Große Fangflotten, die zum Teil exzessive von der EU subventioniert werden, fischen die Meere in Entwicklungsländern fast leer. Überfischung ist die Folge. Sascha Raabe fordert in seiner Rede die Regierungskoalition auf, endlich die Augen zu öffenen und bei der Fischereipolitik umzudenken.

Dr. Sascha Raabe (SPD):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Heiderich, Sie haben als Vorredner zum Schluss gesagt, dass wir hier einen gemeinsamen Antrag machen sollten. In Ihrer Rede haben Sie aber in einer unglaublichen Art und Weise die aktuellen Zustände schöngeredet und erklärt, im Antrag der Grünen sei doch alles überzogen und es sei doch alles nicht so schlimm. Dazu kann ich nur sagen: Machen Sie einmal die Augen auf! Schauen Sie sich einmal an, in welcher Armut die Fischer mittlerweile leben und wie wir den Menschen dort die Meere leer fischen, was zu leeren Tellern führt! Daher können wir mit Ihnen bestimmt keinen gemeinsamen Antrag machen, Herr Kollege Heiderich.
Ich sage an die Adresse der Kollegen von den Grünen: Dies ist ein guter Antrag, und er kommt zum rechten Zeitpunkt; denn die Reform der Fischereipolitik steht jetzt an. Diese Politik muss dringend verändert werden.
Wenn der Kollege Heiderich sagt, in dem Antrag der Grünen würde zum Beispiel nicht stimmen, dass die Fangflotten hoch subventioniert seien, und das sei alles nicht so, dann kann ich nur sagen: Herr Kollege von der CDU, wenn Sie der Opposition nicht glauben, dann führe ich einmal an, was der Europäische Rechnungshof zum Thema EU-Fischereipolitik sagt. Er kommt zu dem Schluss, dass die EU-Fischereipolitik – mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich – ihre Ziele komplett verfehlt habe. Die EU-Kommission stellt in ihrem Grünbuch dieser Politik eine Bankrotterklärung aus. Dort heißt es: Exzessive Subventionierung, ineffektive Kontrollen und unzureichender politischer Wille haben zu Überkapazitäten und einer dramatischen Überfischung geführt.
(Stefan Rebmann [SPD]: Hört! Hört!)
In dem aktuellen Papier der Kommission heißt es: Wenn wir – wohlgemerkt: die EU-Kommission – jetzt nicht handeln, wird der Teufelskreis weitergehen, der zu dieser schlechten ökonomischen, sozialen und ökologischen Performance geführt hat. So sieht es die EU-Kommission. Das müsste doch auch die CDU/CSU zum Umdenken bewegen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Es ist höchste Zeit für so ein Umdenken. Die Veräußerung der Fangquoten an die großen Flotten ist für afrikanische Fischer ein Riesenproblem. Ein einziger dieser sogenannten Megatrawler kann bis zu 200 000 Kilogramm Fisch pro Tag fischen. Dafür müssten 50 einheimische Fischer in ihren kleinen Booten mehr als ein Jahr unterwegs sein. Das zeigt die Dimensionen, um die es geht.
Wir haben die schlimmen Beispiele vor Augen. Natürlich ist die aktuelle Situation der Piraterie in Somalia nicht nur ein Problem leer gefischter Fischgründe; aber die Ursache liegt darin. Denn auch europäische Fangflotten haben dort die Meere leer gefischt, und dann haben die Fischer irgendwann gesagt: Wir wollen wenigstens eine Art Zoll dafür haben, wenn wir schon unsere Arbeit verlieren. Heute lebt die ganze Entführungsindustrie – die durch nichts zu rechtfertigen ist – auch davon, dass arbeitslose Fischer anders ihr Geld verdienen müssen.
Deswegen ist es Unsinn, wenn wir erst mit Steuergeldern die europäischen Fangflotten subventionieren und dann für viel Geld Militär dorthin schicken und das Leben unserer Soldaten riskieren. Wir müssen endlich zu fairen Bedingungen für die Fischer auf der ganzen Welt kommen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Ich möchte Ihnen ein paar Zahlen nennen, weil der Kollege Heiderich so tat, als wären es keine hohen Subventionen. Allein Mauretanien erhält jährlich 86 Millionen Euro aus Brüssel. Das ist mehr, als dieses Land an Entwicklungshilfe erhält. Dabei gibt es oft das Problem, dass das Geld nicht der Bevölkerung zugutekommt, sondern in dunklen Kanälen versickert. Da stinkt oft der Fisch buchstäblich vom Kopf her. Deswegen brauchen wir dort verbesserte Transparenzmechanismen.
Es ist auch gut, dass sich die EU-Kommission jetzt auch für eine bessere Mittelverwendung in den Partnerländern einsetzt und der Antrag der Grünen das thematisiert. Denn wir dürfen nicht einfach dort mit Geld unser Gewissen freikaufen, nach dem Motto „Wenn wir der Regierung Geld geben, dann können wir hier alles leer fischen, und dann wird alles gut“. Nein, wir müssen an die Fischer statt an die Eliten denken. Wir sind es den Menschen vor Ort schuldig, zu handeln, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN und der LINKEN)

Mit der Veräußerung der Fischereirechte geht in der Regel auch ein Niedergang der fischverarbeitenden Industrie an Land einher. Denn der Fisch wird auf den Fangschiffen selbst verarbeitet. Dann findet vor Ort keine Wertschöpfung statt. Selbst wenn die europäischen Reedereien immer wieder behaupten, ein großer Teil der Fische würde dort wieder verkauft werden, muss man auch sehen, dass der Fisch, den die Megatrawler abfischen, zu Dumpingpreisen auf die lokalen Märkte kommt und der Kleinfischer, der noch irgendwo ein paar Fische findet, diese nicht mehr zu auskömmlichen Preisen loswird, sodass wir hier doppelt schädigend wirken.
Deswegen ist es auch gut, dass in dem Antrag die Wertschöpfung an Land betont wird. Das sollten wir alle unterstützen, statt eine solche Schönfärberei wie die CDU/CSU zu betreiben.
Wir haben die Hoffnung, dass die EU-Kommission bei der Reform der Abkommen in stärkerem Maße Menschenrechtsklauseln verankern will und dass durch eine Ausschließlichkeitsklausel geregelt wird, dass die EU-Schiffe nicht außerhalb der Abkommen, die sie mit den Ländern haben, noch in anderen Gewässern fischen.
Wir wollen auch, dass der Fischereisektor in den Partnerländern von den Entwicklungsgeldern entkoppelt wird, sodass nicht gesagt werden kann: Wir zahlen euch Geld für die Fischereirechte, und wenn ihr uns die nicht einräumt, dann kriegt ihr keine Entwicklungsgelder.
Das sind alles sehr wichtige Maßnahmen. Wenn man berücksichtigt, dass die Europäische Union dafür zuständig ist, dann ist es gut, dass wir heute als Entwicklungspolitikerinnen und -politiker darüber reden. Denn das ist Kohärenz. Wir müssen uns einmischen, auch in die Handelspolitik, die Landwirtschaftspolitik und die Fischereipolitik.
Das ist der größte Vorwurf, den ich auch dem Ministerium mache. Wir haben es neulich im Ausschuss bei der FDP erlebt: Als es um die Frage des öffentlichen Beschaffungswesens ging, hat der Kollege von der FDP im Ausschuss gesagt: Das Thema hat uns nicht zu interessieren. Dafür ist der Wirtschaftsausschuss zuständig. So geht es eben nicht. Ich erwarte von unserem Entwicklungsminister, dass er sich in Fragen des Welthandels einmischt. Wo ist die Stimme des Entwicklungsministers zum Beispiel bei dem neuen Fischereiabkommen? Im Rahmen der Kohärenz muss man auch mit den Kollegen im Kabinett reden, die für die Ressorts Wirtschaft, Handel, Fischerei und Landwirtschaft zuständig sind. Das kann der Kollege Niebel aber nicht machen, weil er so gut wie nie bei den Kabinettssitzungen anwesend ist. Wir haben in einer der letzten Fragestunden danach gefragt, wie oft der Minister im Kabinett einen Tagesordnungspunkt aufgesetzt hat. Wissen Sie, wie oft Minister Niebel laut Statistik einen Tagesordnungspunkt im Kabi¬nett in den ganzen Jahren aufgesetzt hat? Kein einziges Mal! Der Außenminister Westerwelle hat bisher 41 Tagesordnungspunkte aufgesetzt, Minister Niebel nie! Minister Niebel ist Minister „Nie da“.
(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Er kümmert sich vor Ort! Er hat zu tun! Er ist in der Welt! Was glauben Sie denn?)
Auch im Parlament ist er so gut wie nie anwesend. Seine Staatssekretärin ist zurzeit auch nicht anwesend. Er nimmt auch so gut wie nie an den Kabinettssitzungen teil, setzt nie einen Tagesordnungspunkt auf und kümmert sich nicht um die Fragen der globalen Strukturpolitik, sondern rennt im Prinzip nur herum, um Außenwirtschaftsförderung zu betreiben.
(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Sie haben doch gerade Ihren Prozess verloren! Das reicht doch!)
Er sollte sich lieber um gerechte Wirtschafts- und Handelsbedingungen kümmern und nicht nur um Außenwirtschaftsförderung. Er sollte vor allem einmal da sein, zuhören und am Kabinettstisch für die ärmsten Menschen streiten und nicht nur für die Interessen deutscher Unternehmen oder deutscher Reedereien.
In diesem Sinne werden wir dem Antrag der Grünen zustimmen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: So ein einfältiges Geschwätz!)