mich ist wichtig, dass diese Resolution nicht als Plattform für den Kampf gegen die derzeitige türkische Regierung missbraucht wird. Die Resolution soll den Prozess der Vergangenheitsbewältigung und der Versöhnung voranbringen. Deswegen warne ich auch alle Beteiligten vor falschem Eifer und Selbstprofilierung in dieser Debatte. Niemand sollte den Völkermord instrumentalisieren.“

Die türkische Regierung hat vor einer Schädigung des Verhältnisses zur Türkei gewarnt. „Deutschland sollte auf seine Beziehungen zur Türkei achten", sagte Vize-Regierungschef Numan Kurtulmus in Ankara. Wie ernst ist dies zu nehmen?

„Gute Beziehungen zur Türkei sind wichtig, auch wenn wir die gegenwärtige Regierung sehr kritisch sehen. Bisher hat die Türkei das Flüchtlingsabkommen eingehalten. Aber das Drohgebaren, das einige türkische Politiker an den Tag legen, ist völlig unangemessen. Deutschland wird sich auf keinen Fall erpressen lassen.“

Nach Schätzungen kamen vor rund 100 Jahren zwischen 800 000 und 1,5 Millionen Angehörige der christlichen Minderheit ums Leben. Die Türkei leugnet das. Deutschland wäre in der Riege der Staaten wie Frankreich und Russland, die den Genozid beim Namen nennen, umso gewichtiger, weil das Deutsche Kaiserreich als Verbündeter der Osmanen im Ersten Weltkrieg nachweislich von den Massakern wusste. Sehen Sie da ein Problem?

„Nein. Es geht doch vor allem um das Eingeständnis unserer eigenen Mitschuld. Es ist wichtig, dass Staaten, die Unrecht begangen haben, dies einräumen. Das zeugt von einem aufgeklärten Umgang mit der eigenen Vergangenheit.“

Unter den in Deutschland lebenden Türken sind nicht wenige, die die unnachgiebige Haltung Ankaras unterstützen. Wie wird sich die Resolution auf deren Verhältnis zu Deutschland und zum deutschen Staat auswirken?

„Die heute in Deutschland lebenden Türken können nichts dafür, was damals passiert ist. Der begangene Völkermord liegt über 100 Jahre zurück. Die Täter leben nicht mehr. Aber gerade weil es eine lange Historie der Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei gibt und weil viele Türken hier leben, dürfen wir nicht die Augen vor der Geschichte verschließen. Es ist auch unsere Geschichte.“