Herr Steinmeier, gerade bemühen sich der Internationale Währungsfonds und Europa um die Rettung Griechenlands, da stuft eine Rating-Agentur Portugal auf Ramsch-Status herunter. Gerät die europäische Schuldenkrise außer Kontrolle?
Frank-Walter Steinmeier: Die Rating-Agenturen müssen unter Kontrolle. Das ist doch unverantwortlich. Wenn ein Staat einmal abgewertet wird, weil er zu wenig spart und anschließend ein zweites Mal, wenn nach Sparprogrammen das Wachstum abebbt. So werden Krisenstaaten endgültig in die Pleite getrieben. Das darf nicht toleriert werden. Ich bin schon lange überzeugt, dass wir den Weg zu einer europäischen Rating-Agentur gehen müssen, die unabhängig und unter öffentlicher Kontrolle eine faire Bewertung vornimmt.
Reicht die geplante Beteiligung deutscher Banken an dem Griechenland-Rettungspaket?
Steinmeier: Nein. Weder das Rettungspaket noch die freiwilligen Beiträge reichen aus. Natürlich trägt Griechenland die Hauptverantwortung für den Schlamassel. Deshalb ist die Bereitschaft der Regierung in Athen zu strikter Haushaltsdisziplin die Voraussetzung für europäische Solidarität. Aber reine Ausgabenbegrenzung schafft kein Wachstum. Und ohne Wachstum wird das Land nicht wieder auf die Beine kommen. Deshalb braucht Griechenland dringend Investitionen.
Woher sollen die kommen?
Steinmeier: Wir werden nicht noch einmal mit der Sammelbüchse durch die Mitgliedsstaaten gehen können, um das Geld der steuerzahlenden Bürger einzusammeln. Wir müssen an der Finanzierung solcher Investitionen endlich die beteiligen, die ihren wirtschaftlichen Vorteil aus den Turbulenzen der vergangenen Jahre hatten. Einzig die Besteuerung der Finanztransfers wird dazu führen, dass auch die Finanzmärkte einen substantiellen Beitrag zum Wiederaufbau der Notlagenländer leisten. Deshalb brauchen wir die Finanztransaktionssteuer dringender denn je; und wenn's weltweit nicht geht, dann auf europäischer Ebene.
Auch da werden kaum alle mitmachen.
Steinmeier: Das kommt darauf an. Wenn man das Geld im allgemeinen EU-Haushalt verzehrt – wie Barroso sich das vorstellt – wird es dazu sicher keine Zustimmung der EU-Länder geben. Dieses Aufkommen muss gezielt für Wachstumsimpulse in Krisenstaaten eingesetzt werden und könnte zur Entlastung der Nettozahlerländer beitragen.
Trotz der Euro-Krise brummt in Deutschland die Konjunktur. Was ist falsch daran, die Steuerzahler am Aufschwung zu beteiligen, wie es Schwarz-Gelb plant?
Steinmeier: Das ist doch Volksverdummung. Zum dritten Mal in dieser Legislaturperiode werden wir mit Versprechungen für Steuersenkungen beglückt. Niemand weiß, wann sie kommen sollen, in welchem Umfang und wen sie betreffen. Nur eines bleibt gleich: Sie sollen auf Pump finanziert werden. Das ist kein Beitrag zur Haushaltskonsolidierung, auf die wir uns mit der Schuldenbremse im Grundgesetz verpflichtet haben. Das ist schlicht unseriös. Frau Merkel will die siechende FDP damit bis 2013 am Leben erhalten. Aber die Rettung des Koalitionspartners ist vom Verfassungsauftrag nicht erfasst und sieht auch nicht sehr erfolgsversprechend aus.
Will die SPD als Steuererhöhungspartei in den Wahlkampf 2013 gehen?
Steinmeier: Unsinn! Die Wähler wissen, dass die SPD in Regierungszeiten steuerpolitisch verantwortungsvoll gehandelt hat. Wenn Spielräume da waren, hat die SPD auch Steuern gesenkt.
Nun wollen Sie den Spitzensteuersatz wieder von 42 auf 49 Prozent anheben.
Steinmeier: Ich will, dass wir endlich wieder eine Debatte in diesem Land darüber führen, wie wir die Aufgaben der Zukunft meistern wollen. Kinder, die heute geboren werden, müssen schneller durch die Schule und dabei mehr lernen als die Generationen vor ihnen. Weniger junge Menschen werden sich um mehr Ältere kümmern müssen. Sie werden im wirtschaftlichen Konkurrenzkampf einer globalisierten Welt stehen, mit Verschuldung und Umweltkrisen umgehen müssen. In dieser Debatte geht es um Chancen und Gerechtigkeit. Und ich finde das ist sehr sozialdemokratisch. Dies ist auch der Grund, warum wir den Spitzensteuersatz nicht tabuisieren, wenn andere wichtige Aufgaben wie die Finanzierung der Bildung in Gefahr sind. Im Übrigen können Bezieher unterer und mittlerer Einkommen sehr viel stärker über die Sozialabgaben als über Steuern entlastet werden.
Über die Senkung der Sozialabgaben kann man also mit Ihnen reden?
Steinmeier: Wir werden im Herbst ein ausgewogenes Konzept vorlegen, in dem Steuern und Sozialabgaben in gleicher Weise berücksichtigt werden und das nicht auf Pump finanziert ist.
Nach allem, was man hört, sind darin höhere Steuern für Gutverdienende und niedrigere Sozialabgaben für Geringverdiener vorgesehen. Könnte das die Basis für einen Kompromiss mit der Bundesregierung im Vermittlungsausschuss sein?
Steinmeier: Ich glaube nicht, dass diese Regierung noch etwas zustande bekommt, das überhaupt ins Parlament kommt.
Das SPD-Steuerkonzept wurde mehrfach verschoben. Geht die programmatische Neuaufstellung der Partei schnell genug?
Steinmeier: Die Wahrheit ist doch, dass der SPD vor zwei Jahren niemand zugetraut hätte, schon so bald wieder Kurs aufs Kanzleramt zu nehmen. Nach nur zwanzig Monaten Erfahrung mit Union und FDP gibt es bei den Wählern eine große Sehnsucht, endlich wieder mit Vernunft und Augenmaß regiert zu werden. Darauf bereiten wir uns gründlich und intensiv vor.
Trotzdem legt die SPD in Umfragen nicht zu.
Steinmeier: Da mache ich mich nicht verrückt. Das selbst ernannte Traumpaar der deutschen Politik – Union und FDP – hat sich nach noch nicht einmal zwei Jahren völlig diskreditiert. Und das ist doch nicht ohne Folgen: In den Umfragen hat Rot-Grün seit Monaten eine stabile Mehrheit. Die Linkspartei ist nur noch mit sich selbst beschäftigt. Das ist keine schlechte Ausgangsposition für 2013.
Vielleicht könnte ein populärer Kanzlerkandidat ja neues Interesse an Ihrer Partei wecken?
Steinmeier: Ganz sicher. Aber glauben Sie wirklich, wir hätten die Neigung mit unpopulären Kandidaten anzutreten?
Nach dem jüngsten ARD-Deutschlandtrend würden Peer Steinbrück und Sie die Kanzlerin klar schlagen. Kann die SPD das ignorieren?
Steinmeier: Ich freu mich ja, dass sie die Kandidatenkür in der SPD gar nicht abwarten können. Aber der Zeitplan bleibt: Entschieden wird frühestens Ende 2012. Und dann sicher ohne irgendetwas zu ignorieren!
Das öffentliche Interesse an Steinbrück ist derzeit riesig. Droht die Welle der Erwartungen außer Kontrolle zu geraten?
Steinmeier: Ich sehe überhaupt keinen Grund zum Lamento. Im Gegenteil: Zwei Jahre nach der Bundestagswahl 2009 scheint für die Öffentlichkeit nichts interessanter als die Frage, welcher Sozialdemokrat Kanzler wird. Ich finde, über eine solche Debatte muss sich die SPD wirklich nicht sorgen.