Gleich zu Beginn der Sitzung versuchte der Obmann der Union Nebelkerzen zu zünden, um sich von der Berichterstattung über die von Schwarz-Gelb favorisierte Anhebung des Renteneintrittsalters auf 69 Jahre zur Schließung der Tragfähigkeitslücke der öffentlichen Haushalte zu distanzieren. Dies ist ihm nicht gelungen. Fakt ist, dass Schwarz-Gelb sich mit der Annahme des Mehrheitsberichts die Meinung des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zu eigen macht: „So würde ein über das Jahr 2029 hinausgehender Anstieg auf 69 Jahre im Jahre 2060 die Tragfähigkeitslücke der öffentlichen Haushalte voraussichtlich um 0,7 Prozentpunkte reduzieren“ (Schlussbericht, Drucksache 17/13300, Seite 588). Im Fazit des entsprechenden Kapitels (Drucksache 17/13300, Seite 589) resümiert Schwarz-Gelb: „Ohne weitreichende Maßnahmen wie die weitere Heraufsetzung des Renteneintrittsalters, das analog auch für Beamte gelten müsste, ist die Tragfähigkeitslücke wohl kaum zu schließen.“

Wir distanzieren uns ausdrücklich von dieser Haltung und haben hierzu ein entsprechendes Sondervotum abgegeben: „Eine Anhebung des Renteneintrittsalters auf 69 Jahre wird abgelehnt. Dies wird nicht als angemessene Antwort auf die derzeitige demographische Entwicklung angesehen, da dies das gesamtgesellschaftliche Problem auf eine kleine Bevölkerungsgruppe, nämlich die Rentnerinnen und Rentner abwälzen würde. Übergänge in die Rente sollten an der individuellen Leistungsfähigkeit festgemacht werden und nicht die Problematik der Altersarmut verschärfen.“ (Kommissions-Drucksache 17(26)98)

Wir haben in einem Sondervotum klar aufgezeigt, wie wir uns den Herausforderungen einer zukunftsfähigen Finanzpoltik stellen wollen (Drucksache 17/13300, Seite 589ff). Wir wollen zur Finanzierung der Staatsausgaben, vor allem im sozialen Bereich, beispielsweise den Spitzensteuersatz anheben und Kapitaleinkünfte gerecht besteuern. Auch wollen wir eine angemessene Vermögensbesteuerung und endlich die Finanztransaktionssteuer einführen.

Trotz unserer Kritik stimmten wir dem Schlussbericht der Projektgruppe 4 unter Leitung von Edelgard Bulmahn (SPD) insgesamt zu. Der Bericht benennt einen "ordnungspolitischen Instrumentenkasten" zur Realisierung von Nachhaltigkeit in der Finanz- und Umweltpolitik.

Für uns markiert der Bericht einen Erfolg der gesamten Enquete-Kommission. Edelgard Bulmahn drückte dies so aus: "Wir wollen Nachhaltigkeit nicht nur in Sonntagsreden proklamieren, sondern konkrete Vorschläge zur Umsetzung dieses Prinzips präsentieren. Sonst können wir eine erneute Krise wie 2008/2009 nicht ausschließen". Mit diesen Worten begründete Bulmahn die Notwendigkeit tiefgehender Maßnahmen zur Stabilisierung der Finanzmärkte, worauf sich Koalition und Opposition weithin gemeinsam geeinigt haben. Zu diesen Forderungen gehören deutlich höhere Eigenkapitalquoten bei Banken als international bislang geplant. Bei systemrelevanten Kreditinstituten sollen noch strengere Anforderungen gelten.

Verbriefungen von Krediten sollen nach dem Willen der Kommission erschwert werden. Vorgeschlagen wird zudem eine Regulierung der Schattenbanken: Es dürfe nicht geduldet werden, dass Banken ihre Aktivitäten allein deshalb in Zweckgesellschaften auslagern, um eine schärfere Regulierung zu umgehen. Die Projektgruppe verlangt überdies eine europäische Bankenaufsicht mit "echten Durchgriffsrechten".

Umweltpolitisch herrschte weithin Einigkeit zwischen Koalition und Opposition bei der Zielsetzung, die Chemieindustrie in stärkerem Maße an der Leitlinie des nachhaltigen Wirtschaftens auszurichten. Schon in der Vergangenheit hätten technische Normen, Standards und Grenzwerte einen Prozess hin zu Energie- und Ressourceneffizienz ausgelöst, der mit zu einer starken internationalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Chemiebranche beigetragen habe.

Zum Maßnahmenkatalog der Projektgruppe zählt unter anderem die Forderung, den Einsatz von fossilen Rohstoffen durch die vermehrte Verwendung von Biomasse weiter zurückzudrängen. Edelgard Bulmahn plädiert für die verstärkte Entwicklung biologisch abbaubarer Verpackungsmaterialien. Firmen dieses Sektors sollten sich gemeinsam in "Chemieparks" ansiedeln, proklamiert der Bericht, um über geschlossene Produktionsketten mit einer besseren Verwertungsquote bei Ressourcen den Anfall von Müll spürbar zu senken.

Im Blick auf die Reduzierung von Treibhausgasen verlangt die Kommission in der Klimapolitik eine Reform des EU-Emissionshandels, etwa über eine Verknappung von Emissionszertifikaten. Edelgard Bulmahn warb für eine klimapolitische Vorreiterrolle Deutschlands, um internationale Anstrengungen zur Verminderung von Treibhausgasen zu forcieren. Drei Viertel von internationalen Maßnahmen auf diesem Gebiet fußten auf nationalen Regulierungen, meinte Bulmahn: Global dürfe "nicht der Langsamste das Tempo bestimmen".

Der zweite Schwerpunkt der Sitzung war die Auseinandersetzung mit der Ideengeschichte des Fortschritts. Hierzu legten der Sachverständige Michael Müller, Staatssek. a.D. und Dr. Matthias Zimmer, MdB (CDU) einen Textbeitrag vor. Eigentlich sollte der Text einleitend im Gesamtbericht platziert werden, doch die schwarz-gelbe Mehrheit hatte wohl zu viel Angst vor der philosophischen Einordnung. So wurde mit den Stimmen von Schwarz-Gelb beschlossen, dass der Text als Namensbeitrag (damit distanziert sich die Unionsfraktion von ihrem eigenen Mitglied!) am Ende des Berichts der Projektgruppe 1 untergebracht wird.

 

Dokumente

Tagesordnung:
http://www.bundestag.de/bundestag/gremien/enquete/wachstum/tagesordnungen/archiv/29-_11_03_2013.pdf

Berichtsentwurf:
http://www.bundestag.de/bundestag/gremien/enquete/wachstum/Kommissionsdrucksachen/95_PG4_Gesamtbericht_05_03_13_3.pdf

Sondervotum „Nachhaltig gestaltende Ordnungspolitik“:
http://www.bundestag.de/bundestag/gremien/enquete/wachstum/Kommissionsdrucksachen/97_PG4_Nachhaltig_gestaltende_Ordnungspolitik_Opposition1.pdf

Sondervotum gegen die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 69 Jahre:
http://www.bundestag.de/bundestag/gremien/enquete/wachstum/Kommissionsdrucksachen/97_PG4_Nachhaltig_gestaltende_Ordnungspolitik_Opposition1.pdf

Michael Müller, Dr. Matthias Zimmer: Ideengeschichte des Fortschritts:
http://www.bundestag.de/bundestag/gremien/enquete/wachstum/Kommissionsdrucksachen/50_neu_-_Ideengeschichte_Fortschritt_MM_MZ_13_01_31.pdf