Herr Oppermann, hätten Sie sich vorstellen können, dass wir in diesem Umfang von einem befreundeten Staat ausgespäht werden?

Nein. Die Überwachung der USA sprengt jede Vorstellungskraft. Die Amerikaner machen offenbar alles, was technisch möglich ist – und zwar ohne Rücksicht auf Freund und Feind. Die amerikanischen Geheimdienste spielen immer noch Kalter Krieg.

Kann man diesen flächendeckenden Lauschangriff noch mit der Terrorabwehr begründen?

Nein. Diese Überwachung ist nicht durch den Schutz vor Terrorismus zu rechtfertigen. Natürlich müssen wir uns schützen. Aber das rechtfertigt keine Totalüberwachung der Bürgerinnen und Bürger. Wir sind mit Großbritannien und den USA in der transatlantischen Partnerschaft in einem gemeinsamen Wertebündnis. Zu diesen Werten gehört auch die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger.

Welche Motive vermuten Sie hinter dem Spionage-Angriff?
Ich habe den Eindruck, dass die Überwachungstätigkeit der US-Geheimdienste völlig außer Kontrolle geraten ist. Anscheinend gibt es in den USA eine Geringschätzung der deutschen Nachrichtendienste. Aber sich quasi an die Stelle der rechtstaatlich operierenden nationalen Geheimdienste zu setzen und eine Art Oberkontrolle in Deutschland einzuführen, widerspricht schlichtweg dem Grundsatz der Souveränität.

Deutschland wird intern als „Partner dritter Klasse“ bezeichnet, während Großbritannien oder Kanada als Partner zweiter Klasse nicht ausgespäht werden. Ist das für Sie akzeptabel?

Ich halte das für keine akzeptable Kategorie. Ich fühle mich nicht als Bürger oder Land dritter Klasse, nur weil wir die Grundrechte in Deutschland ernst nehmen. Das Ausmaß der Überwachung, das jetzt offenbar wird, ist mit den Garantien unserer Verfassung, mit der Freiheit der Person und dem Gebot der Verhältnismäßigkeit in keiner Weise vereinbar.

Glauben Sie, dass von alldem der Bundesnachrichtendienst (BND) nichts wusste?

Ich habe den Eindruck: Weder der BND noch die Bundesregierung sind über das Ausmaß der Überwachungstätigkeit informiert. Es interessiert sie nicht. Innenminister Friedrich ist offensichtlich wie immer ahnungslos.

Was sagt das über unsere Geheimdienste aus?

Unsere Spionageabwehr muss auf ihre Effektivität überprüft werden, wenn es ausländischen Geheimdiensten ohne Mühe möglich ist, die Telefonate und E-Mails deutscher Bürger millionenfach abzufangen und auszuwerten. Das stellt unseren Geheimdiensten kein gutes Zeugnis aus. Allerdings ging man offenbar bislang nicht davon aus, dass wir Angriffsziel eines befreundeten Landes sind.  Wenn die Berichte zutreffen, haben wir ein grundsätzliches Problem in unserer politischen Partnerschaft.

Was erwarten Sie von der Bundesregierung?

Die Bundesregierung muss die Grundrechte auch gegenüber den USA verteidigen. Die Bundesregierung muss daher alles tun, um die Vorwürfe aufzuklären. Kanzlerin Merkel sollte hochrangige Regierungskonsultationen mit den USA einleiten. Untertänigst schriftliche Fragen einzureichen genügt nicht. Die völlig inakzeptable schrankenlose Überwachung muss beendet werden.