Verteidigungsminister Thomas de Maizière war gerade in Afghanistan. Die Lage sei nicht mehr so gefährlich, sagt er. Ist alles gut in Afghanistan?
FRANK-WALTER STEINMEIER: Hätte er wirklich „Alles ist gut“ gesagt, müsste ich widersprechen. Afghanistan ist keine westliche Demokratie nach dem Westminster-Modell und wird es vermutlich auch nie werden! Richtig ist aber, dass wir unser militärisches Engagement in Afghanistan beenden können und müssen. Zehn Jahre lang haben wir mit vielen anderen Staaten dafür gesorgt, dass Afghanistan nicht mehr Ausbildungsplatz für islamistische Terroristen ist. Das ist ein Erfolg. 2014 muss das Jahr sein, in dem wir unsere Einheiten abziehen und das Schicksal des Landes weitgehend in die Hände der Afghanen legen.
Brauchen wir danach eine Pause, was das weltweite militärische Engagement angeht?
STEINMEIER: Wir sind gut beraten uns zu überlegen, was zu erreichen ist und was nicht. Gegenüber den anfänglichen übersteigerten Hoffnungen und hochfliegenden Pläne für einen zentralasiatischen Musterstaat in Afghanistan, ist Ernüchterung eingekehrt. Die Ziele werden heutzutage zu Recht realistischer formuliert. Das kann der Außenpolitik nur gut tun. Neue Kampfeinsätze der Bundeswehr sehe ich nicht am Horizont heraufziehen. Die Militärberater, über die im Zusammenhang mit Mali diskutiert wird, haben damit nichts bis wenig zu tun.
Wir haben noch zehn Monate bis zur Bundestagswahl: Wie ist die Lage der SPD?
STEINMEIER: Wir haben mit Peer Steinbrück einen starken Kandidaten. Er steht für klare Worte und die Menschen hören ihm gerne zu. Dass das konservative Lager in Deutschland nervös ist, zeigen die maßlosen und infamen Angriffe gegen Steinbrück. Aber davon lassen wir uns nicht nervös machen. Das Rennen ist eröffnet und der Ausgang völlig offen.
Aber Steinbrück kommt zum einen bei den Frauen nicht so gut an und wegen seiner üppigen Honorare finden manche sein Engagement gegen die Raffgier der Banker unglaubwürdig.
STEINMEIER: Wer das Papier von Peer Steinbrück zur Regulierung der Banken kennt, wird das nicht behaupten. Er geht knallhart mit den Banken ins Gericht. Und er wird das auch als Bundeskanzler umsetzen. Ich bin sicher, der gegenwärtige Qualm wird sich verziehen, dann sehen alle wieder klarer. Die Wahrheit ist doch: Steinbrück hat über 240 Reden in den letzten drei Jahren im ganzen Land verteilt ohne Honorar gehalten. Er hat bei der Partei, in sozialen Einrichtungen und vor normalen Bürgern für unsere politischen Überzeugungen geworben. Die Menschen wollen hören, was er zu sagen hat. Und zwar Frauen genauso wie Männer.
Wie beurteilen Sie das Ergebnis der Urwahl bei den Grünen?
STEINMEIER: Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt. Denn wir wollen zusammen etwas verändern. Dafür muss die SPD stärker werden als 30 Prozent und die Grünen stärker als 13 Prozent. Um das zu erreichen, brauchen wir auch Stimmen der vielen enttäuschten Wähler aus dem bürgerlichen Lager. Mit Peer Steinbrück als Kanzlerkandidat der SPD sowie Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckhart bei den Grünen, sind wir für den Kampf um die Mitte gut gerüstet.
Zur Rentenpolitik: Kann man heute als Politiker wirklich verlässlich sagen, wie die Rente in 20, 30 Jahren aussehen wird?
STEINMEIER: Manchmal gibt es politische Stimmungsmache, die geradezu töricht ist. Vor zehn, zwölf Jahren haben viele in der Politik gesagt: Das Umlagesystem muss weg. Ihr haltet den Rentnern Einkommen vor, das System muss auf Aktienfonds umgestellt werden. Wären diese Pläne umgesetzt worden, hätte es spätestens in der Finanzkrise eine sozialpolitische Katastrophe gegeben. Richtig war hingegen die Weichenstellung, die mit Walter Riester verbunden ist: die gesetzliche Rentenversicherung erhalten und das bestehende System durch eine staatlich geförderte private Vorsorge zu ergänzen war ein guter Schritt, der heute von Millionen Menschen genutzt wird.
Was kann die Politik heute zur Sicherung der Renten tun?
STEINMEIER: Wir haben die gesetzliche Rentenversicherung in den vergangenen Jahren zukunftsfest gemacht. Jetzt geht es auch darum ein Signal an all diejenigen zu geben, die ein Leben lang Vollzeit gearbeitet haben und die trotzdem nicht über das Niveau der Grundsischerung hinauskommen. Für sie wollen wir die steuerfinanzierte Solidarrente auf einem Niveau von 850 Euro einführen. Das ist eine Frage des Respekts vor einem harten Arbeitsleben, aber auch notwendig, um einen Unterschied zu machen gegenüber denjenigen, die keine oder nur wenige Jahre Beiträge gezahlt haben.
Ist angesichts der guten Konjunktur die Versuchung nicht sehr groß, die Rente mit 67 wieder zurückzuschrauben?
STEINMEIER: Ja. Deshalb rede ich ständig darüber, dass die Zahl der Beitragszahler immer geringer wird und die Zahl der Leistungsempfänger stetig anwächst. Ich nenne das die „soziale Revolution auf Samtpfoten“. Wir werden nach meiner Überzeugung nicht an einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit vorbeikommen. Das mag wenig populär sein, ist aber ehrlich.
Mit welchen Themen wollen Sie im Wahlkampf mobilisieren?
STEINMEIER: Es wird in diesem Wahlkampf um die Frage gehen, ob sich Deutschland vier weitere Jahre mit dieser mutlosen Chaostruppe aus Union und FDP leisten kann. Ich bin fest davon überzeugt, unser Land kann sich das nicht leisten und die Mehrheit der Deutschen ahnt das. Die Regierung Merkel lebt von der Hand in den Mund, sie ist 24 Stunden am Tag damit beschäftigt, den jeweiligen Streit vom Vortag zu regeln. Das ist Politik ohne Morgen. Deutschland braucht eine Regierung, die Verantwortung für die Zukunft übernimmt. Dass Sozialdemokraten und Grüne das können, haben beide bewiesen. Von den Reformen aus unserer Regierungszeit leben wir bis heute und das besser als unsere europäischen Nachbarn.
Gibt es ein Gewinnerthema?
STEINMEIER: Weniger Schulden und vor allem mehr Bildung ist meine Botschaft. Denn wir werden unseren wirtschaftlichen Vorsprung verspielen, wenn wir nicht genügend Fachkräfte gewinnen. Wir dürfen nicht weiter Schulabbrecher produzieren. Bildung muss eines unserer Hauptkampffelder werden. Heute fallen 22 Prozent der Jugendlichen hinter den Bildungsabschluss ihrer Eltern zurück. Das ist eine zutiefst beunruhigende Entwicklung, die wir dringend bekämpfen müssen. Hier in der Bildung, da liegt die Schlüsselfrage für unsere Zukunft und die Union steht nicht nur auf der Bremse, sondern zettelt mit ihrer Fernhalteprämie auch noch neue bildungspolitische Katastrophen an.