Einen wichtigen Schritt zu einer umfassenden Pflegereform stellt das Pflegestärkungsgesetz I (Fünftes Gesetz zur Änderung des Elften Buches des Sozialgesetzbuches) (Drs. 18/1798, 18/2909) dar. Dieses hat der Deutsche Bundestag am 17. Oktober 2014, gut 20 Jahre nach Einführung der Pflegeversicherung, beschlossen.

Verbesserungen für Pflegebedürftige, Angehörige und Beschäftige

„Die Menschen haben am Lebensende ein Anrecht darauf, dass wir alle in unserer Gesellschaft solidarisch für sie einstehen“, sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Hilde Mattheis, in der Debatte. Sie wies auch darauf hin, dass gute Pflege vor Ort organisiert werden muss. Dazu solle eine Bund-Länder-Kommission klären, was eine gute Pflegepolitik vor Ort bedeutet und welche Rahmenbedingungen für eine passgenaue Infrastruktur gesetzt werden müssen, erläuterte Mattheis.

              Video der Rede von Hilde Mattheis              

 

Für die zuständige Berichterstatterin der SPD-Fraktion, Mechthild Rawert, gehört die Verabschiedung des Pflegestärkungsgesetzes I zu einem „roten Faden“ mit dem in dieser Wahlperiode langjährige Forderungen der SPD-Fraktion umgesetzt würden. „In der Koalitionsvereinbarung haben wir versprochen, dass wir die Situation in der Pflege verbessern wollen und wir halten unser Versprechen: Gesagt. Getan. Gerecht.“, so Rawert. Vor allem wolle die SPD-Fraktion für „Gute Arbeit“ in der Pflege sorgen.

In gut 15 Jahren hat die stellvertretende gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Heike Baehrens, aus nächster Nähe erlebt, welchem wirtschaftlichen Druck Pflegeanbieter bei den Verhandlungen mit den Pflegekassen und den Sozialhilfeträgern ausgesetzt sind. Es werde basarähnlich verhandelt, und die Personalkosten würden an die steigenden Tariflöhne nicht angepasst. Deshalb würde jetzt die Zahlung von Tariflöhnen in der Pflege gestärkt. „Pflegekräfte brauchen eine gute Bezahlung, denn in Zukunft werden wir engagiertes und gut qualifiziertes Personal nur bekommen, wenn in diesem Beruf ordentlich verdient werden kann“, sagte Baehrens.

SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach warb für die Leistungsverbesserungen durch das Pflegestärkungsgesetz I. Menschen  müssten nicht nur gut gepflegt werden, sondern sie bräuchten auch jemanden, „der mit ihnen spricht und mit ihnen spielt“ und es müsse Stress und Druck von pflegenden Angehörigen genommen werden. Dies unterstütze das Gesetz. 

  Video der Rede von Karl Lauterbach  

Was bringt das Gesetz?

Um die Leistungsverbesserungen und die Zahlungen an den neu einzurichtenden Pflegevorsorgefonds finanzieren zu können, sieht das Gesetz vor, den Beitragssatz zum 1. Januar 2015 um 0,3 Prozentpunkte anzuheben. Die Einnahmen aus 0,2 Beitragssatzpunkten – rund 2,4 Milliarden Euro – stehen für die Leistungsverbesserungen dieser ersten Reformstufe zur Verfügung. Die Mittel aus einem Beitragssatzzehntel speisen den neuen Pflegevorsorgefonds. Das entspricht derzeit 1,2 Milliarden Euro. Dieser Fonds ist ein Kompromiss, den die SPD in den Koalitionsverhandlungen mit der Union eingegangen ist.

Entlastung für Angehörige

Erstmalig wird die Preisentwicklung der vergangenen drei Jahre bei der Anhebung aller Leistungsbeträge berücksichtigt. Diese werden um vier Prozent angehoben. Die Leistungen in der häuslichen Pflege werden deutlich verbessert und flexibilisiert, denn mehr als zwei Drittel aller Pflegebedürftigen werden daheim versorgt – darunter die große Mehrzahl von ihren Angehörigen. Ihnen wird insbesondere durch Verbesserungen im Bereich der Kurzzeit- und Verhinderungspflege sowie der Tages- und Nachtpflege geholfen. Damit trägt die Koalition dem Wunsch vieler Menschen Rechnung, zu Hause gepflegt zu werden, und sie greift die Wünsche der vielen pflegenden Angehörigen auf, entlastende und unterstützende Pflegeleistungen flexibler in Anspruch nehmen zu können.

Wer die eigenen vier Wände altersgerecht, wie z. B. mit einem entsprechenden Badezimmer, umrüstet, kann zukünftig Zuschüsse von bis zu 4.000 Euro bekommen. Bisher betrug die Obergrenze hierzu 2.557 Euro. Zudem werden die Zuschüsse für Pflegehilfsmittel wie Einmalhandschuhe von monatlich bis zu 31 Euro auf bis zu 40 Euro erhöht.

Weitere Verbesserungen für Demenzkranke

Außerdem sorgt das Gesetz für eine weitere Angleichung der Leistungen bei körperlich und bei psychisch bzw. demenziell bedingter Pflegebedürftigkeit. Pflegebedürftige, die stärker körperlich eingeschränkt sind, können jetzt ebenfalls zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen in Anspruch nehmen.

Und wer seinen Anspruch auf ambulante Pflegesachleistungen nicht voll ausschöpft, kann den nicht genutzten Betrag zukünftig bis zu 40 Prozent umwidmen und für so genannte niedrigschwellige Angebote – etwa in der Betreuung oder für eine Haushaltshilfe – verwenden. Gleichzeitig erhalten auch Menschen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz in der sogenannten Pflegestufe Null Zugang zu Leistungen der Tages- und Nachtpflege sowie der Kurzzeitpflege. Dies ist bereits ein wichtiger Schritt hin zur Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs.

In der stationären Pflege wird das Betreuungs- und Aktivierungsangebot schon vor Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs erweitert und auf alle Pflegebedürftigen ausgedehnt. Das Betreuungsverhältnis wird auf eine zusätzliche Betreuungskraft für 20 Pflegebedürftige verbessert – was insgesamt bis zu 45.000 Betreuungskräfte möglich macht. Das wird den Pflegealltag in stationären Einrichtungen insgesamt erleichtern.

Stärkung der Tariflöhne in Pflegeeinrichtung

Eine gerechte Bezahlung der Pflegekräfte liegt der SPD-Fraktion am Herzen. Deshalb hat sie in den parlamentarischen Beratungen durchgesetzt, dass Pflegeeinrichtungen, die Tariflohn zahlen, gestärkt werden. Künftig dürfen Tariflöhne bei Vergütungsverhandlungen zwischen Pflegeeinrichtungen und Pflegekassen sowie Sozialhilfeträgern nicht mehr als unwirtschaftlich abgelehnt werden. Zusätzlich werden bessere Kontrollmöglichkeiten eingeführt, damit der Lohn auch tatsächlich bei den Beschäftigten ankommt.

Weitere Reformschritte

Das Gesetz zur besseren Vereinbarung von Familie, Pflege und Beruf wird voraussichtlich in der zweiten Novemberwoche in 1. Lesung beraten. Damit will die Koalition unter anderem Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entlasten, die kurzfristig die Pflege eines Angehörigen organisieren müssen. Sie können dafür eine bezahlte Auszeit von maximal zehn Tagen nehmen. Auch dieses Gesetz soll noch in diesem Jahr verabschiedet werden, damit es zum 1. Januar 2015 in Kraft treten kann.

Mit dem Pflegestärkungsgesetz II wird die Große Koalition in dieser Wahlperiode den neuen Pflegedürftigkeitsbegriff umsetzen, der bereits erprobt wird. Außerdem ist ein Pflegeberufegesetz in Vorbereitung, um vor allem die Aufstiegschancen in Pflegeberufen zu verbessern.

 

Anja Linnekugel