Fast 14 Jahre lang haben drei Rechtsextreme in Deutschland unerkannt gelebt, mutmaßlich zehn Menschen umgebracht, zwei Sprengstoffanschläge und viele Banküberfälle verübt. Sie nannten sich NSU – Nationalsozialistischer Untergrund. Und obwohl neun der Todesopfer einen Migrationshintergrund hatten, kamen weder Polizei noch Justiz, Verfassungsschutz oder Medien auf die Idee, eine Verbindung zwischen der Mordserie und den Sprengstoffanschlägen und den drei Rechtsextremen herzustellen. In Richtung eines rassistischen Mordmotivs wurde nicht ausreichend ermittelt.

Der Deutsche Bundestag setzte auf Antrag und mit den Stimmen aller Fraktionen im Januar 2012 einen Untersuchungsausschuss „Terrorgruppe NSU“ ein. Sein Ziel war es, die Hintergründe aufzudecken und Verbesserungen zu erarbeiten. Das Vertrauen in den Rechtsstaat musste repariert werden. Der Ausschuss förderte ein erschreckendes Maß an Ignoranz und Versagen zutage.

Am Mittwochnachmittag erinnerte der Bundestag in einer vereinbarten Debatte an den dritten Jahrestag der Aufdeckung der NSU-Verbrechen.

Aydan Özoguz, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (SPD), erinnerte an die Perspektive der Migrantinnen und Migranten. Es müsse mehr dagegen unternommen werden, dass Einwanderer sich in Deutschland fragen: Wenn ich selbst einmal Opfer werde - wie wird dann mit mir umgegangen?. Das Engagement gegen Diskriminierung sei nicht entschlossen genug.

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sprach von „Fassungslosigkeit“ angesichts des Leids und der Demütigung der Opfer. Denn deren Familien wurden zunächst irrtümlich verdächtigt. Maas kündigte Gesetzesänderungen an, wodurch es zum Beispiel für Staatsanwaltschaften einfacher wird, mit Verfassungsschutzbehörden zusammenzuarbeiten bzw. von ihnen informiert zu werden.

Der Minister ging auch auf die aktuelle Problematik mit den Hooligans ein. Die zeige: „Rechte Gewalt ist aktuell“. Er sprach von „Kampfansagen an den Rechtsstaat“. Dieser werde mit aller Härte antworten.

Präventionsprogramme stärken

Die ehemalige Obfrau der SPD-Fraktion im NSU-Untersuchungsausschuss und jetzige SPD-Fraktionsvizin Eva Högl dankte Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig für ihr Engagement bei wichtigen Präventionsprogrammen gegen Extremismus, die nun verlässlich und langfristig fortgeführt werden könnten.

Högl mahnte, der Bundestag müsse „alles dafür tun, dass so etwas (wie der NSU-Terror) nie wieder passiert.“ Sie kündigte an, dass die Abgeordneten auch künftig nicht locker lassen und dass die Aufklärung weitergehe. Högl: „Vieles hat uns bei der Ausschussarbeit nicht überzeugt.“ So verwies sie etwa auf V-Leute und fragte, ob es darunter welche gab, die mehr wussten, weil sie nah dran waren am NSU.

Die Arbeit des Ausschusses offenbarte in der Tat institutionelles Versagen. Es gab etliche Fehler und Versäumnisse bei den Behörden, sei es auf Länder- oder Bundesebene, bei der Polizei oder der Justiz, Verfassungsschutz oder Politik.

Der Verfassungsschutz zum Beispiel erkannte nicht, dass eine zunehmende Radikalisierung gewaltbereiter Neonazis zur Bildung rechtsterroristischer Strukturen in Deutschland führen kann. Die Politik versagte u. a. durch die Fokussierung einseitig auf islamistischen Terror. Rechtsextremismus wurde verharmlost.

Außerdem fehlte behördenweit Wissen über Rechtsextremismus und seine gewaltbereiten Erscheinungsformen.

In falsche Richtungen ermittelt

Nicht zuletzt gab es latenten Rassismus offenbar auch in Behörden, was dazu führte, dass in völlig falsche Richtungen ermittelt wurde. Die Tatsache, dass neun der zehn Opfer einen Migrationshintergrund hatten, sorgte anscheinend dafür, dass sogleich in Richtung Organisierte Kriminalität recherchiert wurde. Entsprechende andere Hinweise wurden nicht konsequent genug verfolgt.

Dementsprechend hat der Ausschuss als eine wichtige Schlussfolgerung festgehalten, dass die Polizei bei einer schweren Straftat, wenn das Opfer einen ausländischen Hintergrund hat, routinemäßig abprüfen soll, ob ein fremdenfeindlicher bzw. rechtsextremer Kontext in Betracht kommt.

Der Untersuchungsausschuss hat mehr als 40 Empfehlungen formuliert; die Koalitionsfraktionen haben sich im Koalitionsvertrag alle zu Eigen gemacht. Auch der neue Deutsche Bundestag hat zu Beginn der 18. Wahlperiode die Empfehlungen des Ausschusses bekräftigt und deutlich gemacht, dass diese umgesetzt werden sollen.

Die Bundesregierung will die Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses für die Justiz auf Bundesebene umsetzen. Dazu hat sie einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt (Drs. 18/3007), der kommende Woche im Parlament erstmals beraten wird.

Neuer Gesetzentwurf der Regierung

Das Gesetz sieht unter anderem vor, dass die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts einfacher begründet und er frühzeitiger in Verfahren eingebunden wird – wenn seine Zuständigkeit in Betracht kommt. Zudem soll es bei Kompetenzstreitigkeiten zwischen Staatsanwaltschaften verschiedener Länder auf Antrag einer übernahme- oder abgabewilligen Staatsanwaltschaft zukünftig auch zu einem Sammelverfahren kommen. Und bei der Strafzumessung sollen – das geht über die Empfehlungen des Untersuchungsausschusses hinaus – rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende Beweggründe und Ziele berücksichtigt werden.

Zum Hintergrund

Die Mordserie des rechtsextremen Nationalsozialistischen Untergrunds war am 4. November 2011 aufgedeckt worden. Den NSU-Mitgliedern wird die Ermordung von neun Migranten und einer deutschen Polizistin zur Last gelegt.

Vor dem Oberlandesgericht München wird seit dem vergangenen Jahr wegen der Morde gegen die mutmaßliche NSU-Rechtsterroristin Beate Zschäpe sowie weitere mutmaßliche NSU-Helfer verhandelt. Ein Ende des Verfahrens ist noch nicht absehbar.

Alexander Linden