Rheinsche Post: Sie fordern schon lange, Assad dazu zu bringen, seine C-Waffen kontrollieren zu lassen. Wie soll das in der Praxis funktionieren?
Steinmeier: Vor allem sage ich seit langem, dass wir uns beim Syrien-Konflikt nicht kopflos in eine militärische Logik stürzen sollten, in der es keine Rück- und Auswege mehr gibt. Klare Außenpolitik hat die Aufgabe, vor dem Einsatz von militärischer Gewalt auch nach kleinsten Chancen für eine politische Deeskalation zu suchen. Die große Friedenslösung ist sicher in Syrien auf Sicht nicht erreichbar. Aber ich habe schon vor Wochen darauf hingewiesen, dass der Schlüssel für den Anfang einer Beruhigung der Situation in der Kontrolle über die Chemiewaffen liegt. Erstens: internationale Kontrolle über die Chemiewaffenlager, zweitens: Ratifizierung des Chemiewaffenabkommens, drittens: eine Untersuchung über die Urheberschaft des Giftgaseinsatzes und viertens: eine humanitäre Kampfpause, um die leidende Bevölkerung zu versorgen. Das war mein Vorschlag.

Die Inspektoren in Syrien sind schon bei ihrem letzten Besuch beschossen worden. Bedarf es dort nicht doch einer militärischen Sicherung?

Syrien hat bekundet, dass es jetzt selbst bei der Kontrolle der Chemiewaffen konstruktiv mitwirken will. Daher ist es auch verantwortbar, die Inspektoren ein zweites Mal mit verändertem Auftrag zu entsenden. Dieses Mal sollen sie nicht nur feststellen, dass ein Giftgaseinsatz stattgefunden hat, es muss auch nach Beweisen gesucht werden, die Aufschluss über die Verantwortlichkeit geben.

Sehen Sie eine realistische Option, die Chemie-Waffen innerhalb von Monaten unter Kontrolle zu bringen?

Politische Lösungen sind nie einfach. Man darf nur nicht dem Irrtum unterfallen, dass militärische leichter sind. Das gilt auch in Syrien. Ich habe die große Sorge, dass ein begrenztes militärisches Engagement in Syrien, das Regime eher stabilisieren würde. Ich habe auch die Sorge, dass es den Flüchtlingsdruck über die Grenzen hinaus immens verstärken würde und Länder wie Jordanien darüber zusammenbrechen. Ganz sicher ist, dass eine erneute militärische Aktion ohne Zustimmung des UN-Sicherheitsrates die Spaltung der Weltgemeinschaft vertiefen und die Autorität der UNO endgültig in Frage stellen würde.

Wie bewerten Sie die deutsche Rolle in der Syrien-Krise?

Es ist aufgefallen, dass die deutsche Außenpolitik einen Schlingerkurs ohne eigene Position fährt. Kundige Beobachter wissen schon länger, dass Berlin in Washington in den letzten Jahren an Gewicht eingebüßt hat und die Verbindungen nach Russland bewusst aufgegeben hat. Deutschland hatte häufig die Rolle des Übersetzers, zwischen Russland und den USA, wenn die Sprachschwierigkeiten zwischen beiden unüberwindbar schienen. Diese Rolle ist verloren gegangen. Das ist nie so deutlich geworden wie in den vergangenen 14 Tagen.

Die Bundesregierung möchte 5000 zusätzliche Flüchtlinge aufnehmen. Die Grünen fordern, es sollten mindestens 50 000 sein. Mit welcher Größenordnung wird Deutschland seiner Verantwortung gerecht?

Ich bin in einem der riesigen Flüchtlingslager mit 120 000 Flüchtlingen in Jordanien gewesen. Das so genannte Lager ist nichts als ein Stück Wüste, wo Flüchtlinge notdürftig in Zelten untergebracht sind. Jeder Schluck Wasser muss in Tankwagen herangekarrt werden. Die Lage der Flüchtlinge ist ein einziges Drama. Wir können dieses Drama in Deutschland nicht lösen, aber jeder muss wissen, dass wir mit der Aufnahme von 5000 Flüchtlingen noch nicht einmal den Tropfen auf den heißen Stein bringen. Ich setze darauf, dass die Länder die Zahl von 5000 noch vergrößern.

Was bedeutet es für den Rest der Republik, wenn Seehofer am Sonntag in Bayern die absolute Mehrheit erhält?

Genau das will die SPD verhindern. Die Regierung Seehofer ist eine Geschichte von Affären und Peinlichkeiten, von der Verwandtenaffäre bis zu Medienbeschimpfungen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass die Umfragen, die die CSU der Öffentlichkeit gerne zeigt, nicht dem Wahlergebnis am 15. September um 18 Uhr entsprechen werden.

Wenn es ein starkes CSU-Ergebnis geben sollte, könnte dies der SPD bei der Mobilisierung für die Bundestagswahl helfen?

So taktisch darf man mit Wahlen und Wahlergebnissen nicht umgehen. Wenn man das täte, müssten sich ja alle Bundespolitiker dort zurückhalten. Wir wollen das Gegenteil: Wir wollen eine starke SPD in Bayern.

Wäre es für Kanzlerin Merkel schwieriger mit einer erstarkten CSU zu regieren?

Mit Seehofer ist es nie leicht zu regieren. Ich weiß nicht, ob es noch schwieriger werden kann, als Merkel das in den letzten Jahren erlebt hat. Das ist ein weiterer Grund dafür, warum wir Bayern und den Bund von der CSU-Herrschaft erlösen wollen.

Woher nehmen Sie Ihren Optimismus?

2009 steckte den Mitgliedern und Anhängern die große Koalition mehr in den Knochen als in diesem Wahlkampf. Aus der Opposition heraus ist die Mobilisierung 2013 so gut, dass wir auch Unentschlossene überzeugen können. Das hat sich auch beim TV-Duell gezeigt. Aus dem Lager der Nicht-Wähler fühlten sich nach der Sendung viele zu Steinbrück und zur SPD hingezogen.

Wo wollen Sie prozentual landen?

In den aktuellen Umfragen ist noch Luft nach oben. Wir werden die letzte Woche nutzen, um diese auszuschöpfen.

Erwarten Sie noch einen kreativen Vorstoß ihres Parteichefs?

Ich weiß nicht, was sie meinen.

Machen Sie sich Sorgen um die schwächelnden Grünen?

Nein. Und selbst wenn, wäre es auch kein guter Stil, das öffentlich zu sagen. Wir wollen keine Umfragen gewinnen, sondern Wahlen. Und zwar gemeinsam mit den Grünen.  Ich arbeite dafür, dass das gelingt.

Wird es nach dem 22. September das Machtdreieck Steinbrück, Gabriel, Steinmeier noch geben?

Klar, Kanzleramt, Parteivorsitz, Fraktionsvorsitz.

Und wenn es fürs Kanzleramt nicht reicht?

Erstens kämpfen wir dafür, dass es reicht. Zweitens habe ich genug Erfahrung, um zu wissen, dass man über Positionen und Funktionen dann spricht, wenn man die Wahlergebnisse kennt.

Werden Sie nach der Bundestagswahl wieder für den Fraktionsvorsitz kandidieren?

Wie es weitergeht entscheiden zunächst einmal die Wählerinnen und Wähler! Erst dann sind Politik und Parteien dran. Und was mich persönlich angeht, so bin ich nicht auf Jobsuche. Ich bin Fraktionsvorsitzender und bin es gerne.

Ist es aus Ihrer Sicht in Ordnung, wenn ein Kanzlerkandidat seinen Kritikern den Stinkefinger zeigt?

Ich finde, die Ironie in dem Bild ist klar erkennbar.