SPIEGEL ONLINE: Kommende Woche stimmt der Bundestag über die Hilfen für spanische Banken ab. Kann sich die Kanzlerin dabei auf die Zustimmung der SPD verlassen?
Oppermann: Wir werden die Konditionen für Spanien sehr sorgfältig prüfen. Spanien muss sich klar verpflichten, für eine neue, gesunde Bankenstruktur zu sorgen. Der erste Eindruck des Brüsseler Memorandums ist, dass darin harte Bedingungen formuliert werden. Zum Beispiel müssen private Kapitalgeber spanischer Banken vorrangig haften. Es ist auch eine Gehaltsdeckelung für Managervergütungen vorgesehen. Das finden wir gut, denn wir wollen darauf achten, dass die Belastungen für die deutschen Steuerzahler möglichst gering bleiben.
SPIEGEL ONLINE: Manche in ihrer Fraktion erwägen, mit Nein zu stimmen, um zu prüfen, ob Merkel noch eine eigene Mehrheit organisieren kann. Eignen sich Euro-Abstimmungen für taktische Spielchen?
Oppermann: Nein. Frau Merkel muss unabhängig von unserer Entscheidung in einer solch elementaren Frage die eigene Kanzlermehrheit schaffen. Wenn sie diese erneut verpasst, bedeutet das eine weitere Erosion ihrer Kanzlerschaft.
SPIEGEL ONLINE: Die Mehrheit der Bevölkerung scheint das anders zu sehen. Merkel ist in Umfragen beliebt, wie eh und je.
Oppermann: Fehlende Kanzlermehrheiten werden immer registriert. Zu Recht. Wenn die eigene Koalition der Kanzlerin bei grundsätzlichen europapolitischen fragen nicht mehr folgt, dann zeigt das, wie sehr ihre Autorität inzwischen gelitten hat. Wir treffen unsere Entscheidungen aber unabhängig von den Verhältnissen in der Koalition. Wir werden abwägen, was die richtige Antwort auf die spanische Bankenkrise und was zum Schutz unserer Wirtschaft und unserer Arbeitsplätze notwendig ist. Es geht nicht nur um Solidarität, sondern auch um deutsche Interessen.
SPIEGEL ONLINE: Das Bundesverfassungsgericht lässt sich offenbar länger mit der Entscheidung über den europäischen Rettungsschirm Zeit, als gedacht. Ist das im Sinne der Euro-Rettung?
Oppermann: Das Verfassungsgericht genießt nicht umsonst bei den Menschen eine hohe Wertschätzung. Ich finde es richtig, dass das Gericht Sorgfalt vor Eile gehen lässt. Und ich finde es auch gut, dass die Richter ihren Urlaub verschieben, um den Fall gründlich prüfen zu können.
SPIEGEL ONLINE: Finanzminister Schäuble sorgt sich, dass eine Verzögerung der Entscheidung die Märkte beunruhigen könnte. Sehen auch Sie diese Gefahr?
Oppermann: Mit dieser Sorge kommt der Finanzminister reichlich spät. Es sind nicht die Verfassungsrichter, die zu verantworten haben, dass der geplante Start des Rettungsschirms bereits verstrichen ist. Es war Angela Merkel, die monatelang nicht mit der Opposition über den Rettungsschirm und den Fiskalpakt verhandeln wollte, obwohl sie längst wusste, dass sie unsere Stimmen braucht. Das kann man jetzt doch nicht den Verfassungsrichtern in Karlsruhe anlasten. Im Übrigen sollte sich jeder hüten, auf die Richter Druck auszuüben. Ich glaube, dass Karlsruhe am Ende die für Europa und Deutschland richtige Entscheidung treffen wird.
SPIEGEL ONLINE: Was würde passieren, wenn Karlsruhe den Rettungskurs durchkreuzen würde?
Oppermann: Das wäre politisch schwer kalkulierbar. Die Richter könnten allerdings nur Nein sagen, wenn sich dies zwingend aus der Verfassung herleiten ließe.
SPIEGEL ONLINE: Im Streit um das Meldegesetz haben Opposition und Bundesregierung keine gute Figur gemacht. Hat die SPD die Brisanz des Gesetzes unterschätzt?
Oppermann: Das war keine Sternstunde. Weder in Berlin, wo der Bundestag das Meldegesetz abgestimmt hat, noch in Warschau, wo die Nationalelf zeitgleich gegen Italien verloren hat. Wir waren uns der Brisanz der Gesetzesänderung allerdings voll bewusst. Wir haben die Änderung im Ausschuss massiv kritisiert und haben im Plenum dagegen gestimmt.
SPIEGEL ONLINE: Von der SPD waren da aber gerade einmal drei Abgeordnete zugegen. Auch auf Koalitionsseite waren viele Plätze leer. Müssen die Präsenzregeln reformiert werden, um dem Eindruck des Hobby-Parlaments künftig etwas entgegen setzen zu können?
Oppermann: Ja. Wir werden wohl nicht bei allen Themen eine immer gleich hohe Präsenz gewährleisten können. Doch der Bundestag ist der Ort der entscheidenden Debatten. Bei den wichtigen Entscheidungen müssen wir eine höhere Präsenz erreichen. Das Meldegesetz war ein wichtiges Gesetz, das Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger betrifft. Solche Gesetze dürfen in Zukunft nicht ohne eine Debatte durch gewunken werden. Ich werde das im Ältestenrat des Bundestages ansprechen.
SPIEGEL ONLINE: Und wie lässt sich die Präsenz erhöhen?
Oppermann: Bei Regierungserklärungen oder Kernzeitdebatten gibt es im Bundestag eine sehr gute Präsenz. Das lässt leider nach, je stärker die Debatten fachlich geprägt sind. Insgesamt brauchen wir eine Modernisierung der parlamentarischen Abläufe. Wir brauchen weniger Rituale und mehr lebendige, spontane Diskussionen. Dazu gehört für mich auch eine Reform der Regierungsbefragung und der Fragestunde. Die Kanzlerin sollte bereit sein, in der Fragestunde des Parlaments die Fragen der Abgeordneten direkt zu beantworten, so wie das etwa im englischen Unterhaus seit Jahrzehnten praktiziert wird. Das wäre ein erster Impuls für ein lebendigeres Parlament.