Herr Steinmeier, wie ist der SPD ihr Start ins Wahljahr gelungen?

Natürlich kann alles immer noch ein bisschen besser werden, aber dieses Jahr ist gerade mal neun Tage alt und ich bin zuversichtlich, dass es mit einem rot-grünen Wahlsieg in Niedersachsen gut beginnt. Ich habe den Jahreswechsel weit weg in Südtirol verbracht und habe mich ein wenig über all die Berliner-Aufregung gewundert. Schon Helmut Kohl hat als Bundeskanzler mal das Missverhältnis zwischen astronomischen Managergehältern und der Bezahlung in der Politik thematisiert.

Jede Erhöhung von Abgeordnetendiäten oder Ministergehältern erntet Kritik. Hätte Steinbrück nicht ahnen müssen, dass sein Satz Aussage Anstoß erregt?

Diese Debatte in den Medien ist doch grotesk. Niemand bewirbt sich wegen des Geldes für das Amt des Bundeskanzlers. Ich kenne Peer Steinbrück lange und gut. Und ich weiß, dass er Bundeskanzler werden will, weil er dafür brennt dieses Land gerechter, besser und moderner zu machen.

Es geht nicht um die Medien, sondern um die Bürger. Laut einer Umfrage widersprechen 72 Prozent  Steinbrücks Aussage, dass Politiker zu schlecht bezahlt würden.

72 Prozent der Bürger sagen, dass Politiker genug verdienen. Und damit haben sie recht. Allerdings: Steinbrück hat keine Erhöhung der Politikergehälter gefordert, sondern ein Missverhältnis benannt. Dass viele Einkommen in der Wirtschaft astronomisch hoch sind, würden wahrscheinlich 92 Prozent der Bürger unterschreiben.

Sind Sie mit Ihrem Einkommen als Fraktionschef zufrieden?

Wer von einer Jacht, der Finca auf den Kanaren und einer Rolex am Arm träumt, ist in der Politik vielleicht falsch aufgehoben. Am Ende hängt vieles am eigenen Lebenszuschnitt. Ich habe meinen so gewählt, dass ich mit den Einkommen in und außerhalb der Politik immer gut hingekommen bin.

Können Sie nachvollziehen, dass Menschen, die Steinbrück nicht kennen, ihm nach der ganzen Vorgeschichte ein übersteigertes Interesse an Geld unterstellen?

Ich kann verstehen, dass die Menschen eine Gehälterdebatte in der Politik nervt. Aber ich sage Ihnen: Die medialen Vorwürfe gegen ihn sind nicht gerechtfertigt.

Sie haben bei Steinbrücks Präsentation als Kandidat versprochen, alles zu tun, damit er die Wahl gewinnt. Gilt das noch?

Absolut.

Gehört zu diesem „alles“ auch ein offenes Wort über Fehler?

Wir kennen uns lange, haben vier Jahre – davon zwei wirtschaftliche Krisenjahre – gemeinsam regiert. Wir haben damals immer offen geredet und wir tun es heute noch. Das ist eine Basis für unser freundschaftliches Verhältnis. Daran wird sich nichts ändern.

Raten Sie ihm, vorerst nichts mehr zum Thema Geld zu sagen?

Öffentliche Ratschläge gehören nicht zu meinem Verständnis von Freundschaft.

Laut „Spiegel“ redet er sich „um Kopf und Kanzleramt“. Ist ein Wechsel des Kandidaten denkbar geworden?

Nein.

Im Fall der höchsten Not für die SPD: Könnten Sie sich vorstellen, den Job doch noch einmal zu übernehmen?

Die Situation wird nicht eintreten. Und für mich habe ich eine Antwort gegeben, die steht.

Ist die Loyalität der Parteispitze zum Kanzlerkandidaten ungebrochen?

Ich habe keine Zweifel daran. Die Mitglieder des Parteivorstands kennen Peer Steinbrück, seine Positionen und seine Bereitschaft zum offenen Wort. Er ist ohne Gegenstimme vom SPD-Vorstand nominiert worden. Dazu werden alle stehen.

Wie sind die Aussichten der SPD bei der Landtagswahl in Niedersachsen?

Niedersachsen ist vielleicht kein SPD-Stammland. Aber die schwarz-gelbe Regierung dort ist von Affären geplagt und die Erinnerung an rot-grüne Regierungszeiten ist positiv. Deshalb ist die Stimmung in den Veranstaltungen gut. Rot-Grün kann gewinnen, wenn wir bis um 18 Uhr am Wahlabend kämpfen. Dafür werden wir uns noch einmal richtig reinhängen.

Für die SPD ist es essenziell, dass der Wechsel im Norden klappt. Wo sonst soll der Schwung für die Bundestagswahl herkommen. Beten Sie im Blick auf den Bund schon für einen Wahlsieg in Hannover?

Das Beten hebe ich mir für Grundsätzlicheres auf. Für Wahlziele sollte man nicht beten, sondern wahlkämpfen und überzeugen. Am besten mit Themen. Abschaffung der Studiengebühren, bessere Bildungschancen, bezahlbarer Wohnraum und gerechte Steuern, das sind nicht nur in Niedersachsen unsere Themen, sondern auch im Bund.

Im Bund hat sich die Union in der jüngsten Umfrage auf 41 Prozent gesteigert, während die SPD bei 29 Prozent verharrt. Das werden Sie kaum als rosig bezeichnen.

Ich möchte auch keine rosigen Aussichten, sondern rote.

Mindestlohn einführen, Betreuungsgeld abschaffen, Mietsteigerungen begrenzen, Spitzensteuersatz erhöhen – mit sozialer Gerechtigkeit will Peer Steinbrück punkten. Sie fordern, nicht allein darauf  zu setzen. Warum?

Es gibt keinen Anlass sich auf das alte Rollenschema einzulassen, wonach die SPD sich als Betriebsrat der Nation ausschließlich um soziale Gerechtigkeit kümmert und die Wirtschaft den anderen überlässt. Wir können beides und wissen es sind zwei Seiten einer Medaille. Nur wer faire Löhne und soziale Absicherung mit wirtschaftlichem Erfolg verbindet, kann auch dauerhaft soziale Gerechtigkeit schaffen. Das sieht Peer Steinbrück aber genauso wie ich.

Muss die Wirtschaft zweiter Schwerpunkt des SPD-Wahlprogramms werden?

Die Sozialdemokratie hat in den vergangenen zehn Jahren entscheidend zur wirtschaftspolitischen Neuaufstellung unseres Landes beigetragen. Es gibt keinen Grund, allzu bescheiden damit umzugehen. Wenn eine politische Partei Anteil daran hat, dass es uns heute gut geht, dann sind wir das, weil wir zu rot-grünen Regierungszeiten die Dinge in die Hand genommen haben. Die heutige Regierung tritt  innen- und wirtschaftspolitisch auf der Stelle. Sie lebt von Vorräten, die andere angelegt haben.

Noch eine persönliche Frage: Haben Sie es seit Klärung der K-Frage schon mal bereut, nicht erneut zur Kanzlerkandidatur bereit gewesen zu sein?

Diese Entscheidung habe ich nicht aus einer Laune heraus getroffen. Und ich versichere Ihnen: Ich hadere nicht damit. Ich bin ja auch nicht von der Bühne; meine Rolle ist nur eine andere als 2009. Und aus dieser Rolle werde ich alles tun, was mir möglich ist, um die SPD zurück in Regierungsverantwortung und Peer Steinbrück ins Kanzleramt zu bringen. Selten war so deutlich, wie in den Jahren der europäischen Krise, dass unser Land beides braucht: Soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Vernunft.