Rot-Grün in Niedersachsen
Deutschland 1990: Das Land war geeint. Auch für mich eine Zeit des Neuanfangs: Die rot-grüne Aufbruchsituation in Niedersachsen lockte mich nach Hannover. Das Potenzial dort reizte mich und forderte mich heraus: Die wollten was! Das wollte ich auch! Nach einer ersten Begegnung mit Gerhard Schröder befand er: "Der passt zu uns."
Schröder konnte barsch und ungeduldig sein. Er wollte Fortschritte sehen - und er wollte sie schnell sehen. Ich persönlich spürte jedoch immer Rückendeckung. Unsere Unterschiedlichkeit trug wahrscheinlich dazu bei, dass wir gemeinsam stark waren.
Rot-Grün in Niedersachsen war nach Hessen der zweite rot-grüne Regierungs-Versuch. Diesmal gelang es. Wir hatten eine spannende Zeit, in der nach 14 Jahren konservativer Landespolitik der Wind des Neuen heftig wehte. Und wir hatten uns große Ziele gesetzt: Moderne Wirtschaft, gerechte Gesellschaft, ökologische Wende, kulturelle Öffnung.
Rot-Grün in Bonn und Berlin
Vieles von dem, was wir wollten, konnten wir auf Länderebene gar nicht umsetzen. Gerade in den Auseinandersetzungen um die geplante Wiederaufarbeitungsanlage und das Atommülllager in Gorleben erfuhren wir die bundesgesetzlichen Grenzen. Weisungen aus Bonn zeigten das auf provozierende Weise. Für den Atomausstieg brauchten wir die Mehrheit in ganz Deutschland.
Als 1998 dann Rot-Grün auf Bundesebene regieren konnte, waren wir euphorisch - und herausgefordert. Wir wollten Rot-Grün möglich machen! Das war unser Projekt! Es ging nicht einfach darum zu verwalten, sondern um etwas ganz Neues, von dem ich mit ganzer Kraft wollte, dass es gelingt: Rot-Grün stand für eine bis dahin von Schwarz-Gelb ausgegrenzte Bundesrepublik, die der Friedensbewegung, der Umweltgruppen, der gesellschaftspolitisch Engagierten, die für eine faire Einwanderungspolitik stritten oder sich für die Gleichstellung von Frauen einsetzten. Wir waren eine Regierung, die ein modernes, wirtschaftlich starkes Deutschland wollte, das Innovation und Gerechtigkeit zusammenbringt. Eine Republik, die niemanden zurücklässt, der es aus eigener Kraft nicht schaffen kann. Das war und ist die Handschrift: Kampf um Modernisierung und Gerechtigkeit im Rahmen einer langfristig angelegten Politik.
Dafür brauchen wir Beharrlichkeit, Geduld, gelegentlich auch Härte. Jede Zeit fordert ihre eigenen Antworten, hat Willy Brandt gesagt. Politik kann nur gelingen, wenn wir immer wieder neu den Mut finden, richtige Entscheidungen durchsetzen. Wir sind nie am Ende und müssen immer auf der Höhe der Zeit sein: mittendrin. Wir haben dabei aber das Ziel nie aus den Augen verloren: eine gerechte Gesellschaft, die für die Herausforderungen der Zukunft gerüstet ist.
Als Außenminister
Im November 2005 wurde ich Bundesaußenminister. Als Außenminister konnte ich auf viele Erfahrungen aus meiner Zeit als Kanzleramtschef zurückgreifen. Friedenspolitik, Abrüstung, internationale Entwicklung, Klimaschutz, die Einheit in einem um die osteuropäischen Länder erweiterten Europa, Fragen der internationalen Sicherheit - all das hat mich über viele Jahre beschäftigt. Nach dem Terroranschlag am 11. September 2001 prägte der Kampf gegen den Terrorismus meine tägliche Arbeit. Wir haben mit unseren Partnern internationale Verantwortung übernommen, aber ebenso eindeutig den Irak-Krieg abgelehnt. Die Beschäftigung mit Afghanistan, Pakistan, dem Nahostkonflikt, dem Balkan oder dem deutsch-israelischen Verhältnis gehörte seit Jahren zu meinen Arbeitsfeldern.
Außenpolitik als Teamspiel
Auf meinen Reisen legte ich großen Wert auf Reisepartner aus Unternehmen, Wissenschaft und Kunst. Ich glaube, Außenpolitik muss die gesellschaftliche, kulturelle und wirtschaftliche Modernisierung Deutschlands unterstützen. Das heißt, dass die auswärtige Kultur-, Bildungs- und Wissenschaftspolitik, die ja wertvolle Brücken in die Welt um uns bauen kann, größere Bedeutung erhält. Das heißt auch, dass wirtschaftliche und energiepolitische Fragen wichtiger werden. Und wir haben die Pflicht, aktiv nach den strategischen Partnern von morgen zu suchen, insbesondere in Regionen, die bislang eher im Schatten der Weltpolitik standen: Zentralasien, Nordafrika, die Golfstaaten oder Lateinamerika.
Die p olitische Globalisierung
20 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs hat sich die Welt vollständig verändert. Die Welt wächst zusammen wie nie zuvor. Ob Klimawandel oder Weltwirtschaft, niemand kann die großen Probleme allein lösen. Wir müssen Chancen und Risiken neu bestimmen und im Grunde wie einst Humboldt die Welt neu vermessen. Deshalb habe ich mich auch nie auf das Gespräch mit Washington, Moskau oder Tokio beschränkt. Neue politische und wirtschaftliche Mächte sind entstanden, ganze Kontinente sind auf dem Weg, über 200 der 1000 größten Unternehmen weltweit kommen aus den aufstrebenden Volkswirtschaften wie China, Indien, Mexiko, die in die globale Verantwortungsgemeinschaft eingebunden werden müssen. Wir erleben den Beginn des ersten wirklich globalen Jahrhunderts - und suchen nach einer neuen Ordnung für globale Stabilität und faires Miteinander.
Unser Land trägt Verantwortung in der Welt, der wir nur mit einer vorausschauenden Außenpolitik gerecht werden können. Nach der Globalisierung der Märkte ist nun hohe Zeit für die politische Globalisierung!
Bundestagswahl 2009
Das Jahr 2009 war ein aufregendes Jahr. Der 27. September war sein Höhepunkt. Er war leider auch sein bitterster Tag.
Vor dem 27. September hat die SPD, Junge Teams und Mitglieder vor Ort, haben die Parteispitze und die Fraktion, habe natürlich auch ich als Spitzenkandidat gemeinsam mit meinem Team einen langen, intensiven, engagierten Wahlkampf gemacht. Nie zuvor bin ich so viel in unserem Land herumgekommen, habe mit so vielen Menschen gesprochen, habe so oft gespürt, wie aktuell unsere sozialdemokratischen Werte und Ideen sind – gerade vor dem Hintergrund der großen Wirtschaftskrise. Ich finde, wir hatten starke Konzepte zu bieten: ein gutes Regierungsprogramm und ein starkes Kompetenzteam. Ich habe einen Deutschland-Plan vorgelegt, in dem ich beschrieben habe, welche Lehren wir aus der Wirtschaftskrise ziehen und welche Weichen wir heute stellen müssen, damit wir zu neuem, nachhaltigen Wachstum gelangen und uns fit machen für die Arbeit von morgen. Wir haben eine klare inhaltliche Auseinandersetzung gesucht, der unsere politischen Gegner ausgewichen sind. Nur manchmal ging das nicht, wie am 13.9., als ich gegen Kanzlerin Merkel im TV-Duell angetreten bin. Das war eine echt aufregende Erfahrung, hat viel Konzentration erfordert und einen ganz schön langen Atem, sowohl gegenüber meiner politischen Opponentin als auch den vier selbstbewussten Moderatoren, aber am Ende hatte ich das Gefühl, die Sache der SPD ganz gut vertreten zu haben.
Und dennoch haben wir in der Bundestagswahl am 27. September eine bittere Niederlage eingefahren. Das war natürlich schmerzhaft, nachdem ich, gemeinsam mit vielen anderen, intensiv für unsere Ideen gekämpft hatte. Das war schmerzhaft, weil ich der Überzeugung war, dass Schwarz-Gelb einfach nicht die richtige Antwort auf die Krise sein konnte. Dieser Meinung bin ich nach wie vor – und nach dem Start der schwarz-gelben Regierung glauben das immer mehr Menschen in unserem Land. Die SPD hat Millionen Wähler verloren, nach links und nach rechts und viel zu viele sind gar nicht wählen gegangen. Dieser Befund macht die Suche nach den Gründen schwer. Den einen gibt es sicher nicht. Klar ist, dass die SPD als Volkspartei, die einen Bogen über alle Gruppen in der Gesellschaft spannen will, diesen Zusammenhalt, diese gesellschaftliche Bindekraft nicht mehr hingekriegt hat. Aber das sozialdemokratische Projekt ist deshalb nicht am Ende. Im Gegenteil, wir kämpfen umso härter dafür, unsere Bindungskraft wieder zu entfalten. Das habe ich schon wenige Wochen später auf dem Dresdner Parteitag gespürt. Das sozialdemokratische Herz schlägt weiter!
Als Oppositionsführer alle Hände voll zu tun
Es war ein bitterer Abend. Es war auch ein Abend, an dem mir klar war: Du kannst Dich jetzt nicht der Verantwortung entziehen. Die Wähler haben entschieden – die SPD ist jetzt in der Opposition. Unsere Partei und die Bundestagsfraktion haben sich neu aufgestellt: als stärkste Oppositionskraft haben wir alle Hände voll zu tun. Schon nach wenigen Monaten im Amt mussten wir selber staunen: Die neue Koalition war wohl auf alles vorbereitet, nur nicht aufs Regieren. Da ist kein Projekt, keine Vision für unser Land, sondern schamlose Klientelpolitik für die nächsten Freunde. Da herrscht Chaos und kleinkariertes Gezänk, während Deutschland mit den Folgen der schwersten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit kämpft. Und da stellt sich heraus, dass die Bürger nach dem hohlen Wahlversprechen ‚Mehr Netto vom Brutto‘ mit immer weniger Netto vom Brutto dastehen. Ich spüre jeden Tag, wie wichtig Opposition in diesen Zeiten ist. Aber ich meine, wir müssen auch zeigen, dass wir’s besser können. Mein Vorgänger Hans-Jochen Vogel hat mir gesagt: Eine gute Opposition ist die, die jeden Tag in der Lage wäre, am nächsten Tag wieder die Regierung zu übernehmen. Deshalb arbeiten wir weiter an unseren eigenen Konzepten und Strategien: für eine Politik, die die Arbeit von morgen schafft und dafür sorgt, dass alle Menschen an ihr teilhaben können, und die der schwarz-gelben Spaltung eine Politik des Zusammenhalts entgegensetzt.