Demokratie und Zeitung gehörten zusammen! Sie seien gemeinsam entstanden. Die Krise des Einen beschwörte die Krise des Anderen herauf. Und deshalb gehe es bei allem, was heute miteinander diskutiert werde, nicht nur um die Zukunft der deutschen Zeitungen, sondern immer auch um die Zukunft und Bedingungen demokratischer Politik, sagte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier.

Sehr geehrte Frau Boyens,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

die deutsche Presselandschaft ist im Umbruch. Unter Journalisten und Verlegern macht sich Verunsicherung breit, die Zukunftssorgen, die viele von Ihnen haben, werden hier auf dem Podium ebenso wie auf den Fluren eine wichtige Rolle spielen. Sie erwarten von der Politik konkrete Antworten, was von ihr in dieser Umbruchssituation zu erwarten ist, und ich will versuchen, Ihnen wenigstens heute ein paar davon zu geben. Aber bevor wir zu konkreten Themen wie Pressegrosso und Leistungsschutzrecht kommen, möchte ich etwas grundsätzlicher beginnen. Nur so bekommt unsere Diskussion die nötige Flughöhe, nur so wird auch klar, was für unsere Gesellschaft auf dem Spiel steht, wenn es um die Zukunft der Zeitungen geht.

Demokratie und Zeitung gehören zusammen! Sie sind gemeinsam entstanden. Die Krise des Einen beschwor die Krise des Anderen herauf. Und deshalb geht es bei allem, was wir heute miteinander diskutieren, nicht nur um die Zukunft der deutschen Zeitungen, sondern immer auch um die Zukunft und Bedingungen demokratischer Politik.

Man kann die Geschichte der deutschen Demokratie als Zeitungsgeschichte schreiben – vom Aufkommen einer demokratischen, stark lokal verankerten Presse im Vormärz über die Aufstieg der großen Partei- und Gesinnungsblätter in der Zeit nach der Reichsgründung von 1871, über Hugenberg und seine verhängnisvolle Rolle in der Weimarer Republik hin zur Vernichtung der Pressefreiheit in der Zeit des Nationalsozialismus und schließlich zur Neuformierung der deutschen Medienlandschaft nach 1945.

Im Zeitungswesen spiegeln sich nicht nur die politischen Verhältnisse der Zeit. Die Zeitungen in ihrer Vielfalt und die durch sie geprägte Öffentlichkeit sind der Ort, wo sich demokratische Meinungsbildung vollzieht.

Zeitung und Demokratie gehören zusammen. Oder muss man schon sagen: Sie gehörten zusammen? Das Wort von der „Zeitungskrise“ ist in aller Munde. Doch nur wenige sehen darin ernsthaft ein Problem für die Demokratie. Nach Rundfunk und Fernsehen schicken sich die elektronischen Medien an, der Zeitung ihren Platz als prägenden Meinungsbildner streitig zu machen. Jahr für Jahr gehen die Auflagen der Printzeitungen ebenso zurück wie die Werbeeinnahmen. Noch dramatischer fast: In der jungen Generation ist die Zahl der regelmäßigen Zeitungsleser im freien Fall.

Sicher: Im internationalen Vergleich geht es uns immer noch gut. Deutschland ist immer noch ein Land der Zeitungsleser. Sieben von zehn Deutschen über 14 Jahren lesen noch immer regelmäßig Tageszeitung.  Sie können sich – theoretisch – zwischen täglich fast 350 Titeln mit etwa 1.500 lokalen Ausgaben entscheiden. Deutschland ist der größte europäische Zeitungsmarkt und der fünftgrößte Zeitungsmarkt weltweit.

Aber keiner von Ihnen kann sich angesichts dieser Zahlen beruhig zurücklehnen. Gerade die kleineren Zeitungen leiden ganz besonders unter den wegbrechenden Anzeigeneinnahmen. Waren die ersten großen Internetplattformen noch national orientiert, drängen sie jetzt auch immer mehr auf den lokalen Markt. Lokale Plattformen für Kleinanzeigen, individualisierte Werbung – die Angriffe auf Ihr traditionelles Anzeigengeschäft kommen von allen Seiten und führen bei Ihnen allen zu enormem Kosten- und Anpassungsdruck.

Der Weg hin zu verstärkter Onlinepräsenz, den große und mittlere Verlage einschlagen können, ist für viele von Ihnen nicht einfach zu gehen. Oft fehlen für die entsprechenden Investitionen das Geld, das Personal und das Know-How. Keiner von Ihnen kann es sich leisten, einen Kai Diekmann für ein Jahr ins Silicon Valley zu schicken – und damit droht uns hier in Deutschland eine ganz neue Form des „digital divide“: Einer kleinen Zahl von Großverlagen, die eine erfolgreiche Digitalisierungsstrategie verfolgen, steht eine große Zahl kleinerer Verlage gegenüber, denen wirtschaftlich das Wasser bis zum Halse steht. 

Vielleicht bin ich in der Hinsicht etwas altmodisch. Aber ich kann angesichts dieser Entwicklung nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Ich glaube auch nicht an schulterzuckend vorgebrachten Worte der Großverleger: Zeitungen wird es auch weiter geben, nur nicht in gedruckter Form. Ich gehöre jedenfalls nicht zu denen, die glauben, dass die Rolle lokaler, fest in ihrer Gemeinde und ihrer Region verankerten Zeitungsredaktionen ohne weiteres von Onlinemedien und Bloggern übernommen werden kann. Ich glaube auch nicht an die Mär, dass Öffentlichkeit ganz einfach durch die Addition von im Netz geäußerten Privatmeinungen entsteht. Und die jüngste Diskussion um das US-Abhörprogramm „Prism“ zeigt, welche Gefahren mit der Cloud und den Datenstaubsaugern der großen Internet-Konzerne verbunden sind – Gefahren, angesichts derer unsere früheren Diskussionen über Pressekonzentration und – macht wie harmlose Sandkastenspiele wirken.

Jeden Morgen ist die Lokalzeitung meine Lektüre. Und ich wünsche mir, als Demokrat!, dass das so bleibt. Natürlich, die Dinge sind im Fluss, ich merke es auch an mir selbst. Ich lese immer noch viel, aber anders. Spiegel-Online ist mein ständiger Begleiter, die Agenturen laufen den ganzen Tag. Und das verändert die politische Öffentlichkeit. Die Nachrichtenzyklen werden immer atemloser, es fehlt die Konzentration aufs Wesentliche. Sortiert wird nicht mehr nach Bedeutung, sondern allein nach Neuigkeit. Länger als 2 Stunden darf keine Online-Seite unverändert bleiben. Und das heißt, dass die Säue mit immer größerer Geschwindigkeit durchs Dorf getrieben werden. So sehr, dass die schiere Zahl der Säue die wahren Bösewichter gar nicht mehr erkennen lässt.

Ich bin fest davon überzeugt: In komplexen Gesellschaften brauchen wir glaubwürdige Plattformen, auf denen wir über das alle Betreffende und Verbindende reden und uns informieren können. Wo Wichtiges von Unwichtigem geschieden wird. Wo Informationen von bloßen Vermutungen und Verdächtigungen unterschieden werden. Wo man schnell ist, aber nicht hektisch jeder vermeintlichen Neuigkeit hinterher hetzt. Und dazu brauchen wir Profis, die diese Plattformen schaffen und pflegen – gut ausgebildete Journalistinnen und Journalisten, die sich, um mit Ernst Elitz zu sprechen, als „Welterklärer“ und „Wahrheitsfanatiker“ verstehen. Diese Plattformen brauchen wir auf nationaler Ebene. Wir brauchen sie aber auch in der Gemeinde und der Region!

Lokaljournalismus, in welcher Form auch immer, ist eine wichtige Voraussetzung für politische Meinungsbildung und Teilhabe. Fast alle Journalisten, die ich kenne, haben einmal als freie Mitarbeiter bei einer Lokalredaktion angefangen. Fast alle haben sich für einen Zeilenlohn von 12-15 Pfennig ihre ersten journalistischen Sporen verdient und gelernt, wie „richtiger“ Journalismus geht.

Das gesellschaftliche Leben vor Ort hängt an Lokalzeitungen. Denn sie sind weit mehr als Informationsquelle, sie sind Teil der örtlichen Wertschätzungskultur! Vereine – von der Freiwilligen Feuerwehr bis zum Gesangsverein – sind für ihre Arbeit darauf angewiesen, dass es die Lokalredaktion als Resonanzboden gibt. Der Bericht in der Lokalzeitung über das Feuerwehrfest ist mehr wert als der Facebook-Eintrag. Weil sich auf diese Weise öffentliche Anerkennung formuliert. Und weil ohne Anerkennung das Ehrenamt stirbt! Und damit vieles von dem stirbt, was Leben in der Gemeinde und Kleinstadt erst lebenswert macht.

Und natürlich ist es so, dass lokale Politik der Begleitung und Kontrolle durch informierte Medien bedarf. Es ist ein Gemeinplatz, dass Lokalpolitik die wahre Schule der Politik ist, aber auch wenn es ein Gemeinplatz ist, er ist einfach wahr! Ein Journalist hat es einmal sehr schön auf den Punkt gebracht:  "Lokalredaktionen kommt eine hohe gesellschaftliche Verantwortung zu“, schreibt er und weiter: „Wir sind eine der letzten gesellschaftlichen Institutionen, die überhaupt noch in der Lage ist, Gemeinsinn zu erzeugen". Ich füge hinzu: größer ist die Verantwortung noch geworden, seitdem fast überall die noch verbliebene Lokalzeitung „lokaler Meinungsmonopolist“ geworden ist und jedenfalls kaum noch irgendwo journalistischer Wettbewerb unterschiedlicher Printmedien auf lokaler Ebene besteht.

Was heißt das nun für die Politik? Zunächst einmal: Wir müssen uns dafür interessieren, was im Zeitungswesen, gerade auch im Bereich der Regional- und Lokalzeitungen, geschieht. Wir haben als SPD-Bundestagsfraktion das Thema „Zukunft des Zeitungswesens“ in den Mittelpunkt unserer Frühjahrsklausur gestellt, haben vor wenigen Wochen einen Medienpolitischen Kongress in Berlin veranstaltet und unsere Forderungen in einem ausführlichen Bundestags-Entschließungsantrag zusammengefasst.

Auch wenn in anderen Ländern, wie z.B. Frankreich über staatsabhängige Stiftungsmodelle und öffentlich-rechtliche Konstruktionen für die Zeitungsfinanzierung nachgedacht wird, halten wir daran fest, dass eine Finanzierung über den Markt der beste Weg ist, um eine unabhängige Zeitungslandschaft zu bewahren. Allerdings ist die Politik aufgefordert, alles zu tun, um für  marktwirtschaftlich organisierte Zeitungsverlage, und hier besonders auf für die kleineren, ein „level playing field“ zu schaffen, um Vielfalt und regionale Verankerung so weit wie möglich sicher zu stellen.

Das bedeutet konkret: Erstens - wir halten am Presse-Grosso in der bisherigen Gestalt fest. Das Presse-Grosso trägt entscheidend dazu bei, dass in Deutschland eine flächendeckende neutrale Versorgung mit einem Vollsortiment an Zeitungen und Zeitschriften besteht. Mit der Einigung im Vermittlungsausschuss zur Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen wurde nach langen Verhandlungen jetzt der Weg freigemacht für den Erhalt der flächendeckenden und neutralen Vertriebsstruktur des Presse-Grosso.  Gleichzeitig wurde das Pressefusionsrecht novelliert, um den  Handlungsspielraum kleiner und mittlerer Presseunternehmen zu erweitern. 

Zweitens: Journalistische Arbeit hat nicht nur einen Wert, sondern auch einen Preis! Die Gratiskultur des Internet bedroht Qualitätsjournalismus im Kern. Wir brauchen neue, für Nutzer akzeptable Bezahlmodelle im Netz. Aber wir brauchen auch ein modernes Leistungsschutzrecht, verbunden mit einer Modernisierung des Urheberrechts, um Kreative und Urheber in der digitalen Ökonomie zu stärken und die Rahmenbedingungen neuer digitaler Nutzungspraktiken urheberrechtlich verbindlich zu klären. Unser Ziel ist es, einen fairen und gerechten Ausgleich der Interessen von Urhebern, Verwertern und Nutzern sicherzustellen, der die kulturellen und ökonomischen Rahmenbedingungen der Kultur- und Kreativwirtschaft gewährleistet. Das von der Bundesregierung vorgelegte Leistungsschutzgesetz wird diesem Anspruch nur teilweise gerecht. Es operiert mit unklaren Begriffen und stellt aus unserer Sicht eher ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Gerichte dar. Wir plädieren deshalb für eine möglichst baldige Novellierung dieses Gesetzes, die die Kritikpunkte beseitigt und für mehr Klarheit und Rechtssicherheit sorgt.

Das Presseauskunftsrecht ist dank Martin Dörmann auf dem Weg! Eine Anhörung dazu hat stattgefunden. Ein weiteres Feld, auf dem die Politik wenigstens flankierend hilfreich sein kann, betrifft die Aus- und Weiterbildung von Journalisten. Hannelore Kraft hat in NRW mit ihrer „Initiative Lokaljournalismus“ einen Anfang gemacht. Der weitergehende Vorstoß des nordrhein-westfälischen Medienstaatssekretärs Marc Jan Eumann, eine Journalismusstiftung zu gründen, ist von den Zeitungsverlegern mehrheitlich kritisch bewertet worden. Ob das das letzte Wort ist, werden wir sehen.  Hinweisen möchte ich jedenfalls auf die verdienstvolle Arbeit der Bundeszentrale für Politische Bildung, die schon seit vielen Jahren eine wichtige Plattform für den Austausch von Lokaljournalisten ist und die Modernisierung der Lokalzeitungslandschaft mit Diskussionen und Best-Practice-Beispielen unterstützt.

Denn an dieser Modernisierung führt kein Weg vorbei! Bei aller Unterstützung, die Sie von der Politik zu Recht erwarten können – die entscheidenden Anpassungsleistungen an die veränderte mediale Wirklichkeit werden ja von Ihnen selbst erbracht. Gerade kleinere Zeitungen haben in den letzten Jahren auf diesem Gebiet Erstaunliches getan. Dass Deutschland im europäischen Vergleich immer noch gut dasteht, hat nicht nur mit einer guten Ausgangsposition zu tun, sondern auch mit Ihrer aller Kreativität. Sie alle wissen: Schreiben und Knipsen reichen nicht mehr aus. Neue Formen der Leserbindung sind gefragt. Nur die gedruckte Zeitung ist nicht genug!

Ihr Kapital und Ihre Lebensversicherung ist Ihre starke Verankerung in der Region. Je mehr Sie als Teil der Lebens- und Erfahrungswelt wahrgenommen werden, desto sicherer wird Ihre Zukunft sein. Und dabei geht es nicht nur um Sie und Ihren Verlag, sondern auch um die Stärke unserer Demokratie. In diesem Sinne finden Sie bei mir und meiner Fraktion immer ein offenes Ohr. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.