Herr Steinmeier, wir müssen Ihnen sagen, dass Sie sich geirrt haben.
Frank-Walter Steinmeier: Das kommt vor, aber ich rätsele, was sie meinen.
Ja, gerade erst haben Sie gesagt, dass die Kanzlerin "von ihrem Amt und dieser Koalition die Nase voll hat". Inzwischen hat Frau Merkel erklärt, 2013 wieder antreten zu wollen.
Steinmeier: Das ist doch überhaupt kein Widerspruch. Ich glaube, dass sie wirklich die Nase voll hat. Allerdings ist niemand mehr da in der Union, der ihr nachfolgen könnte oder wollte. Ihre Kronprinzen von Koch bis Wulff haben doch sämtlich das Feld geräumt. Also muss sie nochmal antreten, auch wenn ihr Lust und Kraft fehlen.
Dann hätte die CDU der SPD in der Kanzlerkandidatendebatte aber einiges voraus. Hat die SPD ein K-Fragen-Problem?
Steinmeier: Warum ist das ein Problem, wenn ganz Deutschland darüber diskutiert, welcher Sozialdemokrat der nächste Kanzler siwrd. Merkel und Westerwelle sind nach noch nicht mal zwei Jahren durchgefallen, Und die Menschen wollen wieder Profis in der Regierungsverantwortung.
Im Frühjahr noch nannten Sie Peer Steinbrück als möglichen Kandidaten. Gilt die Aussage noch heute?
Steinmeier: Warum sollte sich das geändert haben? Natürlich gehört er in den engen Kreis derjenigen, aus dem die SPD den Kandidaten auswählen wird.
In den Umfragewerten liegt die SPD teilweise sogar hinter den Grünen. Warum kommt die Partei immer noch nicht in Tritt?
Steinmeier: Das ist ein gern gepflegtes Vorurteil. Aber lassen Sie uns doch genau hinschauen: Was ist denn passiert in den letzten 18 Monaten? Es gab einen dramatischen Verfall des Vertrauens in die Regierung und gleichzeitig sechs Landtagswahlen, nach denen die SPD in allen neuen Länderkabinetten vertreten ist. In Hamburg haben wir sogar die absolute Mehrheit erreicht. Eine Partei im schlechten Zustand sieht anders aus.
Aber Sie wollen doch jetzt nicht ernsthaft sagen, dass Sie zufrieden sind.
Steinmeier: Ich bin Realist. Uns war nach der Bundestagswahl bewusst, dass wir eine Neuaufstellung brauchen. Personell ist uns das gelungen, inhaltlich sind wir mitten drin. Die Menschen wollen keine hochtrabenden Ankündigungen, sondern nach dem Dauerchaos in der Koalition endlich wieder ordentlich regiert werden. Darauf bereiten wir uns vor!
Zur Euro-Debatte: Immer neue Hilfspakete, immer neue Staaten, die ins Taumeln geraten. Verstehen Sie, dass die Menschen am Euro zweifeln?
Steinmeier: Ich verstehe, dass die Menschen kritisch gegenüber immer neuen Hilfspaketen sind. Für mich ist es keine Frage, dass europäische Solidarität auch Grenzen hat. Sie setzt voraus, dass derjenige, der die Verantwortung für den eigenen Verschuldungsschlamassel trägt, auch Vorleistungen erbringt. Im Falle Griechenlands waren das drastische Kürzungen. Worauf es jetzt ankommt ist, dass Griechenland auch wirtschaftlich wieder auf die Beine kommt. Das wird mit Sparen allein nicht gelingen.
Wie denn?
Steinmeier: Was Griechenland am dringendsten braucht, sind Investitionen. Dazu kann man nicht noch Mal mit der Sammelbüchse durch Europa ziehen. Es müssen diejenigen zur Beseitigung der Folgen beitragen, die sie mit verursacht haben. Wir brauchen endlich die Finanztransaktionssteuer, damit auch die Finanzmärkte an den Kosten beteiligt werden. Das Aufkommen oder ein Teil davon können wir dann für Investitionen in den Krisenländern nutzen.
Wie schätzen Sie die Lage in Italien ein?
Steinmeier: Das ist ein anderer Fall. Italien hat zwar eine Regierung, die in Europa schon viel Kopfschütteln ausgelöst hat, aber es ist kein deindustrialisiertes Land. Das wirtschaftliche Herz im Norden mit einer weiterhin starken Industrie ist weitgehend in Takt. Worauf es ankommt ist, dass Italien seine Konkurrenzfähigkeit im Weltmarkt stärkt. Italien steht vor dem Problem, das wir in Deutschland vor 10 Jahren mit mutigen Reformen angegangen sind und mit Schmerzen durchgesetzt haben. Ohne diesen Schritt sähe es auch bei uns heute nicht anders aus als ind er europäischen Nachbarschaft. Wir waren fürher dran als andere.
Stimmt die SPD im Herbst für den Euro-Rettungsschirm ESM?
Steinmeier: Wir diskutieren mit dem ESM nicht nur die Frage des Euro, sondern auch die Frage nach der Zukunft Europas. Meine Generation vergisst nicht, dass dieses Europa die Lehre aus 200 Jahren europäischem Krieg, Bürgerkrieg und zwei Weltkriegen war. Dieses Europa ist entstanden über den Gräbern unserer Väter und Großväter. Wir haben die Pflicht, trotz aller aktuellen Schwierigkeiten, dieses Erbe zu pflegen und zu erhalten. Was den ESM angeht, so ist es doch ganz selbstverständlich, dass die Regierung in so einer wichtigen Frage ihre eigene Mehrheit bringen muss, sonst ist sie am Ende. Das ist so, ganz unabhängig davon, wie die SPD stimmt!
Die SPD hat für Herbst ihr eigenes Finanzkonzept angekündigt. Wird es Steuersenkungen vorsehen?
Steinmeier: Ich bin nach wie vor konsterniert über die Politik dieser Bundesregierung. Niemand glaubt doch, dass die jetzt zum dritten Mal angekündigten Steuersenkungen kommen. Die Regierung läuft zum dritten Mal vor die selbe Wand. Steuersenkungen auf Pump werden wir nicht mittragen. Wenn wir tagein, tagaus über Schulden reden, dann muss die eindeutige Priorität der Rückführung der Neuverschuldung gelten. In unserem Konzept wird es daher nicht Steuersenkungen als Selbstzweck geben. Wir wollen im gesamten Feld des Steuer- und Abgabesystems mehr Gerechtigkeit. Mir diesem Ziel arbeiten wir auf den Spätherbst hin. Nur so kann man seriös Politik machen.